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Schadensersatz wegen Verstoß gegen das ArbZG - LAG Saarland 2 Sa 145/13

18. Apr
2015

 - 0Zur Darlegungslast bei einer auf Schadensersatz in Geld gerichteten Anspruchsstellung zählt in aller Regel (Ausnahme z.B. § 15 Abs.2 AGG) der Vortrag von Tatsachen, aus denen sich bei Anwendung der als verletzt bezeichneten Norm ableiten lässt, dass die Verletzungshandlung adäquat kausal zu einem Schaden beim Anspruchsteller geführt hat.

§ 3 S.2 ArbZG dient der Flexibilisierung der Arbeitszeitvorgaben innerhalb eines Arbeitsverhältnisses. Nach Ablösung der AZO im Jahr 1994 durch das ArbZG ist der 8-Stunden-Tag nicht mehr als Regelarbeitstag zu betrachten. Es wird weiterhin hinsichtlich der in einer Woche maximal zulässigen Arbeitszeit nach §§ 1, 3 ArbZG am Werktag und nicht am individuellen Einsatztag des Arbeitnehmers angeknüpft.

Die RL 3003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) enthält für Verletzungen ihrer Vorgaben keine unmittelbar zwischen Personen auf privatrechtlicher Ebene anzuwendenden Sanktionsvorgaben (vgl. EuGH, Urteil vom. 25.11.2010 - C-429/09).

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 9. April 2014 - LAG 2 Sa 145/13:


Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 24.09.2013 im Verfahren 5 Ca 589/13 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin und Berufungsklägerin.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Parteien streiten vorliegend über die Berechtigung eines von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs auf Schadensersatz, unter dem Gesichtspunkt eines von ihr behaupteten Verstoßes gegen die §§ 1,3 Arbeitszeitgesetz sowie wegen Nichtbeachtung von Art. 6 b und Art. 16 b der RL 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) wegen dauerhaften Einsatzes im Bereich von Dienstleistungen innerhalb des Einzelhandels, mit einer arbeitstäglichen Arbeitszeit von mehr als 8 Stunden, wobei die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden allerdings vollständig vergütet worden sind. Als weitere Aspekte für die Begründetheit des Schadensersatzanspruchs werden die Verletzung von §§ 1, 3 Arbeitszeitgesetz als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sowie eine Nichtbeachtung von Art. 31 Abs. 2 EU Grundrechts-Charta [EU-GRCharta] ange­führt.

1

Die Beklagte und Berufungsbeklagte ist ein Unternehmen aus M., wel­ches Zubehör für Armbanduhren produziert und entsprechende Dienstleis­tungen mit so genannten Depots an Einzelhandelskun­den / -kundinnen in Kaufhäusern und Supermärkten anbietet.

2

Die am 15.04.1976 geborene Klägerin war in der Zeit vom 02.05.2011 bis 30.04.2013 als Arbeitnehmerin mit Aufgaben im Service sowie Verkauf in den von der Beklagten und Berufungs­beklagten unterhaltenen Depots bei G. in S., bei K. S. sowie ein­mal pro Woche bei Gl. S. beschäftigt worden. Grundlage des Ar­beitsverhältnisses bildete zunächst der Arbeitsvertrag vom 19.04.2011 (vgl. Bl. 8 - 11 d.A.). Dieser Arbeitsvertrag war gemäß § 1 Abs. 1 auf die Zeit vom 02.05.2011 bis 30.04.2012 ohne An­gabe von Sachgründen befristet abgeschlossen worden. In § 2 dieses Arbeitsvertrags wurde die Ar­beitszeit wie folgt geregelt:

3

§ 2 Arbeitszeit

4

1.Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit be­trägt 38,0 Stunden.

5

2.Die Lage der Arbeitszeit wird gemäß den betriebli­chen Erforder­nissen durch den Arbeitgeber ein­geteilt. Ebenso wer­den die freien Tage und Pau­senzeiten nach Absprache mit dem Arbeitgeber festgelegt.

6

3.Die Arbeitszeiten sind über das örtlich installierte M.er-Zeiterfassungssystem zu erfassen. Dies gilt auch für alle Ar­beitszeitunterbrechungen wie zum Beispiel für Pausen, Arzt­gänge oder ähnliche Ab­wesenheitsgründe.

7

Zusätzlich sind die Arbeits- und Abwesenheitszei­ten täglich ma­nuell in einem Wochenarbeitszeit­nachweis anzugeben. Dieses Formular ist von der Abteilungsleitung oder durch de­ren Vertretung ab­zuzeichnen und jeweils im 14 tägigen Rhythmus bis zum Ende der Woche oder spätestens am Montag der Folgewoche an die Verwaltung des Arbeitgebers in M. zu übermitteln.

8

4.Der Arbeitnehmer ist in Abstimmung mit dem Arbeit­geber ver­pflichtet, Mehr- und Überarbeit so­wie Sonntags- und Feier­tagsarbeit zu leisten, so­weit dies gesetzlich zulässig ist und den jeweiligen betrieblichen Erfordernissen entspricht.

9

§ 11 des Arbeitsvertrags enthält eine Bestimmung zur Festlegung von Ver­fallfristen:

10

§ 11Verfallfristen

11

Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis erge­ben, sind von den Vertragsparteien binnen einer Frist von 3 Mo­naten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu ma­chen und im Falle der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Frist von einem Monat einzuklagen.

12

Unter dem 19.03./23.04.2012 kam es zu einer Verlängerung der Befris­tungsvereinbarung mit folgender Festlegung (vgl. Bl. 7 d.A.):

13

§ 1.1Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses / Tätigkeit / Ar­beitsort

14

Der Arbeitnehmer trat am 02.05.2011 befristet bis zum 30.04.2012 in die Dienste des Arbeitgebers.

15

Vor Ablauf des oben genannten Beendigungstermins wird das Ar­beitsverhältnis bis zum 30.04.2013 verlängert. Das Arbeitsver­hältnis endet automatisch mit Ablauf der Frist am 30.04.2013, ohne dass es einer gesonderten Kündi­gung bedarf.

16

Alle anderen Punkte Ihres Arbeitsvertrages gelten unver­ändert weiter. ….

17

Der Umfang des Arbeitseinsatzes der Klägerin ergibt sich aus den von ihr entsprechend den Vorgaben aus dem Arbeitsvertrag in Handaufschrieb ge­führten Arbeitszeitnachweisen für den Zeitraum 02.05.2011 bis 30.04.2013 (vgl. Bl. 25 - 92 d.A.) sowie aus den von der Beklagten für den gleichen Zeit­raum vorgelegten Ausdru­cken aus dem von der Beklagten für ihre Mitarbei­ter eingerichteten Zeiterfassungssystem (vgl. Bl. 121 - 151 d.A.).

18

Die durchschnittliche Vergütung der Klägerin lag ihren eigenen Angaben zufolge bei 1.252,00 € pro Monat. Ausweislich ihrer Er­klärung im Protokoll des Gütetermins vom 04.06.2013 (vgl. Bl. 101 d.A.) wurden aber alle von ihr geleisteten Arbeitsstunden von der Beklagten auch tatsächlich vergütet.

