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Geltung eines Haustarifvertrages nach einer Verschmelzung - LAG BW 9 Sa 19/14

31. Mar
2015

 - 0Nach der Verschmelzung eines an einen Haustarifvertrag gebundenen Rechtsträgers auf einen nicht tarifgebundenen Rechtsträger ist der übernehmende Rechtsträger an die Regelungen des Haustarifvertrags nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG gebunden. Die Bindung geht jedoch nicht weiter als der Geltungsbereich des Haustarifvertrages reicht und ist daher auf die (tarifgebundenen) Arbeitnehmer der übernommenen Rechtsträger beschränkt. (offen gelassen von BAG Urt. v. 4.7.2007, 4 AZR 491/06) (Leitsätze).

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 29.9.2014 - 9 Sa 19/14:


Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 19.02.2014, Az. 3 Ca 343/13 abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.


Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Wege einer Verbandsklage darüber, ob der zwischen der Klägerin und der Firma S. GmbH am 21.12.2011 geschlossene Haustarifvertrag für alle Arbeitnehmer der Beklagten, auf die die S. verschmolzen wurde, gilt oder nur für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zuvor mit der S. bestanden hat.

2

Darüber hinaus streiten die Parteien darüber, ob die in diesem Haustarifvertrag in Bezug genommenen Lohnerhöhungen nach dem (Flächen-)Entgelttarifvertrag für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, die Mitglied der Klägerin sind, umzusetzen sind.

3

Die klagende IG Metall hatte am 21.12.2011 mit der Firma S. GmbH (fortan: S.) einen Haustarifvertrag geschlossen. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:

§ 1

4

Dieser Haustarifvertrag gilt für alle in der Firma S- GmbH beschäftigte Arbeitnehmer/innen, Angestellten und Auszubildenden, die Mitglied der IG Metall sind.

5

§ 2 Anerkennung von Tarifverträgen

6

1. Die Tarifverträge für die Arbeiter/innen, Angestellte und Auszubildende in der Metallindustrie des Tarifgebietes B. abgeschlossen zwischen der Industriegewerkschaft Metall, Vorstand oder Bezirksleitung für Baden-Württemberg einerseits und dem Gesamtverband metallindustriellen Arbeitgeberverbände e. V. (Gesamtmetall) oder dem Verband der Metall-und Elektroindustrie Südwest e.. V. – Südwest Metall F. andererseits sind Bestandteil dieses Tarifvertrages und gelten in ihrer jeweiligen Fassung für die unter dem jeweiligen Geltungsbereich gemäß § 1 aufgeführten Beschäftigten.

7

§ 3 regelmäßige Arbeitszeit

8

1. Die tarifliche wöchentliche Regelarbeitszeit beträgt ab 1. Januar 2012 38 Stunden pro Woche.

9

§ 7 Lohn und Gehalt

10

1. Die jeweils in der Fläche vereinbarten Lohnerhöhungen werden automatisch übernommen. Dazu legt die IG Metall der S. per Einwurf-Einschreiben die genauen Inhalte des Abschlusses in der Fläche vor. Dieser Abschluss wird übernommen, sofern nicht S. innerhalb von drei Wochen nach Zugang der vollständigen Information über die Inhalte des Abschlusses gegenüber der IG Metall, Verwaltungsstelle F., mittels Einwurf-Einschreiben ausdrücklich widerspricht.

11

2. Sollte S. der Übernahme der in der Fläche vereinbarten Lohnerhöhungen widersprechen, sind unverzüglich Verhandlungen mit der IG Metall zur Frage der Lohn-und Gehaltserhöhungen aufzunehmen. Für diesen Fall entfällt die Friedenspflicht.

12

§ 8 Gleichbehandlungsgrundsatz

13

1. Die Arbeitgeberin gewährte den Mitarbeitern, die aus dem Geltungsbereich dieses Tarifvertrages vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit leisten, dem Grunde nach die gleichen Arbeitsbedingungen wie den Mitarbeitern der A. GmbH.

