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Eine mit Ironie und Häme aufgeladene Mitteilung ist unangemessen und rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit des Richters

21. Feb
2021

Nach § 42 ZPO kann ein Richter sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.
Der Richter hat sich nach Ton und Wortwahl auf das sachlich Gebotene zu beschränken; unsachlich abfällige Äußerungen können dagegen geeignet sein, aus der Sicht der Beteiligten die Befürchtung zu begründen, der Richter werde sein Anliegen nicht ernst nehmen. Eine mit Ironie und Häme aufgeladene Mitteilung entspricht nicht der Beschränkung auf das sachlich Gebotene, sondern ist unangemessen und rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit des betreffenden Richters.

Volltext des Beschlusses des Landgerichts Berlin vom 19.01.2021 - 66 T 110/20:

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 11.12.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Lichtenberg vom 08.12.2020 - 70 AR 273/20- aufgehoben; das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Amtsgericht (...) wird für begründet erklärt.

Gründe

I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird in entsprechender Anwendung des § 313a ZPO gemäß §§ 567 Abs. 1, 2 574 ZPO abgesehen.

II. Das Ablehnungsgesuch des Beklagten gegen den Richter am Amtsgericht (...) vom 05.11.20 ist durch Beschluss vom 05.11.20 ist durch Beschluss des Amtsgerichts vom 08.12.20 zurückgewiesen worden. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde vom 11.12.2020 ist nach Maßgabe der §§ 43, 44 ZPO zulässig eingelegt worden. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Ein Richter kann gemäß § 42 ZPO abgelehnt werden, wenn ein Grundvorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Entscheidend ist, ob objektiv -vom Standpunkt einer vernünftig agierenden Partei aus betrachtet- Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters begründet sind. Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist oder gegen rechtliche Vorschriften verstößt; ebenso unerheblich ist, ob er sich für befangen hält (KG, Beschluss vom 07.02.2007 - 15 W 2/07 - juris).

2. Das Amtsgericht ist nach diesen Maßstäben im Beschluss vom 08.12.20 zu der Einschätzung gelangt, der abgelehnte Richter habe lediglich auf das geltende Recht hingewiesen. Er habe eine pointierte Reaktion auf das Vorbringen des Beklagten gewählt, die aber für eine besonnene Partei den Eindruck einer Voreingenommenheit nicht habe auflösen können. In der letztgenannten Einschätzung ist das Beschwerdegericht anderer Auffassung.

a) Allerdings hat das Amtsgericht mit Recht festgestellt, dass die Verfahrensführung des abglehnten Richters und die dabei geäußerten Rechtsstandpunkte mit den Mitteln des Ablehnungsgesuchs nicht beanstandet werden können. Der abgelehnte Richter hat auch nicht -wie die Beschwerdebegründung anführtpflichtwidrig einen Hinweis gemäß § 504 ZPO unterlassen. Ein solcher hätte den Beklagten davor zu schützen, etwa in Unkenntnis der Unzuständigkeit des Gerichts Rechtsnachteile zu erleiden. Diese Gefahr bestand aber ohnehin nicht, nachdem der Beklagte die Unzuständigkeit bereits erkannt und gerügt hatte. Der abgelehnte Richter hatte sich offenbar vorläufig die Auffassung gebildet, die vom Beklagten begehrte Verweisung könne in der Sache tatsächlich geboten sein, denn siene Verfügung vom 04.09.20 (Bl. 38) lautet "Verw +" und darunter "bei Antrag Kl.!". Dies dürfte auf die vorläufige Absicht des abgelehnten Richters schließen lassen, im Falle der Antragstellung von Seiten des Klägers ein Verweisungsbegehren in der Sache als begründet ansehen zu wollen.