19

Die Klägerin hat in 1. Instanz ihre Rechtsansicht vertreten, dass ihr ein Schadensersatzanspruch in Höhe von mindestens 10.000,00 € gegen die Beklagte wegen Verstoßes gegen bundesgesetzliche sowie europarechtliche Vorgaben zur Arbeitszeitbegrenzung zu­stehe. So habe die Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1 Arbeitszeitgesetz, § 17 Laden­schlussgesetz sowie aus pVV bzw. §§ 280, 281 BGB diesen Anspruch. Nach ihrer Ansicht bestehe dieser Schadenersatzanspruch unabhängig von der tat­sächlich erfolgten Vergütung der von der Klägerin für die Beklagte geleis­teten Arbeitsstunden. Zumal daneben auch ein Schmer­zensgeldanspruch gerechtfertigt sei. Dies ergebe sich allein aus der Nichteinhaltung der Vorga­ben zur täglichen Arbeitszeit in Höhe von 8 Stunden. Hinsichtlich der Be­rechnung der Höhe des Scha­denersatzanspruches halte die Klägerin einen Betrag in Höhe von 30 % der ersparten Aufwendungen für gerechtfertigt. Ausgehend von ihrer zweijährigen Beschäftigung habe die Beklagte bei 1.252,00 € pro Monat für die Klägerin 31.008,00 € aufgewandt (ohne Lohn­nebenkosten). Die Beklagte habe aufgrund unterlasse­ner Einstellung einer weiteren Arbeitskraft, die dann die restlichen, aus Sicht der Klägerin unzu­lässigen Zusatzstunden, hätte leisten können, ca. 30 % dieses Betrages, also ca. 10.000 € mindestens eingespart. Die Beklagte habe hier auch einen unlauteren Wett­bewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern auf dem Markt er­langt als Folge der Nichteinhaltung der Arbeitszeit gesetzlicher Vorgaben und so eine nicht unerhebliche Gewinnerzielung erreicht. Die Klä­gerin sei von Beginn an unter Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz eingesetzt wor­den, weil sie bereits am 02.05.2011 von 9:30 Uhr bis 20:00 Uhr bei G. in S. bei einer Stunde Pause ihre Arbeit habe erbrin­gen müssen. Es seien mithin 9,5 Stunden Arbeitszeit ange­fallen. Gesetzlich seien aber 8 Stunden vorgeschrieben. Aus den Arbeitszeitnachweisen er­gebe sich, dass es sich hierbei nicht um einen einmaligen Vorgang gehan­delt habe. Dies werde auch durch die Ausdrucke aus dem Zeiterfassungs­system, welche von der Beklagten in den Prozessstoff eingeführt worden seien, belegt.

20

Die Klägerin ist der Überzeugung, die Beklagte habe § 3 Satz 2 Arbeitszeit­gesetz fehlerhaft ausgelegt. Zunächst müsse von § 2 Abs. 1 des Arbeitsver­trages ausgehend die von der Beklagten selbst gemachte Vorgabe einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden der Arbeitsein­satz der Klägerin be­trachtet werden. Bei Anwendung von § 3 Satz 1 Arbeits­zeitgesetz bedeutet dies unter Zugrundelegung von 6 Werktagen, dass pro Arbeitstag 6,3 Stunden anfallen könnten (= 38 Stunden/Woche durch 6 Werktage). Insofern günstigere Regelung in § 2 Abs. 1 Arbeitsvertrag habe Vorrang vor § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz, der ein zulässiges Maß für die Höchstarbeitszeit von bis zu 10 Stun­den täglich festlege. Nach Auffassung der Klägerin sei dies aber nur dann zulässig, wenn in den folgenden 6 Mo­naten täglich 6,3 Stunden nicht überschritten worden wären für den Arbeits­tag.

21

Der Schaden der Klägerin werde in der entgangenen Lebenszeit gesehen.

22

Die Klägerin hat zuletzt in 1. Instanz beantragt,

23

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ange­messenen Scha­densersatz zu Zahlen zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung, wobei ein Betrag in Höhe von 10.000,00 € nicht un­terschritten werden sollte.

Die Beklagte hat in 1. Instanz beantragt,

24

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat in 1. Instanz bereits vorgetragen, dass ihrer An­sicht nach beim Einsatz der Klägerin kein Verstoß gegen das Ar­beitszeitgesetz zu ver­zeichnen sei. § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz erlaube eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit bis zu 10 Stunden, sofern ein Ausgleich innerhalb von 6 Kalendermona­ten/24 Wochen dazu führt, dass im Durchschnitt 8 Stunden Arbeit werktäglich nicht überschritten werden. Die Klägerin habe aber an keinem Arbeitstag tatsächlich länger als 10 Stunden gearbeitet. In der Regel habe die Klägerin auf den Monat bezogen sogar täglich nicht mehr als 8 Stunden Arbeit geleistet. Selbst bei zu Gunsten der Klägerin einmal als zu­lässig unterstellter Höchstarbeitszeit von 48 Stunden/Woche sei diese Grenze nur in 3 Fällen geringfügig überschritten worden. So habe die Kläge­rin in der Woche vom 02.05.2011 bis 08.05.2011 eine Arbeitszeit von 50,42 Stunden erbracht. In der Woche vom 26.03.2012 bis 31.03.2012 sei eine Arbeitszeit von 54,12 Stunden angefallen. 51,43 Stunden habe die Klägerin im Zeitraum 30.07.2012 bis 05.08.2012 gearbeitet. Aller­dings lasse § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz sogar vorübergehende Verlängerung bezogen auf 6 Werktage in der Woche auf bis zu 10 Stunden also 60 Stunden in der Wo­che zu, mit den oben ge­nannten weiteren Voraussetzungen des Ausgleichs. Gerade bei der Überschreitung dieser Höchstgrenzen habe die Klägerin meist innerhalb eines Monats durch Gewährung entsprechender Freizeit ih­ren Ausgleich erhalten.

25

Die von der Beklagten vorgenommene Auslegung von § 3 Arbeits­zeitgesetz könne aus Sicht der Beklagten nicht beanstandet wer­den. Das Arbeitszeit­gesetz lege nämlich seinen Berechnungen und Vorgaben eine 6-Tage-Wo­che zu Grunde. Dies ergebe sich aus der Verwendung des Begriffs Werktag. Auch wenn die Kläge­rin in der Regel nur 5 Arbeitstage und teilweise auch einmal 4 Ar­beitstage in der Woche geleistet habe, sei es der Beklagten als Arbeitgeberin nicht verwehrt, bei der Umrechnung auf den 6. Werktag in der Woche zurückzugreifen. Hieraus ergebe sich dann folgende auf Werktage umgerechnete Arbeitseinsatzsituation der Klägerin während der Gesamt­dauer des Arbeitsverhältnisses, wenn man Arbeitsunfähigkeitstage und Ur­laubstage von den mo­natlich zur Verfügung stehenden Werktagen zunächst abziehe:

26

Jahr

Monat

Arbeitszeit

Anzahl d. WT

ArbZeit/WT

2011

Mai 2011

172,4 Std.

26 WT

6,63 Std./WT

Bl. 109 /

B1 – Bl. 121

Juni 2011

149,92 Std.

23 WT

6,52 Std./WT

Bl. 109 /

B2 – Bl. 122

Juli 2011

171,50 Std.

26 WT

6,60 Std./WT

Bl. 109 /

B3 – Bl. 123

August 2011

160,30 Std.

26 WT

6,17 Std./WT

Bl. 109-110 /

B4 – Bl. 124

September 2011

174,07 Std.

26 WT

6,69 Std./WT

Bl. 110 /

B5 – Bl. 125

Oktober 2011

166,13 Std.

25 WT

6,64 Std./WT

Bl. 110 /

B6 – Bl. 126

November 2011

145,73 Std.

25 WT

5,82 Std./WT

Bl. 110-111 /

B7 – Bl. 127

Dezember 2011

164,12 Std.

26 WT

6,31 Std./WT

Bl. 111 /

B8 – Bl. 128

2012

Januar 2012

139,73 Std.

*23 WT

* da 3 AU-Tage 23.01.-25.01.

6,07 Std./WT

Bl. 111 /

B9 – Bl. 129- 130

Februar 2012

142,45 Std.

22 WT

da 3 UT

27.02.-29.02.

6,47 Std./WT

Bl. 111-112

B10 – Bl. 131

März 2012

100,93 Std.

18 WT

da 9 UT

5,60 Std./WT

Bl. 112 /

B11 – Bl. 132

April 2012

136,25 Std.

21 WT

da 2 AU-Tage

6,48 Std./WT

Bl. 112-113 /

B12 – Bl. 133-134

Mai 2012

118,95 Std.

22 WT

da 3 AU-Tage

5,66 Std./WT

Bl. 113 /

B13 – Bl. 135-136

Juni 2012

144,65 Std.

25 WT

5,78 Std./WT

Bl. 113 /

B14 - 137

Juli 2012

156,67 Std.

25 WT

da 1 AU-Tag

6,26 Std./WT

Bl. 113-114 /

B15 – Bl. 138 – 139

August 2012

126,43 Std.

20 WT

da 2 AU-Tage

und 4 UT

6,32 Std./WT

Bl. 114 /

B16 – Bl. 140 – 141

September 2012

111,80 Std.