...

14

§ 9 Schlussbestimmungen

15

1. Der vorliegende Haustarifvertrag wird mit Wirkung ab 1.1.2012 bis 31.12.2013 abgeschlossen. Er wirkt bis zum Abschluss eines neuen Tarifvertrages nach.

...

16

Die S. ist eine Schwestergesellschaft der Beklagten. Die beiden Unternehmen führten am Standort SB. einen gemeinsamen Betrieb. Die Beklagte selbst ist weder Mitglied in einem Arbeitgeberverband noch hat sie einen Haustarifvertrag abgeschlossen.

17

Mit Verschmelzungsvertrag vom 29.06.2012 übertrug die S. als übertragende Gesellschaft ihr Vermögen als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten unter Auflösung ohne Abwicklung gemäß §§ 2 ff., 46 ff. UmwG auf die Beklagte als die übernehmende Gesellschaft.

18

Der Verschmelzungsvertrag führt unter § 5 (Folgen der Verschmelzung für Arbeitnehmer und ihre Vertretungen), 3. a) auf:

19

Die übertragende Gesellschaft unterliegt folgenden tarifvertraglichen Bindungen: Haustarifvertrag vom 21. Dezember 2011

20

Gemäß § 613 Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB genießen die tarifvertraglichen Bestimmungen … für die Mitarbeiter der übertragenden Gesellschaft Bestandsschutz, da die Identität des Betriebs der übertragenden Gesellschaft von der Verschmelzung nicht berührt wird.

21

b) Individualrechtliche Auswirkungen

22

Auch ansonsten hat die Verschmelzung keine Auswirkungen weder auf die Arbeitnehmer der übertragenden noch auf die Arbeitnehmer der übernehmenden Gesellschaft.

23

Mit Schreiben vom 21.05.2013 schrieb die Klägerin die Beklagte an und teilte dieser mit, dass mit Datum vom 16.05.2013 für das Tarifgebiet Baden-Württemberg ein neuer Entgelttarifvertrag vereinbart worden sei. Der Inhalt dieses Entgelttarifvertrages wurde der Beklagten als Anlage zu diesem Schreiben übermittelt.

24

Hierauf antwortete die Beklagte mit Schreiben ohne Datum (Aktenseite 25 der arbeitsgerichtlichen Akte):

25

"Sie verkennen offenbar, dass eine originäre Tarifbindung nicht mehr besteht. Wir betrachten Ihr oben genanntes Schreiben daher als gegenstandslos."

26

Die Beklagte hat die sich aus dem Entgelttarifvertrag vom 16.05.2013 ergebenden prozentualen Lohnerhöhungen gleichwohl an alle Arbeitnehmer weitergegeben.

27

Der Tarifvertrag vom 16.05.2013 sieht folgende Regelungen vor:

28

§ 6 Betriebe ohne ERA

29

6.1 In Betrieben, die ERA noch nicht eingeführt haben, gelten anstelle der §§ 2 und 3 dieses TV die in Anlage 1 aufgeführten Erhöhungen.

30

Anlage 1: Betriebe ohne ERA

31

Für Betriebe, die ERA noch nicht eingeführt haben, gelten folgende Regelungen:

32

1. Lohn und Gehalt

33

Für die Zeit vom 1. Mai 2013 bis zum 30. Juni 2013 gelten die Lohn- und Gehaltstabellen aus dem Tarifvertrag über Entgelte und Ausbildungsvergütungen vom 19. Mai 2012, gültig seit 1. Mai 2012, weiter.

34

Mit Wirkung ab 1. Juli 2013 erhöhen sich die Löhne und Gehälter um 3,4 % und ab 1. Mai 2014 um weitere 2,2 %.

35

Die ab dem 1. Juli 2013 bzw. 1. Mai 2014 geltenden Monatsgrundlöhne/Tarifgehälter werden, wie aus den Lohn- und Gehaltstabellen ersichtlich, neu festgesetzt. Dem Monatsgrundlohn/Tarifgehalt liegt die jeweils gültige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gem. § 7.1 MTV Beschäftigte zu Grunde.