Die gleichwohl nachfolgende Eskalation zu diesem Punkt beruhte zunächst darauf, dass der abgelehnte Richter den Beklagten über seine vorläufige Ansicht und das Warten auf einen Antrag des Klägers nicht informierte. Der Richter war allerdings dem anwaltlich vertretenen Beklagten zu einer ausdrücklichen inhaltlichen Nachricht auch nicht verpflichet; er durfte voraussetzen, dass das Antragserfordernis des Klägers dem Beklagtenvertreter bekannt, bzw. für ihn ermittelbar war. Das Verstummen des Gerichts gegenüber dem Beklagten bedeutet also lediglich eine Ungeschicklichkeit in der Kommunikation, in deren Folge der Richter nachfolgende Auseinandersetzungen, die sich mit wenig Aufwand hätten abwenden lassen, nicht abgewendet hat. Die ihm in der Gestaltung der Verfahrensleitunggesetzlich zugestandenen Spielräume hat der abgelehnte Richter damit allerdings offenkundig nicht verletzt; ein Grund für ein Ablehnungsgesuch ist in diesem Punkt nicht zu erkennen.

b) Anders verhält es sich nach Ansicht des Beschwerdegerichts allerdings mit dem schriftlichen Hinweis des abgelehnten Richters vom 29.10.2020. Der damit übermittelten Nachricht über das Erfordernis eines Verweisungsantrags von Klägerseite stellt der abgelehnte Richter den Ratschlag an den Beklagtenvertreter voran, sich "...anstatt in standesrechtlich bedenklicher Weise gegenüber dem Gericht Fristen zu setzen und Drohungen auszusprechen (...) besser mit den Grundlagen der Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 in der Fassung vom 5. Dezember 2005 und hier insbesondere Titel 1 des Abschnitts von Buch 2 vertraut..." zu machen.

Aus der Sicht eines vernünftigen und besonnenen Lesers dieser Mitteilung handelt es sich um unsachliche und nicht angemessene Äußerungen des abgelehnten Richters. Zwar gehört es zur Aufgabe des Richters, die Parteien auf das richtige Verfahren und dessen Erfordernisse hinzuweisen; dies kann es auch erforderlich machen, sich wertend zum Vorgehen der Parteien zu äußern. Allerdings hat der Richter sich nach Ton und Wortwahl auf das sachlich Gebotene zu beschränken; unsachlich abfällige Äußerungen können dagegen geeignet sein, aus der Sicht der Beteiligten die Befürchtung zu begründen, der Richter werde sein Anliegen nicht ernst nehmen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 31.12.2012 -II-4 WF 121/12 -juris).

So liegt es auch hier. Die vom abgelehnten Richter gewählte Formulierung erweckt den Eindruck einer Unmutsäußerung, die als Reaktion auf den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 27.10.20 nicht gerechtfertigt erscheint. Das gewundene Zitat der "Zivilprozessordnung" unter Einschluss mehrerer Daten zum Inkrafttretensowie zu einschlägigem Buch, Abschnitt und Titel kann ohne übersteigerte Empfindlichkeit als Ironie und Herabsetzung aufgefasst werden. Schließlich waren alle früheren Verfügungen des Richters stets mit der Abkürzung "ZPO" (ohne weitere Zusätze) ausgekommen. Die nun gewählte Formulierung ermöglicht angesichts der vom Richter für mitteilungsbedürftig gehaltenen Fakten die Lesart, dass nach seiner Einschätzung der Prozessbevollmächtigte des Beklagten selbst mit "Grundlagen" der ZPO nicht vertraut sei, obwohl das Gesetz seit 1877 (bzw. 2005) in Kraft ist. Damit nicht genug erscheint dem Richter zusätzlich auch noch eine "Hilfestellung" dazu sinnvoll, wo im Gesetz die vermuteten Kenntnislücken zu schließen seien, weshalb "freundlicherweise" Buch, Abschnitt und Titel für die anempfohlene Lektüre mitgeliefert werden.