21 WT

da 4 UT

5,32 Std./WT

Bl. 114-115 /

B17 – Bl. 142

Oktober 2012

77,25 Std.

14 WT

da 4 AU-Tage

und 8 UT

5,51 Std./WT

Bl. 115 /

B18 – Bl. 143

November 2012

147,18 Std.

25 WT

5,88 Std./WT

Bl. 115 /

B19 – Bl. 144

Dezember 2012

52,85 Std.

11 WT

da 12 AU-Tge.

und 1 UT

4,80 Std./WT

Bl. 115-116 /

B20 – Bl. 145 – 146

2013

Januar 2013

91,30 Std.

14 WT

da 12 AU-Tge.

6,52 Std./WT

Bl. 116 /

B21 – Bl. 147 - 148

Februar 2013

133,48 Std.

22 WT

da 2 AU-Tage

6,06 Std./WT

Bl. 116-117 /

B22 – Bl. 149

März 2013

159,50 Std.

25 WT

6,38 Std./WT

Bl. 117 /

B23 – Bl. 150

April 2013

64,27 Std.

16 WT

da 9 UT

4,01 Std./WT

Bl. 117 /

B24 – Bl. 151

27

Nach Auffassung der Beklagten hätten auch keine Verstöße ge­gen das La­denschlussgesetz oder gegen das UWG vorgelegen.

28

Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin von entstandenen An­sprüchen einmal ausgehen könnte, seien diese nach § 11 des Ar­beitsvertrages ver­fallen, weil sie erstmals mit Schriftsatz vom 28.05.2013 geltend gemacht worden seien.

29

Das die Klage insgesamt abweisende Urteil des Arbeitsgerichts vom 24.09.2013 (vgl. Bl. 183 - 193 d.A.) geht davon aus, dass der Klägerin weder ein Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen das Arbeitszeitgesetz aus §§ 280, 282 in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB, noch aus § 823 Abs. 1 BGB sowie auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Ar­beitszeitgesetz, dem Nachweisgesetz oder dem UWG zustehe.

30

Ein Schadensersatzanspruch bestehe nämlich schon deshalb nicht, weil von der Klägerin ein entsprechend zu ersetzender Schaden nicht dargelegt wor­den sei. Bis Ende 2001 seien nämlich bei einer Pflichtverletzung im Sinne einer positiven Vertragsverlet­zung (pVV) für die Zubilligung eines Ersatzan­spruchs die Entste­hung sowie der Nachweis eines Schadens erforderlich gewesen. Dies verhalte sich seit 01.01.2002 mit Inkrafttreten der Schuld­rechtsmodernisierung bei § 280 BGB als Nachfolgebestimmung zur pVV nicht anders. Gleiches gelte für einen Schadensersatzan­spruch basierend auf § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB.

31

Ein Anspruch auf Schadensersatz lasse sich auch nicht auf § 253 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB wegen eines Schadens, der nicht Vermö­gensschaden ist, begründen. § 253 Abs. 1 BGB gewähren nämlich nur eine Entschädigung in denen durch das Gesetz bestimmten Fällen. Eine Entschädigungspflicht selbst bei Vorliegen eines Ver­stoßes gegen das Arbeitszeitgesetz, das La­denschlussgesetz oder das UWG sei jedoch nicht vorgesehen, weil eine sol­che Norm nicht existent sei. Allgemeine im BGB enthaltene Scha­denser­satznormen wie ein Schmerzensgeldanspruch nach § 253 Abs. 2 BGB set­zen aber, anders als etwa die Norm des § 15 Abs. 1 AGG, das Vorliegen eines vermögensrechtlichen Schadens vo­raus. Das Vorliegen eines solchen Schadens habe die Klägerin aber nicht darlegen können. Es sei auch kein nichtvermögens­rechtlicher Schaden als Voraussetzung für § 253 Abs. 1 BGB in der Form entstanden, dass man von entgangener Lebenszeit spre­chen kann. Eigenem Bekunden zufolge sei jede von der Klä­gerin geleistete Ar­beitsstunde auch tatsächlich ordnungsgemäß abgerechnet und von der Be­klagten auch vergütet worden. Im Ar­beitsleben gebe es keine entgangene Lebenszeit. Der Arbeitgeber schulde für tatsächliche Beschäftigungen Lohn­zahlung. Auch bei einer Beschäftigung über das übliche, arbeitsvertraglich oder tarif­vertraglich oder gesetzlich zulässige Maß hinaus schulde der Ar­beitgeber nach § 612 BGB die Vergütung. Zudem ergebe sich der Lohnan­spruch aus § 611 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsver­trag auch für Über­stunden und Mehrarbeit.

32

Ein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz selbst sei nach den Ausführungen im Urteil nicht gegeben. § 3 Satz 2 Arbeitszeitge­setz lasse die Möglichkeit der Verlängerung der üblichen werktäg­lichen Arbeitszeit von 8 Stunden auf bis zu 10 Stunden zu. Aller­dings dürfen dann innerhalb von 6 Kalendermo­naten bzw. 24 Wo­chen im Durchschnitt 8 Stunden pro Werktag nicht über­schritten werden. Diese Voraussetzung sei erfüllt, wenn die Summe der vom einzelnen Arbeitnehmer geleisteten Arbeitsstunden die Summe der für ihn in diesem Zeitraum zulässigen Stunden nicht überschreitet. Die Monatsauf­zeichnungen der Beklagten zeigten, dass die Klägerin in keinem Monat mehr Arbeitsstunden geleistet habe als sie arbeitsvertraglich dazu Verpflichtung gehabt hätte. Die Klägerin habe sich nämlich aufgrund der ihr gewährten Aus­gleichstage stets wöchentlich im zulässigen Rahmen bei ihrer Ar­beits­leistung befunden. Die Klägerin habe allerdings diesen Um­stand verkannt, weil sie die Ausgleichstage bei ihren Überlegun­gen nicht berücksichtigt habe. Sie habe lediglich die Tage heran­gezogen für ihre Berechnung, an denen sie tatsächlich gearbeitet hat. Dies seien im Durchschnitt 9,5 Stunden gewesen. Nur des­halb habe sie Werte ermitteln können, die oberhalb der gesetzli­chen Vorgaben des § 3 Arbeitszeitgesetz liegen. Das Arbeitszeitge­setz gehe aber von 6 Werktagen zu je 8 Stunden, mithin also von 48 Stun­den pro Woche aus; es liege gerade nicht Arbeitstage zu Grunde. Es liege höchst Arbeitszeiten fest, deren Grenzen nicht überschritten werden darf. Von der Durchführung eines so genannten Günstigkeitsvergleichs könne nicht ausge­gangen werden. Obwohl in der jeweiligen Woche nach den Vor­gaben des Arbeitszeitgesetzes 60 Stunden an Arbeitsleistung zu­lässig ge­wesen wären, habe die Klägerin lediglich ausweislich der Zeiterfassung in 3 Wochen länger als 48 Stunden gearbeitet, so dass § 3 Satz 2 Arbeitszeitge­setz nicht verletzt worden sei.

33

Selbst bei Annahme von 48 Stunden pro Woche, also nach dem Arbeitszeit­gesetz zulässige Höchstgrenze, wäre zu Gunsten der Klägerin nicht von ei­nem durchsetzbaren Schadensersatzan­spruch auszugehen. Jede über 48 Stunden pro Woche geleistete Arbeitsstunden wäre bei dieser Betrachtung zunächst als Verlet­zung von § 3 Arbeitszeitgesetz anzusehen, wenn man der Dar­stellung der Klägerin folgen wollte. Aber auch hier hätte die Kläge­rin ei­nen Schaden zunächst einmal darlegen müssen. Zudem wäre ein solcher Schadensersatzanspruch nach § 11 Arbeitsver­trag verfallen gewesen weil eine Geltendmachung erstmals mit der Klageerweiterung vom 28.05.2013 erfolgt sei.

34

Nach den Ausführungen des Arbeitsgerichts im Urteil liege auch kein Ver­stoß gegen das Ladenschlussgesetz oder das UWG vor.