36

Die als Anlage beigefügten Lohn- und Gehaltstabellen sind Bestandteil dieses Tarifvertrages.

37

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte gegenüber den vormaligen Arbeitnehmern der S., deren Arbeitsverhältnis auf sie übergegangen ist, an den Haustarifvertrag S. gebunden ist, sofern diese Mitglied der Klägerin sind. Streit besteht zwischen den Parteien darüber, ob der Haustarifvertrag S. aufgrund des Verschmelzungsvorganges nun für alle bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer, die Mitglied der IG Metall sind, anzuwenden ist und ob auf alle diese Arbeitnehmer der Flächen-Entgelttarifvertrag vom 16.05.2013, der bis zum Ende des Jahres 2014 gilt, anzuwenden ist, weil die Beklagte keinen Widerspruch im Sinne von § 7 Haustarifvertrag S. erhoben habe.

38

Wegen des Vortrags vor dem Arbeitsgericht wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

39

Vor dem Arbeitsgericht hat die Klägerin beantragt:

40

1. Es wird festgestellt, dass der Haustarifvertrag zwischen der IG Metall und der Firma S. GmbH vom 21.12.2011 für die bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer/innen, Angestellten und Auszubildenden, die Mitglied der IG Metall sind, anzuwenden ist und kollektivrechtliche Wirkung entfaltet.

41

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Entgelttarifvertrag für das Tarifgebiet Baden-Württemberg vom 16.5.2013 für die bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer/innen, Angestellten und Auszubildenden, die Mitglied der IG Metall sind, anzuwenden.

42

Die Beklagte hat beantragt,

43

die Klage abzuweisen.

44

Das Arbeitsgericht hat durch das angegriffene Urteil vom 19.02.2014 nach den Klageanträgen erkannt. Die Beklagte habe infolge der Aufnahme der S. im Wege der Verschmelzung die Stellung einer Haustarifvertragspartei erlangt. Damit sei sie nach § 3 Abs. 1 GVG kollektivrechtlich an einen Haustarifvertrag gegenüber allen Arbeitnehmern gebunden. Das ergebe sich aus § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. Dabei handele es sich um eine Gesamtrechtsnachfolge, die auch dazu führe, dass die Beklagte in den Haustarifvertrag S. eintrete und damit auch die Stellung einer Tarifvertragspartei übernehme. Die daraus entstehende Tarifbindung der Beklagten sei nicht aufteilbar. Aus den Regelungen des Haustarifvertrages bezüglich seines Geltungsbereiches ergebe sich nichts anderes. Der Geltungsbereich sei auf das Unternehmen – den Rechtsträger – bezogen, nicht aber auf einen bestimmten Betrieb oder auf bestimmte Personen.

45

Auch der Klageantrag zu 2 sei begründet. Die Beklagte habe gegen die Mitteilung der Lohnerhöhung durch die Klägerin keinen ausdrücklichen Widerspruch im Sinne von § 7 Abs. 1 Haustarifvertrag S. erhoben. Das Antwortschreiben lasse sich auch nicht dahingehend auslegen. Daher trete die Rechtsfolge ein, dass die durch den Flächen-Entgelttarifvertrag vereinbarten Lohnerhöhungen automatisch übernommen würden.

46

Gegen das der Beklagten am 25.02.2014 zugestellte Urteil hat diese fristgerecht am 19.03.2014 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese innerhalb der aufgrund des fristgerechten Verlängerungsantrages vom 22.04.2014 bis zum 26.05.2014 verlängerten Berufungsbegründungsfrist fristgerecht am 26.05.2014 begründet.