Diese mit Ironie und Häme aufgeladene Mitteilung erscheint unangemessen. Sie fügt den beiden letzten Sätzen der richterlichen Verfügung, nach deren Inhalt ein Verweisungsantrag nur vom Kläger gestellt werden könne und der anberaumte Termin daher zunächst bestehen bleibe, buchstäblich nichts hinzu, außer eine hochfahrende, unsachliche Einkleidung. Dieser Charakter der Mitteilung ist auch unabhängig von der inhaltlichen Richtigkeit der Nachricht der Sache. Die Befangenheit (als Eindruck des Empfängers) hat bei diesem Vorgang nichts mit richtigen oder falschen Ansichten (oder Fakten) zu tun; sie ergibt sich aus der Form der Äußerung.

c) Die vorangegangene Fristsetzung unter Ankündigung von "weiteren Maßnahmen" im Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 27.10.20 ändert an dieser Einschätzung nichts. Mit dieser Frist ist nichts anderes benannt, als das Zeitfenster, innerhalb dessen der Beklagtenvertreter eine bei ihm eingehende inhaltliche Rückäußerung beanspruchte. Wenn der abgelehnte Richter, der sich bis dahin gegenüber dem Beklagtenvertreter zu einer Verweisung oder bestehenden Hindernissen nicht geäußert hatte, den mit der Frist intendierten Nachdruck als "standesrechtlich bedenklich" und zugleich völlig unspezifisch angekündigte Maßnahmen als "Drohungen" gegen das Gericht einstuft, erscheinen beide Wertungen als überzogen und unsachlich.

Zwar mag es (besonders im Rahmen einer mündlichen Verhandlung) zu Auseinandersetzungen zwischen Prozessbeteiligten kommen, in denen auch eine gereizte Rückäußerung oder eine Bekundung von Unmut verständlich erscheinen. Das vorübergehende Verlassen der Sachebene muss dann keineswegs immer die Vermutung der Voreingenommenheit rechtfertigen. Besonders gilt dies, wenn der Richter nach einer in Wortwahl oder Tonfall unangemessenenen Äußerung die Souveränität aufbringt, gegenüber den Beteiligten klarstellende Worte zu finden, kraft derer sie nachvollziehen können, dass eine Abwertung des Beteilgten oder seines Anliegens nicht beabsichtigt war (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 23.03.1992 - 7 W 10/92 -, juris).

Solche Verhältnisse liegen hier aber nicht vor. Der vom abgelehnten Richter erteilte Hinweis erfolgt nicht in einer spontanen Reaktion im Rahmen einer dynamisch verlaufenden Kommunikation unter Anwesenden. Eine schriftlich bei einer Prozesspartei eingehende Äußerung des Gerichts wird richtigerweise als das Ergebnis eines unaufgeregten und professionell gestalteten Arbeitsprozesses aufgefasst. Unangemessene und unsachliche Äußerungen wiegen dementsprechend besonders schwer. Auch eine vernünftige und besonnene Partei kann Anlass haben, aus unbesonnenen Formulierungen des Gerichts auf eine unsachliche Haltung zu schließen, wenn diese Formulierungen das Ergebnis einer äußerlich ganz unaufgeregten und ruhigen Arbeitssituation sind. Die entsprechende Sichtweise des Beklagten erscheint hier jedenfalls nachvollziehbar.

Der Erfolg eines Ablehnungsgesuchs setzt - wie bereits dargestellt- keineswegs voraus, dass das Gericht tatsächlicheine unsachliche Handlung eingenommen hat, oder dass eine voreingenommene Behandlung oder Entscheidung des Verfahrens wirklich droht. Wenn das Gericht sich pointierte, zugespitzte, kommentierenende oder mit ironischen Untertönen unterlegte Äußerungen gestattet, begründet es aber selbst das Risiko, dass eine dahinterstehende (etwa untadelige) Haltung nicht erkannt oder ein berechtigtes Anliegen des Gerichts in der Sache von der ungeschickt gewählten Form überschattet wird. Fallen tatsächlich vorhandene und möglich erscheinende Absichten auseinander, so entscheidet für ein Ablehnungsgesuch der Standpubkt der Prozesspartei, sofern er - wie hier- nachvollziehbar ist.