35

Die Klägerin und Berufungsklägerin ist der Ansicht, dass das Ar­beitsgericht den Ansatz für den von ihr geltend gemachten Scha­densersatzanspruch nicht richtig erkannt habe.

36

So lasse sich der Schadensersatzanspruch direkt aus der Euro­päischen Ar­beitszeitrichtlinie, der RL 2003/88/EG, ableiten wenn ein Arbeitgeber hin­sichtlich der dort vorgegebenen Höchstarbeits­zeit gegen Union im Einzelar­beitsverhältnis verstoßen habe. Hierzu beruft sich die Klägerin auf ein Urteil des EuGH vom 25.11.2010 unter dem Aktenzeichen C- 429/09.

37

Das Arbeitsgericht habe die Bedeutung des Arbeitszeitgesetzes als Schutz­gesetz vollkommen verkannt. So habe es fehlerhaft da­rauf hingewiesen, dass eine Darlegung eines Schadens nicht er­folgt sei. Dabei habe das Ar­beitsgericht den Vergütungsanspruch für erbrachte Mehrarbeit verwechselt mit dem von der Klägerin verfolgten Anspruch auf Schadensersatz bei Ver­stoß gegen Ar­beitnehmerschutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes. Vor diesem Hintergrund gingen die Ausführungen im Urteil zu § 253 BGB ebenso wie diejenigen zu § 612 BGB an der Sache vorbei. Ausrei­chend für das Entstehen eines Schadensersatzanspruchs sei be­reits der Verstoß ge­gen § 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz. Dabei sei es ohne Belang, ob der Arbeit­nehmer die von ihm geforderte und ab­geleistete Mehrarbeit tatsächlich ver­gütet erhalten habe, oder ob der Arbeitnehmer mit der Ableistung der Mehr­arbeit einverstanden war. Im Urteil habe das Arbeitsgericht lediglich lapidar unter Hin­weis auf die Zeiterfassung einen Verstoß gegen das Arbeitszeit­gesetz abgelehnt. Angeblich habe die Klägerin im Durchschnitt nicht mehr als 8 Stunden Arbeit geleistet, wobei allerdings das Urteil gerade nicht auf den Unterschied zwischen täglicher Ar­beitszeit und durchschnittlicher werktägli­che Arbeitszeit des § 3 Arbeitszeitgesetz eingegangen sein. Eine ökonomi­sche Betrach­tungsweise der Arbeitszeit verbiete sich nämlich unter dem Ge­sichtspunkt, dass das Arbeitszeitgesetz ein Arbeitnehmerschutz­gesetz sei. Dieser Gesichtspunkt werde auch im Erwägungsgrund 4 zur RL 2003/88/EG letztlich bestätigt. Auch finde diese Überle­gung der Klägerin nach ihrer An­sicht eine Stütze in Art. 31 Abs. 1 EU-Grundrechts-Charta. Das deutsche Arbeitszeitgesetz bleibe dem gegenüber schon in seiner Zwecksetzung hin­ter der Europäi­schen Arbeitszeitrichtlinie zurück, da gemäß § 1 Nr. 1 Halb­satz 1 Arbeitszeitgesetz nur die Gewährleistung von Sicherheit und Ge­sund­heitsschutz festgeschrieben sind. Auch die 2. Zweckbestim­mung des deut­schen Gesetzes, nämlich die Verbesserung der Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten in § 1 Nr. 1 Halb­satz 2 Arbeitszeitgesetz sei vom Ar­beitsgericht verkannt worden. In § 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz sei nämlich die Verankerung des 8-Stunden-Tages vorgenommen worden mit einem Ansatz an werktägliche Arbeitszeit. Demgegenüber sei der Ansatz der Euro­päischen Arbeitszeitrichtlinie in Art. 6 bder Arbeitstag, so dass bei Überschreitung eines 8-Stunden-Tages ein Ausgleich innerhalb einer Woche nach Auffas­sung der Klägerin stattzufinden habe. Es sei deshalb nach Meinung der Klä­gerin auf die faktische Arbeits­woche, also bei der Klägerin teilweise auf die 4-Tage-Woche, ab­zustellen. Demgegenüber ergebe sich bei 48 Stunden in einer 6-Tage-Woche deshalb bei Annahme tatsächlich erbrachte Arbeits­leistung in einer 5-Tage-Woche immer noch eine Arbeitszeit von 9 Stunden 20 min/Tag als Höchstgrenze, so dass niemals die von § 3 Satz 1 Arbeits­zeitgesetz vorgegebenen 8 Stunden eingehalten würden. Bei Anwendung der Ausnahmeregelung des § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz komme die Rege­lung des § 3 Satz 1 Arbeitszeit­gesetz mit 8 Stunden/Tag zu dem niemals zum tragen. In § 3 Ar­beitszeitgesetz sei aber kein Hinweis enthalten auf eine durch­schnittliche werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden. Es werde vielmehr klar definiert, dass eine werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden vorgeben sei. Es erfolge also keine Umlegung der recht­lich bei 6 Werktagen möglichen 48 - 60 Stunden auf die individuell tatsächlich geleisteten 5 Werktage pro Wo­che. Es gebe also 2 offene Fragen bezüglich § 3 Arbeitszeitgesetz. Zum ei­nen stelle sich das Problem, dass eine Umlage der bei 6 Werktagen zulässi­gen 8 Stunden pro Werktag auf die nur geleisteten 5 Arbeitstage bei einer Verlängerung bis zu 10 Stunden pro Werktag und ent­sprechender Umlegung auf 5 Arbeitstage zu einer Belastung von 11 Stunden 40 Min. führen würde. Der 2. Bereich sei der Bezugs­zeitraum für den zu schaffenden Ausgleich. Dieser sei nach § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz auf 6 Monate angelegt wohin­gegen Art. 17 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 19 Absatz 1 RL 2003/88/EG le­diglich einen Ausgleichszeitraum von 4 Monaten vorsieht. Damit ergebe sich aber auch, dass die Vorschrift des § 3 Satz 2 Arbeits­zeitgesetz bezüglich des 6-Monats-Zeitraums als europarechtswid­rig einzustufen sei.

38

Die Klägerin geht auch in 2. Instanz davon aus, dass es einer Darlegung ei­nes gesonderten materiellen Schadens nicht bedürfe. Insoweit habe der EuGH in seinem Urteil vom 25.11.2010 unter dem Aktenzeichen C-429/09 den Verlust der Ruhezeit als ausrei­chend angesehen für die Annahme eines Schadensersatzan­spruchs. Jede von der Klägerin über die Grenze von § 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz hinaus geleistete Arbeitsstunde führe zu einem Verlust an Ruhezeit und stelle somit einen auszugleichenden Schaden dar.

39

Unter dem Aspekt, dass § 3 Arbeitszeitgesetz ein Schutzgesetz darstelle, könne die Klägerin auch auf § 823 Abs. 2 BGB gestützt ihren Schaden ge­genüber der Beklagten geltend machen. Dafür sei es unerheblich, ob mögli­che Ersatzansprüche gegen den Bund oder ein Bundesland gegeben seien wegen Nichtbeachtung der Vorgaben in der RL 2003/88/EG.

40

Den Hinweis des Arbeitsgerichts auf § 11 des Arbeitsvertrages halte die Klä­gerin für belanglos, weil diese Bestimmung auf den vorliegend geltend ge­machten Anspruch keine Anwendung finde. Es gehe nicht um die Abgeltung von Überstunden, sondern um die Geltendmachung von Schadensersatzan­sprüchen. In § 11 sei kein Hinweis enthalten dahingehend, dass diese Aus­schlussfristklausel sich auch auf deliktische Ansprüche beziehen soll.

41

Letztlich hätte das Arbeitsgericht Veranlassung gehabt und des­halb auch die Verpflichtung hierzu eine Vorlage nach Art. 267 AEUV an den EuGH zu ma­chen.

42

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,

43

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Saarbrü­cken vom 24.09.2013 – 5 Ca 589/13 - , zu­gestellt am 07.10.2013, die Beklagte und Beru­fungsbeklagte kosten­pflichtig zu verurteilen,

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wegen des Verstoßes gegen das Arbeitsschutz­gesetz an die Klägerin Schadensersatz zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts ge­stellt wird, wobei ein Be­trag von 10.000,00 € nicht unterschritten werden sollte,

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zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Antrag­stellung.