47

Zur Begründung der Berufung führt die Beklagte aus, das Arbeitsgericht gehe aufgrund der Verschmelzung der Beklagten mit der S. davon aus, dass die Beklagte damit automatisch tarifgebunden sei. Das Arbeitsgericht interpretiere die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 04.07.2007 falsch. Das Bundesarbeitsgericht habe in der genannten Entscheidung die vorliegende Rechtsfrage gerade ausdrücklich offen gelassen. Im Falle der Beklagten komme es nach der Verschmelzung der S. mit der Beklagten zu einem Nebeneinander von tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen und nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen. Das sei jedoch nichts Neues, sondern angesichts des Umstandes, dass zwischen der S. und der Beklagten ein gemeinsamer Betrieb bestanden habe, ändere dies nichts an der schon vorher bestehenden Situation. Es sei auch nicht zutreffend, dass eine Tarifbindung des Arbeitgebers immer nur für alle Arbeitnehmer gelten müsse und "nicht aufteilbar sei". Vielmehr ergebe sich kein aus dem Gesetz ableitbares Argument, dass unbeteiligte Dritte mit unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrags zu ziehen seien, nachdem bereits klar vom Gesetz geregelt sei, dass der tarifliche Status der übergehenden Arbeitnehmer bestehen bleibe.

48

Das Urteil sei auch insoweit fehlerhaft, als es sich darauf stütze, dass die Geltung des Haustarifvertrages S. einen spezifischen koalitionsrechtlichen Status gerade nicht voraussetze. Hier verkenne das Gericht, dass selbstverständlich auch das nicht über eine Verbandsmitgliedschaft an einen Haustarifvertrag gebundene Unternehmen aufgrund der gesetzlichen Grundentscheidung nach § 3 Abs. 1 GVG selbst originärer Tarifpartner sein könne und damit einen spezifischen koalitionsrechtlichen Status habe. Aufgrund dieses spezifischen koalitionsrechtlichen Status gewinne auch der Grundsatz der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit eine tragenden Stellenwert für die hier notwendige differenzierte kollektivrechtliche Reichweite des in Rede stehenden Haustarifvertrages. Aufgrund der Richtlinie 2001/23/EWG ergebe sich, dass die Beklagte bezüglich der Arbeitnehmer, die nicht bei der S. tätig gewesen seien, nicht tarifgebunden sei.

49

Das Urteil sei auch hinsichtlich des Klageantrags zu 2 falsch; zudem habe die Beklagte die Lohnerhöhungen aus dem Flächentarifvertrag vom 16.05.2013 bereits vollständig umgesetzt. Zudem ergebe sich aus dem Antwortschreiben der Beklagten bei gebotener Auslegung, dass die Beklagte die Tariferhöhungen abgelehnt habe.

50

Die Beklagte beantragt daher:

51

Das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 19.02.2014 - Az. 3 Ca 343/13 wird abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.

52

Die Klägerin beantragt,

53

die Berufung zurückzuweisen.

54

Sie beantragt hilfsweise zum erstinstanzlich gestellten Antrag 1:

55

Es wird festgestellt, dass der Haustarifvertrag zwischen der IG Metall und der Firma S. GmbH vom 31.12.2011 für die bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer/innen, Angestellten und Auszubildenden, die Mitglied der IG Metall sind bis zum 31.12.2013 anzuwenden war und kollektivrechtliche Wirkung entfaltet hat.

56

Höchst hilfsweise:

57

Es wird festgestellt, dass der Haustarifvertrag zwischen der IG Metall und der Firma S. GmbH vom 31.12.2011 für die bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer/innen, Angestellten und Auszubildenden, die Mitglied der IG Metall sind bis zum 31.12.2013 kollektivrechtliche Wirkung entfalten hat.