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Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte ist auch in 2. Instanz der Überzeugung, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Schadensersatz, wegen eines Verstoßes gegen das Arbeits­zeitgesetz zu, da ein solcher Verstoß keines­wegs ersichtlich sei. Aus der Entscheidung des EuGH im Urteil vom 25.11.2010 mit dem Aktenzeichen C-429/09 könne nichts abgeleitet werden, was zu Gunsten des von der Kläge­rin rekla­mierten Anspruchs spreche. Selbst bei Annahme, dass die Ent­scheidung im Sinne der Klägerin ausgefallen wäre, dass sich also ein Ar­beitnehmer auf Union berufen könne, um die Haftung der Behörden des be­treffenden Mitgliedstaates auszulösen und so Ersatz seines Schadens er­langen könne, der ihm durch Verstoß gegen die Bestimmungen entstanden sei, führe dies nicht zur An­nahme eines Schadensersatzanspruchs der Klä­gerin. Die Ent­scheidung des EuGH betreffe nur die Haftung und Schadens­er­satzverpflichtung einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung, weil der Fall ei­nes Feuerwehrmanns im Einsatzdienst der Stadt Halle als öffentlich-rechtli­che Arbeitgeberin zur Beurteilung angestanden habe. Damit sei die vertikale Gebundenheit und somit die Auswir­kungen einer europäischen Richtlinie auf ein öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis angesprochen. Hier gehe es je­doch um ein pri­vatrechtliches Verhältnis zwischen der Klägerin und der Be­klagten. Eine unmittelbare Wirkung werde aber nach Überzeugung der Be­klagten den Richtlinien der EU im Verhältnis der Bürger unterei­nander vor ihrer Umsetzung durch den jeweiligen Mitgliedstaat nicht beigemessen. Dar­über hinaus habe der Europäische Ge­richtshof in der von der Klägerin zi­tierten Entscheidung gerade festgehalten, dass die RL 2003/88/EG keine Bestimmung zu den Sanktionen enthalte. Es sei also gerade keine spezielle Regelung zum Ersatz des Schadens in dieser Richtlinie enthalten, wenn ge­gen die Richtlinie verstoßen werde. Mithin fehle es, wie das Ar­beitsgericht im Urteil ausgeführt habe, an der Darlegung eines durch den angeblichen Ver­stoß bei der Klägerin eingetretenen Schadens. Das EuGH-Urteil entbinde aber den Betroffenen ge­rade nicht von der Pflicht zur Darlegung eines durch den Verstoß gegen Union entstandenen und dann zu ersetzenden Scha­dens.

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Nach Überzeugung der Beklagten sei aber darüber hinaus auch gar kein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitszeitge­setz in Verbindung mit der RL 2003/88/EG oder aber direkt gegen die RL 2003/88/EG durch die Beklagte mit dem von der Klägerin verlangten Einsatz begangen worden.

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Ein Verstoß gegen § 3 Arbeitszeitgesetz sei jedenfalls nicht zu verzeichnen. Grundsätzlich lasse § 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz eine Überschreitung der Arbeitszeit von 8 Stunden pro Werktag nicht zu. Allerdings führe § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz dazu, dass eine Verlängerung auf bis zu 10 Stunden pro Werktag zulässig wird, wenn im Ausgleichszeitraum insgesamt nicht mehr als 8 Stunden im Durchschnitt pro Werktag anfallen. Es könne also im Un­ter­schied zur Auffassung der Klägerin gerade nicht davon gespro­chen wer­den, dass der 8-Stunden-Tag als gesetzliche Regelar­beitszeit festgelegt sei. Die einzige Voraussetzung für die Verlän­gerung über 8 Stunden hinaus sei, dass ein Ausgleich von Mehr­arbeit in dem in § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz definierten Aus­gleichszeitraum erfolge. Somit sei entgegen der Darstellung der Klägerin § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz auch keine Ausnahmeregel, auf die nur gelegentlich zurückgegriffen werden dürfe. Es sei auch nicht auf die indi­viduelle Arbeitswoche eines Arbeitnehmers abzu­stellen, wie sich aus dem klaren Wortlaut des § 3 Arbeitszeitge­setz mit seiner Bezugnahme auf den Werktag und nicht auf den Arbeitstag ergebe. Damit hätte die Klägerin bei ihrer Betrachtung die ihr gewährten Tage mit berücksichtigen müssen. Eine Um­rechnung der Höchstgrenzen für die Arbeitszeit nach dem Arbeits­zeitge­setz auf die individuell von der Klägerin geleisteten Arbeits­tage sei jedenfalls verfehlt. Das Arbeitszeitgesetz gehe von 6 Werktagen aus, so dass zwischen 48 Stunden pro Woche und 60 Stunden pro Woche, letzteres bei entspre­chendem Ausgleich im Ausgleichszeitraum, rechtlich zulässig seien.

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Ein Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben aus Art. 16 lit.b RL 2003/88/EG sei ebenfalls nicht zu verzeichnen. Hiernach sei es zulässig, 48 Stunden innerhalb eines 7-Tages-Zeitraums bei Ab­stellen auf einen Bezugs­zeitraum von 4 Monaten als Grenze Ar­beit von Arbeitnehmern leisten zu las­sen. Diese Regelung stelle ein Mittel der Flexibilisierung der Arbeitszeit dar. Die Beklagte habe gegen diese Vorgaben, wie sich aus den Ausdrucken aus dem bei der Beklagten installierten Zeiterfassungssystem ergebe, hinsicht­lich der Arbeitszeit der Klägerin nicht verstoßen. Lediglich in den 3 bereits erstinstanzlich bezeichneten Wochen sei bezogen auf 6 Werktagen eine ge­ringfügige Überschreitung von 48 Stun­den vorgekommen. Der Ausgleich sei der Klägerin aber innerhalb des europarechtlich vorgegebenen 4-Monats-Zeitraums gewährt worden. Das faktische Vorliegen einer 5-Tage-Woche, oder dasje­nige einer 4-Tage-Woche, kraft Vereinbarung im Arbeitsverhältnis sei nach Überzeugung der Beklagten kein Gegenargument gegen die An­knüpfung an das Arbeitszeitgesetz. Bei mehr als 8 Stunden Arbeitszeit werde durch freie Tage ein Ausgleich gewährt, damit der Gesundheitsschutz zu Gunsten des Arbeitnehmers eingehal­ten werde. Jedenfalls sei zu keinem Zeitpunkt eine Überschreitung der nach dem Arbeitszeitgesetz festgelegten Höchstgrenzen von 48 - 60 Stunden pro 6 Werktage zu verzeichnen gewe­sen. Die Klägerin habe auch an keinem Arbeitstag 10 Stunden als Grenze mit ihrer Arbeitsleistung überschritten. Mithin sei die Beklagte der Ansicht, dass selbst bei angenommener teilweiser Europarechts­widrigkeit des Ar­beitszeitgesetzes der Klägerin dennoch kein Schadensersatzanspruch ge­gen die Beklagten zugebilligt werden könne mangels Vorliegens eines Ver­stoßes gegen die RL 2003/88/EG.

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Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin wären ihre Ansprüche auf Scha­densersatz, wenn sie den überhaupt entstanden wären, nach § 11 des Ar­beitsvertrages verfallen, weil Ausschlussfristen sich auch auf deliktische Schadensersatzansprüche erstrecken dürfen.

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Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die gewechsel­ten Schriftsätze in beiden Instanzen sowie auf die je­weiligen Sitzungsnieder­schriften verwiesen und das Urteil des Ar­beitsgerichts in Bezug genommen.

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Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 2 b Ar­bGG statthaft. Sie ist gemäß den §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit den §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form fristgerecht eingelegt und begründet worden.

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II.Die Berufung der Klägerin bleibt jedoch ohne Erfolg. Der Klägerin steht nämlich der von ihr gegenüber der Beklagten gel­tend gemachte Scha­densersatzanspruch basierend auf von ihr behaupteten Verletzungen ar­beitszeitrechtlicher Vorgaben nicht zu. Dem Erfolg eines von der Klägerin reklamierten Schadenser­satzanspruches steht zunächst bereits offensicht­lich losgelöst von der Prüfung, ob eine bundesgesetzliche oder europarecht­liche Arbeitszeitregelung als Schutzgesetz für Arbeitnehmer und deren Ge­sundheit verletzt ist oder nicht, die fehlende Darlegung eines bei der Klägerin eingetretenen Schadens entgegen (dazu weiter unter 1.). Es liegen aber auch die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280, 282 i.V.m. § 241 Abs.2 BGB, aus § 823 Abs.1 BGB oder § 823 Abs.2 BGB nicht vor, weil die Beklagte mit dem von der Klägerin abverlangten Arbeits­einsatz keineswegs gegen Vorgaben aus §§ 1, 3 ArbZG verstoßen hat (dazu weiter unter 2.). Ferner liegt auch kein Verstoß gegen Art. 6 b, 16 b und 19 RL 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 EU-GRCharta vor (dazu weiter unter 3.). Ein Verstoß gegen § 17 LadenschlG oder UWG ist ebenfalls nicht zu ver­zeichnen (dazu weiter unter 4.). Letztlich liegt eine Vorlageverpflichtung an den EuGH nicht vor (dazu weiter unter 5.).

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1.Der Berufung der Klägerin ist bereits deshalb schon der Erfolg zu versagen, weil der von ihr geltend gemachte Schadens­ersatzanspruch trotz schon in 1. Instanz erfolgter Hinweise nur unvollständig dargelegt worden ist. Zu den, einen solchen An­spruch begründenden Voraussetzungen, zählt nach all den hier in Betracht kommenden Normen auch die Darlegung, dass bei Ver­letzung einer Vorschrift, losgelöst ob eine gesonderte Darlegung ei­nes irgendwie gearteten Grades des Verschuldens bei der Ver­letzungs­handlung notwendig wird, auch adäquat kausal bei der Klägerin ein Schaden verursacht wurde. Die reine Behauptung in 1. Instanz, der Verlust an Le­benszeit in Folge der behaupteten Überschreitung zulässiger Arbeitszeit­grenzen, oder die Behaup­tung in 2. Instanz, der Verlust an Ruhezeit, stellten eine ausrei­chende Darlegung eines Schadens dar, ist nach Auffassung der Kammer nahezu offensichtlich nicht ausreichend, um im Rahmen einer ge­richtlichen Überprüfung das tatsächliche Vorhandensein eines Schadens bei der Klägerin bejahen zu können. Jedenfalls kann hieraus nicht abgeleitet werden, die Beklagte sei verpflichtet einen Schaden in Höhe von mindestens 10.000,00 € auszuglei­chen. Selbst wenn man noch der Klägerin - entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts und der erkennenden Kammer des Landes­arbeitsgerichts - in ihrer Auffassung Folge leisten wollte, dass die reine Ver­letzungshandlung arbeitszeitrechtlicher Vorgaben zu Höchstgrenzen auto­matisch zu einem zu ersetzenden Schaden führen würde, fehlt jegliche nachvollziehbare Darlegung, warum der Verlust von Lebenszeit bzw. der Verlust von Ruhezeit einem wertmäßigen Ausgleich entsprechen soll, wel­cher in angeblich er­sparten Aufwendungen durch Unterlassen der Einstel­lung einer zusätzlichen Arbeitskraft zur Unterstützung und zeitlichen Entlas­tung der Klägerin besteht.

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Betrachtet man sich die Voraussetzungen für einen Schadenser­satzan­spruch nach §§ 280, 282 in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB, so ist allge­mein anerkannt, dass zur schlüssigen Darlegung eines Anspruchs auch eine nachvollziehbare Beschreibung des entstandenen Schadens sowie des dar­aus resultierenden finanzi­ell begehrten Ausgleichs gehört. Für den Umfang des Schadens trägt der Geschädigte, wenn keine Sonderregeln bestehen, ge­nauso die Behauptungs- und Beweislast wie für alle anderen an­spruchs­begründenden Tatsachen, insbesondere für den haftungs­begründenden Tatbestand (vgl. Schiemann in Staudinger, Kom­mentar zum BGB, Neube­arbeitung 2005, Rn 88 zu den Vorbemer­kungen zu §§ 249 – 254 BGB; Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. München 2012, Rn 481 zu § 280 BGB). Glei­ches gilt für einen Schadensersatzanspruch basie­rend auf uner­laubte Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB bzw. bei Verletzung ei­nes anerkannten Schutzgesetzes im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. München 2012, Rn 482 zu § 280 BGB).

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Auch wenn man vom Ersatz immaterieller Schäden über § 253 Abs. 1 und 2 BGB ausgehen wollte, wäre es Sache der Klägerin gewesen, nachvollzieh­bare Anhaltspunkte für bei ihr entstandene Schäden zu liefern. Dies gilt ins­besondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin eigenem Bekunden zu­folge jede von ihr tatsäch­lich abgeleistete Arbeitsstunden auch vergütet er­halten hat. Sie hat darüber hinaus ausweislich der von ihr selbst eingereich­ten Arbeitszeitnachweise (vgl. Bl. 25 – 92 d.A.), wie auch unter Be­rücksichti­gung der von der Beklagten in den Streitstoff eingeführ­ten Ausdrucke aus dem Zeiterfassungssystem (vgl. Bl. 121 – 151 d.A.), an keinem einzigen Ar­beitstag eine arbeitszeitliche Grenze von 10,0 Stunden überschritten. Es kann also wegen ihres gleich­förmigen Einsatzes im Einzelhandel keines­wegs angenommen werden, dass die Klägerin tatsächlich im Unterschied zu der durchaus denkbaren Situation bei etwa in Wechselschicht be­schäftigten Arbeitnehmern mit zusätzlichen Einsatzbereitschaften einen Verlust von Le­benszeit oder einen solchen von Ruhezeit erfahren hat. Mit den Ausführun­gen des Arbeitsgerichts geht auch die erkennende Kammer davon aus, dass es im Arbeitsleben vom Grundsatz her immer einen Verlust von Lebenszeit geben wird, der jedoch nicht zu einem ersatzfähigen Schaden führt, für den der Arbeitgeber über die für diese von Arbeitnehmern aufge­wandte Lebens­zeit vereinbarte Vergütung hinausgehend finanziell einzustehen hat. Die ge­leistete Arbeit selbst dient nämlich für die wohl weitaus überwiegende Zahl arbeitender Menschen dazu, die nötigen finanziellen Mittel zur Lebensfüh­rung zu erwirtschaften. Bei von der Klägerin einmal zu ihren Gunsten unter­stellt regelmä­ßig gearbeiteten 9,5 Stunden / Einsatztag zzgl. 1 Stunde Pause bleiben selbst unter großzügiger Bemessung der aufzuwenden Zeit für die wegen der relativ kurzen Distanz zwischen der Woh­nung der Klägerin in der M.-straße in S. (C. – 6…) und ihren bei­den Haupteinsatz­stellen G. sowie bei K. – beide in der B.-­straße in S. (C. – 6…) - vermutlich fußläufig zurückzulegende Wegstrecke immer noch deutlich mehr als 10 Stunden Ruhezeit pro Ein­satztag bis zum Beginn ihrer Arbeit am nächsten Arbeitstag übrig. Bei die­ser Betrachtung ist dann sogar noch völlig unberücksichtigt, dass der Klägerin auch freie Tage als Ausgleich gewährt worden sind. Dass es z.T. nur 4 Ein­satztage in einer Woche gab, wird auch von der Klägerin letztlich nicht be­stritten, weil sich dies unschwer aus den von ihr selbst gem. § 2 Abs.3 des Arbeitsvertrages geführten Arbeitszeitnachweisen wie auch aus den Ausdru­cken aus dem Zeiterfassungssystem selbst ergibt.