58

Zur Begründung führt die Klägerin an, das arbeitsgerichtliche Urteil sei richtig. Die wirtschaftlichen Überlegungen der Beklagten sei nicht maßgeblich, sondern es komme allein auf die Frage an, ob die Beklagte gegenüber allen Arbeitnehmern, die Mitglied der IG Metall seien, tarifgebunden sei. Aufgrund des Umwandlungsvorganges sei die Beklagte in die Rechtsposition der S. mit allen Rechten und Pflichten unter Auflösung ohne Abwicklung eingetreten. Dadurch sei, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt habe, die Beklagte selbst Tarifvertragspartei des Haustarifvertrages geworden. Die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Tarifvertrag gehöre zum Pflichtenkreis des übernommenen Rechtsträgers. Bei dieser Stellung handele es sich, anders als bei der Verbandsmitgliedschaft und der daraus erfolgenden Tarifbindung, um eine höchstpersönliche Verpflichtung. Daher folge die kollektivrechtliche Tarifbindung direkt aus § 3 Abs. 1 GVG. Die Stellung als Tarifvertragspartei könne auch nicht aufgespalten werden. Die Beklagte sei als einheitlicher Rechtsträger an den Haustarifvertrag gebunden. Das entspreche auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ausgeführt habe, dass die Universalsukzession dazu führe, dass sämtliche Forderungen und Verbindlichkeiten von der Gesamtrechtsnachfolge erfasst würden und der aufnehmende Rechtsträger in die bestehenden Verträge eintrete, ohne dass es einer Vertragsänderung bedürfe. Es liege auch kein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit vor, da die Beklagte nicht in eine Koalition also in eine Verbandsmitgliedschaft hinein gedrängt würde, der sie nicht angehören möchte. Zutreffend habe das Arbeitsgericht auch erkannt, dass die Beklagte der Lohnerhöhung nicht nach § 7 Abs. 1 Haustarifvertrag S. widersprochen habe.

59

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die Berufungsbegründung und -erwiderung sowie auf den erstinstanzlichen Akteninhaltsbezug genommen.


Entscheidungsgründe

60

Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.

I.

61

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere nach § 64 Abs. 2 ArbGG an sich statthaft und form- und fristgerecht innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden. Die Begründung genügt den Anforderungen des §§ 520 Abs. 3 ZPO.

II.

62

Die Berufung ist begründet und führt zur Abweisung der Klage.

63

1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht angenommen, dass die Klage bezüglich des Antrags zu 1 zulässig ist. Das Arbeitsgericht weist richtig darauf hin, dass es sich um eine Verbandsklage im Sinne von § 9 TVG handelt. Ebenso geht das Arbeitsgericht zutreffend davon aus, dass auch für die Verbandsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben sein muss (Wiedemann/Oetker, Tarifvertragsgesetz, 7. Auflage § 9 Rn. 25; Däubler/Reinecke, TVG, 3. Aufl. § 9 Rn 24) und sich nicht bereits aus der Tatsache einer Verbandsklage als solcher ergibt.

64

Im vorliegenden Fall ist für den Klageantrag zu 1 einschließlich der Hilfsanträge das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben.

65

Mit dem Klageantrag zu 1 soll geklärt werden, ob die Beklagte bezüglich aller bei ihr beschäftigter Arbeitnehmer, die tarifgebunden sind, an die Regelungen des Haustarifvertrag S. gebunden ist. Das kann Gegenstand einer entsprechenden Feststellungsklage sein und klärt die zwischen den Parteien streitige Rechtsfrage, für welche Arbeitnehmer der Haustarifvertrag S. bei der Beklagten anzuwenden ist.

66

Der Umstand, dass der Haustarifvertrag S. mittlerweile nur noch nachwirkt, da er am 31.12.2013 geendet hat, beseitigt das erforderliche Verstellungsinteresse nicht. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass auch die Geltung von Tarifverträgen, die nur nachwirken, Gegenstand einer Verbandsklage sein kann (BAG, Urt. v. 22.3.1957, 1 AZR 64/56 Rn 19, juris; Wiedemann/Oetker, Tarifvertragsgesetz, 7. Auflage § 9 Rn. 27; Däubler/Reinecke, TVG, 3. Aufl. § 9 Rn 24; a.A. Löwisch/Rieble § 9 TVG, Rn 25). Das ergibt sich bereits aus der Überlegung, dass die mit der Verbandsklage zu klärende Rechtsfrage, ob der Tarifvertrag auch für die Arbeitnehmer gilt, die nie bei der S. beschäftigt gewesen sind, ihre Bedeutung nicht dadurch verliert, dass der Tarifvertrag nunmehr nur noch nachwirkt.