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Auch der Rückgriff der Klägerin auf die Entscheidung des EuGH vom 25.11.2010 – C- 429/09 - (in NZA 2011 Seite 53-60) vermag der Klägerin die Notwendigkeit der Darlegung eines bei ihr ent­standenen Schadens nicht zu nehmen. Der Europäische Ge­richtshof hat nämlich festgehalten, dass die europäische Kommis­sion zu Recht ausgeführt habe, dass die RL 2003/88/EG (also die Arbeitszeitrichtlinie) keine Bestimmung zu den Sankti­onen, die bei einem Verstoß gegen die Vorschriften Anwendung finden, ent­halte. Es gebe also keine spezielle Regelung zum Ersatz des Schadens, der den Arbeitnehmern durch diesen Verstoß möglich­erweise entstanden ist (vgl. EuGH Urteil vom 24.11.2010 C-429/09 – in NZA 2011, Seite 53 - 60 - Rn. 44 bei juris). Dabei wurden 3 Voraussetzungen für einen Entschädigungsan­spruch aufgestellt. Die 1. Voraussetzung besteht darin, dass die Unions­norm, gegen die verstoßen worden ist, die Verleihung von Rechten an die Ge­schädigten bezwecken muss. Die 2. Voraussetzung für einen Ent­schädi­gungsanspruch sieht der EuGH darin, dass der Verstoß ge­gen diese Norm hinreichend qualifiziert sein muss. Als 3. Voraus­setzung muss zwischen die­sem Verstoß und dem den Geschä­digten entstandenen Schaden ein unmit­telbarer Kausalzusam­menhang bestehen (vgl. EuGH aaO. - Rn. 47 bei juris). Dem so Geschädigten kommt dabei lediglich eine Erleichterung dahinge­hend zu Gute, dass die Verpflichtung zum Ersatz der dem einzel­nen ent­standenen Schäden nicht von einer an den Verschuldens­begriff geknüpften Voraussetzung abhängig gemacht werden darf, die über den hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Union hinausgeht (vgl. EuGH aaO - Rn. 67 bei juris). Soweit es um die Frage geht, in welcher Form und in welchem Umfang Schadens­ersatz zu leisten ist, hat der EuGH festgelegt, dass es in Erman­gelung von Union auf diesem Gebiet Sache des nationalen Rechts des betroffenen Mitgliedstaats ist, unter Beachtung des Äquiva­lenz- und des Effektivitätsgrundsatzes zu bestimmen, ob der Er­satz des Schadens, der einem Arbeitnehmer durch den Verstoß gegen eine Vorschrift des Unions­rechts entstanden ist, diesem Arbeitnehmer in Form von Freizeitausgleich oder in Form einer finanziellen Entschädigung zu gewähren ist. Es ist dabei ebenfalls Sache des nationalen Rechts des betroffenen Mitgliedstaats, die dazu erforderlichen Regeln für die Art und Weise der Berechnung der Höhe festzulegen. Die in den Artikeln 16 - 19 der RL 2003/88/EG vorgesehenen Bezugszeiträume seien in diesem Zu­sammenhang nicht relevant (vgl. EuGH aaO - Rn. 98 bei juris).

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Es kann also keine Rede davon sein, dass das Arbeitsgericht die Unter­scheidung zwischen einem hier geltend gemachten Entschä­digungsan­spruch für angebliche Verletzung von Arbeitszeitvor­schriften mit einem nor­malen Ersatzanspruch wegen etwa nicht vollständig gezahlter Vergütung nicht sauber auseinandergehalten habe, weil nach den vorstehenden Aus­führungen deutlich zu Tage tritt, dass selbst unter Beachtung europarechtli­cher Vorgaben im Bereich der Arbeitszeit der alleinige Verstoß gegen eine Norm noch nicht automatisch den möglicherweise Geschädigten davon ent­bindet, den bei ihm eingetretenen Schaden in irgendeiner Weise näher dar­zulegen. Das Arbeitsgericht hat insofern völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass bei den hier in Betracht zu zie­henden Normen, die dem Schutz von Ar­beitnehmern gegen Ver­letzung von Arbeitszeitgrenzen bezwecken, eine etwa der Be­stimmung des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG vergleichbare Regelung fehlt, die es einem Arbeitnehmer entbehrlich macht, den Schaden und des­sen Höhe näher darzulegen und gegebenenfalls im Falle eines Bestreitens auch unter Beweis zu stellen.

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Soweit im Rahmen der mündlichen Erörterungen vor der erken­nenden Kammer am 09.04.2014 als mögliche Schädigung der Klägerin auf gesund­heitliche Aspekte hingewiesen worden ist, die aus der als Uhrmacherin bei ihrer Arbeit einzunehmende ge­krümmte, sitzende Haltung mit einem Lupen­glas vor einem Auge herrühren, kann dieser Aspekt aus zwei Gesichtspunk­ten nicht herangezogen werden von der Klägerin, um nunmehr im Beru­fungsverfahren den erstinstanzlich durch Urteil versagten Scha­densersatz­anspruch dennoch begründen zu können. Abgesehen davon, dass die Tätig­keit der Klägerin unter anderem im Aus­wechseln von Batterien in Armband­uhren sowie dem Wechsel von Uhrenarmbändern bei der Beklagten gelegen hat, hat die Klägerin keinerlei Tatsachen angedeutet, die die Möglichkeit der Verletzung von Arbeitsschutzgesichtspunkten für die Einrichtung des der Klä­gerin zur Verfügung gestellten Arbeitsplatzes erkennen lassen würden. Vielmehr handelt es sich bei der geschilderten Tätigkeit und vor allem bei der Art und Weise, wie diese zu erbringen ist, um eine innerhalb des Berufs­bilds des Uhrmachers typische Ar­beitsweise. Die Zuhilfenahme eines Lu­penglases ergibt sich aus der menschlichen Unzulänglichkeit, miniaturisierte Schrauben, Federn und Zahnrädchen über eine längere Arbeitszeit hinweg mit bloßem Auge nicht so exakt erkennen zu können, dass mechani­sche Fehleingriffe in die Funktionsfähigkeit eines Uhrwerks sicher zu vermeiden sind. Zum anderen steht aber § 67 Abs. 4 ArbGG bereits einer Verwertbar­keit dieses Gesichtspunkts entgegen. Die Klägerin hat über die gesamte Laufzeit des erstinstanzlichen Ver­fahrens einzig und allein die Aspekte des Arbeitszeitrechts in ih­rem Arbeitsverhältnis zum Gegenstand des Ansatzes ihres Scha­densersatzanspruchs gemacht. Gleiches gilt für die Berufungsbe­gründungsschrift. Auch hier sind nur Aspekte des deutschen und europäi­schen Arbeitszeitrechts und deren mögliche Verletzung durch die Beklagte als Argumente für einen Schadensersatzan­spruch von der Klägerin vorge­bracht worden.

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2.Die weiteren Ausführungen erfolgen in erster Linie zur Abrundung der sich bereits nach den zu 1. gemachten Ausführun­gen hinsichtlich des Fehlens einer Darstellung eines bei der Kläge­rin eingetretenen (immateriel­len) Schadens ergebenden Unbe­gründetheit der eingelegten Berufung. Die von der Klägerin wäh­rend ihrer zweijährigen Tätigkeit bei der Beklagten ab­verlangten und von ihr auch tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten sind im Un­terschied zur Auffassung der Klägerin keineswegs unter Verlet­zung der §§ 1, 3 Arbeitszeitgesetz erbracht worden.

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a)Nach § 3 S. 1 Arbeitszeitgesetz beträgt die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer 8 Stunden, wobei diese zeitliche Grenze zunächst nach dem Text von Satz 1 auch nicht über­schritten werden darf. Entsprechend der Definition in § 3 Abs. 2 Bundesurlaubsgesetz gelten als Werktage alle Ka­lendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind. Innerhalb einer Ka­lenderwoche gibt es also typischerweise 6 Werktage von montags bis samstags. In der Konsequenz bedeutet dies, dass bei einem pro Werktag nach Satz 1 angegebenen maximalen 8-Stunden-Tag und 6 Werktagen in der Woche grundsätzlich eine maximale wö­chentliche Arbeitszeit von 48 Stunden durch § 3 Satz 1 Arbeits­zeitgesetz in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Bundesurlaubsgesetz de­finiert ist.