67

Die Hilfsanträge, mit denen die Klägerin ihre Klage erweitert hat, sind ebenfalls zulässig. Die Klageerweiterung ist nach § 533 ZPO zulässig, weil sich die Beklagte auf sie eingelassen hat. Außerdem ist sie sachdienlich. Die beiden Hilfsanträge enthalten lediglich Modifikationen des Klageantrags zu 1 im Hinblick auf die eingetretene Nachwirkung des Tarifvertrages.

68

2. Der Antrag zu 2 ist hingegen unzulässig, weil der zwischen den Parteien bestehende Streit durch diesen Antrag nicht geklärt wird. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte die sich aus dem Entgelttarifvertrag vom 16.05.2013 ergebende Lohnerhöhung an ihre Mitarbeiter – und zwar an alle Mitarbeiter unabhängig von ihrer vormaligen Zugehörigkeit zu S. – weitergegeben hat. Der Streit der Parteien besteht allerdings darin, ob die Beklagte die tarifliche Lohnerhöhung richtig berechnet hat. Die Klägerin ist der Auffassung, die Lohnerhöhung sei nicht in vollem Umfang weitergegeben worden, da sie sich auf die tarifliche 35 Stundenwoche und die jeweiligen Entgelttabellen beziehe. Nach ihrer Auffassung hätte die Beklagte den sich aus der aktualisierten Entgelttabelle ergebenden Monatslohn durch die tarifliche Arbeitszeit dividieren und dann mit den tatsächlich geleisteten 38 Stunden pro Woche multiplizieren müssen. Demgegenüber geht die Beklagte davon aus, dass die Arbeitnehmer den Lohnanspruch aus der aktualisierten Entgelttabelle haben, dafür jedoch 38 pro Woche arbeiten müssen.

69

Diese Rechtsfrage wird durch den Feststellungsantrag zu 2 nicht geklärt. Hier wird der Beklagten gegebenenfalls nur vorgeschrieben, den Entgelttarifvertrag "anzuwenden". Wie diese Anwendung angesichts einer Wochenarbeitszeit von 38 Stunden zu geschehen hat, bleibt offen. Da die Beklagte die Vergütung der Mitarbeiter jedenfalls nach den aktualisierten Entgelttabellen zahlt, geht es im Ergebnis nur noch um die Frage der richtigen Berechnung der Vergütung, nicht nur um die Frage der Lohnzahlung nach den Entgelttabellen an sich.

70

Da der Feststellungsantrag die maßgebliche Streitfrage der Partei nicht klärt, ist er unzulässig. Im übrigen wäre er bei unterstellter Zulässigkeit auch unbegründet (dazu unter IV).

71

Die Klage war daher bezüglich des Antrags 2 als unzulässig abzuweisen.

III.

72

Der Antrag zu 1 nebst den damit zusammenhängenden Hilfsanträgen ist unbegründet. Daher war auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und auch dieser Antrag abzuweisen.

73

Zutreffend geht das Arbeitsgericht zunächst dadurch davon aus, dass die Beklagte durch den Verschmelzungsvorgang nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in alle Rechtspositionen der früheren S. eingetreten ist. Damit ist sie auch an den Haustarifvertrag S. nach § 3 Abs. 1 TVG gebunden, wovon das Arbeitsgericht zutreffend ausgeht.

74

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes folgt jedoch aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 04.07.2007 (4 AZR 491/06) gerade nicht, dass in einem solchen Fall sich die Tarifbindung des aufnehmenden Rechtsträgers nunmehr über den Geltungsbereich des Tarifvertrages, an den der aufnehmende Rechtsträger gebunden ist, auf alle Arbeitsverhältnisse, die mit dem aufnehmenden Rechtsträger bestehen, erstreckt. Diese Rechtsfrage ist vom Bundesarbeitsgericht in der genannten Entscheidung (Rn. 42 ff., Rn 55 ff) ausdrücklich offen gelassen worden. Die Rechtsfrage, die sich im vorliegenden Rechtsstreit erneut stellt, ist dahin zu beantworten, dass der hier maßgebliche Haustarifvertrag S. nach der Verschmelzung der S. auf die Beklagte nicht für alle (tarifgebunden) Arbeitnehmer der Beklagten gilt, sondern nur für die Arbeitnehmer, die zuvor in den Geltungsbereich des Haustarifvertrag S. gefallen sind. Das ergibt sich bereits aus einer Auslegung des Haustarifvertrag S. bezüglich seines Geltungsbereiches. Dieser ist nach § 1 in persönlicher Hinsicht begrenzt auf alle in der Firma S. GmbH beschäftigten Arbeiter/innen, Angestellten und Auszubildenden. Die Frage, ob der bei einem übertragenden Rechtsträger, hier also der S., geltende Tarifvertrag auch beim übernehmenden Rechtsträger Anwendung findet, ist durch Auslegung zu ermitteln. Diese führt in der Regel zu dem Ergebnis, dass sich ein solcher Firmentarifvertrag nach der Verschmelzung nicht auch auf im Unternehmen bereits bestehende Betriebe erstrecken soll (Henssler/Moll/Bepler/Grau, Der Tarifvertrag, Teil 15 Rn. 188 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Zum einen beschränkt sich der persönliche Geltungsbereich des Tarifvertrages S. nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 ausschließlich auf die in der S. beschäftigten Arbeitnehmer. Zudem bestand zwischen der S. und der Beklagten ein gemeinsamer Betrieb. Ein Nebeneinander von Arbeitnehmern, für die ein Tarifvertrag galt, nämlich der S. Haustarifvertrag, und solche Arbeitnehmer, für die kein Tarifvertrag galt, nämlich die Arbeitnehmer der Beklagten, hat also schon zu Zeiten bestanden, als der Haustarifvertrag S. abgeschlossen worden ist. Das spricht dagegen, dass nach einer Verschmelzung der S. auf die Beklagte diese Situation geändert werden sollte. Es stellt zudem tarifrechtlich kein Problem dar, dass in ein und demselben Unternehmen oder Betrieb der Arbeitgeber nur bezüglich eines Teiles der Arbeitsverhältnisse an einen Tarifvertrag gebunden ist. Es ist unproblematisch, dass ein Arbeitgeber nur an einen Tarifvertrag mit einem eingegrenzten Geltungsbereich gebunden ist, z. B. an einen Tarifvertrag, der ausschließlich für gewerbliche Arbeitnehmer gilt. Die Tarifbindung des Arbeitgebers führt nicht dazu, dass dieser Tarifvertrag nun auch für alle anderen Arbeitsverhältnisse gilt. Das Arbeitsgericht hat zwar recht, wenn es ausführt dass die Tarifbindung als solche nicht teilbar ist. Dabei verkennt es aber, in Bezug auf welchen Tarifvertrag diese Tarifbindung besteht und welchen Geltungsbereich dieser Tarifvertrag hat. Die ungeteilte Tarifbindung bedeutet keineswegs, dass deswegen ein Tarifvertrag auf alle Arbeitsverhältnisse anwendbar sein muss. Der Geltungsbereich des Tarifvertrages wird von diesem selbst bestimmt, hier die Arbeitnehmer der S.. An den Haustarifvertrag S. ist die Beklagte "ungeteilt" gebunden. Der Haustarifvertrag S. gilt aber nach der Auslegung seines in der persönlichen Geltungsbereiches gerade nur für die Arbeitnehmer, die zuvor Arbeitnehmer der S. gewesen sind (so auch Däubler/Lorenz, TVG, 3. Aufl. § 3 Rn 180).

75

Die in diesem Zusammenhang weiter auftretenden und von der Beklagten aufgeworfenen Fragen bedürfen keiner weiteren Vertiefung, denn für den vorliegenden Fall ergibt sich das Ergebnis bereits daraus, dass der Haustarifvertrag S. nach seinem Geltungsbereich nur für die Arbeitnehmer der S. gilt.

76

Aus diesem Grunde ist die Klage bezüglich des Antrags zu 1 unbegründet. Da auch die Hilfsanträge den ursprünglichen Antrag hinsichtlich der Problematik der Nachwirkung modifizieren, sind auch sie unbegründet.

IV.

77

Der Antrag zu 2 ist neben seiner Unzulässigkeit auch unbegründet.

78

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass der Haustarifvertrag S. nicht für alle Arbeitnehmer der Beklagten gilt, sondern nur für diejenigen, die zuvor zur S. in einem Arbeitsverhältnis standen und tarifgebunden sind.

79

Im übrigen hat die Beklagte die Lohnerhöhung aus dem Tarifvertrag vom 16.05.2013 zutreffend an diese Arbeitnehmer weitergegeben. Auf die Frage, ob die Beklagte der Lohnerhöhung widersprochen hat, kommt es daher nicht an.

80

Nach § 7 Abs. 1 Haustarifvertrag S. werden die jeweils in der Fläche vereinbarten Lohnerhöhungen automatisch übernommen. Die Beklagte erfüllte ihre Verpflichtung zur Weitergabe der Lohnerhöhungen dadurch, dass sie die Vergütung der Mitarbeiter um den jeweiligen prozentualen Erhöhungsbetrag, wie er sich aus dem Tarifvertrag vom 16.05.2013 ergibt, erhöht hat.

81

Der Umstand, dass bei der Beklagten die Wochenarbeitszeit 38 Stunden und nicht wie in der Fläche 35 Stunden beträgt, ändert daran nichts. Ausweislich der tarifvertraglichen Regelung besteht die Lohnerhöhung in einem bestimmten Prozentsatz, den die Beklagte an ihre Mitarbeiter weitergegeben hat. Nach § 7 Abs. 1 Haustarifvertrag S. war die jeweilige Lohnerhöhung automatisch zu übernehmen. Der Haustarifvertrag S. verwendeten Begriff der Lohnerhöhung. Damit ist schon sprachlich der Prozentsatz gemeint, den der Tarifvertrag vom 16.05.2013 als Lohnerhöhung beschreibt. Er verwendet ausdrücklich den Begriff der Erhöhung der Löhne und Gehälter um einen bestimmten Prozentsatz.

82

Entgegen der Auffassung der Klägerin war es nicht erforderlich, die Entgelte der Entgelttabelle durch 35 Wochenstunden zu dividieren und den so gewonnenen Stundensatz mit 38 Wochenstunden zu multiplizieren und den Mitarbeitern dieser Vergütung zu zahlen. Dafür bietet der Haustarifvertrag keine Anhaltspunkte. Insbesondere geht er davon aus, dass die Mitarbeiter für die tarifvertragliche Vergütung 38 Stunden pro Woche zu leisten haben. Die Berechnungsmethode der Klägerin läuft darauf hinaus, dass die Beklagte nunmehr die Vergütung auf der Grundlage einer 35-Stunden-Woche bezahlt, was der Tarifvertrag aber gerade nicht vorsieht. Auch der Antrag zu 2 ist daher nicht nur unzulässig, sondern auch unbegründet.

83

Auf die Berufung der Beklagten war das arbeitsgerichtliche Urteil daher abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

V.

84

Nach § 91 Abs. 1 ZPO hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits in vollem Umfang zu tragen, da sie vollumfänglich unterlegen ist. Auch in dieser Hinsicht war das arbeitsgerichtliche Urteil daher abzuändern und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

85

Die Revision war für die Klägerin zuzulassen, da die in dem vorliegenden Fall aufgeworfenen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung haben.