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§ 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz lässt dann aber im Sinne der Ermögli­chung ei­nes flexibleren Arbeitseinsatzes von Arbeitnehmern eine Verlängerung bis zu 10 Stunden zu, wenn innerhalb von 6 Kalen­dermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten wer­den. Gerade zu dieser Bestimmung von § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz ist aber anzumer­ken, dass es sich um eine Norm handelt, welche in Ablösung der früheren Arbeitszeitordnung, den Einstieg für Arbeitgeber in eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung ermöglichte ohne die bis zum In­krafttreten des Arbeits­zeitgesetzes gemäß § 15 Abs.2 Arbeitszeit­ordnung (gültig bis 30.06.1994) für Arbeitseinsätze über 8 Stunden am Arbeitstag hinausgehend geltende Zuschlagspflicht bei der Vergütung in Höhe von 25 %. Es kann daher gerade über § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz zur Einführung verschiedener Modelle kom­men wie etwa Gleitzeit, Überarbeit, Vor- und Nacharbeit sowie Nebenar­beit, solange am jeweiligen Tag die Arbeitszeit ohne Pau­sen sich in der Grenze von 10 Stunden hält. Im Rahmen einer Woche kann daher auch an nur 4 Tagen vom Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in einem Umfang von 10 Stunden eingefordert werden entsprechend den mit ihm getroffenen Verein­barungen. Der Arbeitnehmer leistet dann an 4 Tagen in der Woche eine 40-Stunden-Woche. Über den Ansatz des Arbeitszeitgesetzes am Werktag wird nach dem Arbeitszeitgesetz dennoch die Betrach­tung des Arbeitseinsatzes auf die 6 Werktage einer Woche (excl. Wochen mit einem Feiertag innerhalb der 6 Werktage) verteilt, so dass pro Werktag auch in diesem Fall lediglich 6,66 Stunden ge­arbeitet worden sind ausgehend von der Berechnung: 40 Stunden dividiert durch 6 Werktage. Es sind demnach weit weniger als 8 Stunden, wie dies in der Zusammenschau von § 3 Satz 1 mit § 3 Satz 2 Ar­beitszeitgesetz textlich vorgegeben ist, an Arbeitszeit für einen Werktag ab­gefordert worden (vgl. Neumann / Biebl, Arbeits­zeitgesetz, 15. Aufl. München 2008, Rn 6 zu § 3 ArbZG). Mit der Ablösung der früheren Arbeitszeitordnung durch das Arbeitszeit­gesetz (mit Wirkung zum 01.07.1994) und mit der seit­her beste­henden Möglichkeit, über § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz ohne unmit­telbare Auslösung einer Zuschlagspflicht bei der Vergütung die Arbeitszeit bis zu 10 Stunden pro Einsatz an einem Werktag aus­dehnen zu können, wurde auch der 8-Stunden-Tag als regelmä­ßige werktägliche Arbeitszeit aufgegeben(vgl. Baeck / Deutsch, Arbeitszeitgesetz, 3. Aufl. München 2014, Rn 18 zu § 3 ArbZG; Wank in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl. München 2014, Rn 1 zu § 3 ArbZG).

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b)Betrachtet man unter diesen Gesichtspunkten die von der Klägerin gemäß § 2 Abs. 3 des Arbeitsvertrages von ihr neben dem bei der Beklagten technisiert geführten Zeiterfassungssystem gefertigten manuellen Wochen­arbeitszeitnachweise (vgl. Bl. 25 - 92 d.A.) sowie die entsprechenden Aus­drucke aus dem Zeiterfas­sungssystem für den Zeitraum 02.05.2011 bis 30.04.2013 (vgl. Bl. 121 - 151 d.A.), deren Inhalt auf von der Klägerin nicht in Abrede gestellt wird, wird zum einen deutlich, dass die Klägerin bezogen auf 6 Werktage in einer Regelwoche unter Berücksichtigung auch gewährter Ausgleichstage in keinem Fall die nach § 3 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 Arbeitszeitgesetz zulässige Grenze von 10 Stunden an einem Einsatztag überhaupt nur erreicht hat. Selbst wenn man die von der Klägerin angeführ­ten 9,5 Stunden zu ihren Gunsten einmal als Regeleinsatzzeit zur Grundlage machen wollte, ergibt sich in der Auswertung keine Verletzung der Bestim­mung des § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz, weil die Klägerin im Durchschnitt so­gar nicht einmal bezogen auf 6 Monate sondern sogar auf einen Zeitraum von unter 4 Monaten nicht mehr als 8 Stunden pro Werktag zur Arbeitsleis­tung herangezogen wurde. Die Klägerin kommt von einer nach den oben unter 2.a) gemach­ten Ausführungen mit der Zielsetzung des Arbeitszeitge­setzes nicht vereinbaren Voraussetzung bei ihren Überlegungen zu ei­nem anderen Ergebnis. Die Klägerin legt nämlich, wie seitens der Klägervertre­tung auch mündlich nochmals im Kammertermin vom 09.04.2014 ausgeführt wurde, ganz offenbar ihrem Auslegungser­gebnis die Betrachtung zu Grunde, dass § 3 Satz 1 Arbeitszeitge­setz einen 8-Stunden-Tag als Regelarbeitstag hinsichtlich der ein­zuhaltenden Arbeitszeitgrenze festschreibt. Ebenfalls ist den bis­her geführten schriftlichen Darlegungen der Klägerin in 1. Instanz ihre Rechtsansicht zu entnehmen, dass entgegen der gesetzlichen Intention § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz keineswegs eine dauerhafte Verlängerung von Ar­beitszeiten an Werktagen bis zu 10 Stunden zulasse. § 3 S.1 Arbeitszeitge­setz sei nach Vorstellung der Kläge­rin lediglich eine Ausnahmevorschrift, so dass nach Beendigung des Bezugszeitraums, den § 3 Satz 2 Arbeitszeitge­setz für den Ausgleich auf 6 Monate festgeschrieben hat, sich nicht unmittel­bar erneut eine Zeitspanne mit Verlängerungen bis zu 10 Stunden pro Werktag anschließen dürfe. Gerade dieser Ansatz ist aber nach den Ausfüh­rungen oben zu 2.a) verfehlt. Das Arbeitszeitgesetz geht von der gesetzge­berischen Zielsetzung her betrachtet einen moderneren Weg als die von ihm mit Wirkung zum 01.07.1994 abgelöste Arbeitszeitordnung, um eine finanzi­ell für Arbeitgeber attraktive Möglichkeit des flexibleren Arbeitseinsatzes im Sinne der besseren Positionierung am Markt und die damit u.a. auch einher­gehende Sicherung von Arbeitsplätzen auf Dauer zu ermöglichen. Vor die­sem Hintergrund und den sich verändernden Bedürfnissen auch auf Arbeit­nehmerseite, gerade was die Einführung von Gleit­zeitmodellen anbelangt, gerecht werden zu können wurde die starre Beschränkung auf den 8-Stun­den-Arbeitstag als Regelar­beitstag aufgegeben. Es wurde vielmehr insbe­sondere durch Ab­lösung von § 15 Abs.2 Arbeitszeitordnung in § 3 Satz 2 Arbeits­zeitgesetz eine zuschlagsfreie Verlängerungsmöglichkeit der werktäg­lichen Arbeitszeit bis zu 10 Stunden eröffnet. Letztlich geht die Klägerin fehl in der Annahme, es müsse hinsichtlich der Be­trachtung der Arbeitszeitgren­zen auf den individuellen Arbeitstag oder wenigstens auf die individuelle Ar­beitswoche abgestellt wer­den, um festzustellen, ob die arbeitszeitgesetzli­chen Grenzen für den Arbeitseinsatz überschritten seien oder nicht. Abzu­stellen ist vielmehr wegen der eindeutigen Wortwahl in § 3 Arbeitszeitgesetz auf den Werktag, damit auf die 6 Werktage in der Woche und dem in § 3 Satz 2 Arbeitszeitgesetz genannten Bezugszeitraum für den Ausgleich von 6 Monaten bzw. 24 Kalenderwochen. Nur wenn hier eine Überschreitung zu­lässiger Grenzen festzustellen ist, kann von einer Verletzung der Vorgaben aus §§ 1, 3 Arbeitszeitgesetz ge­sprochen werden. Dies ist im Arbeitsverhält­nis der Klägerin bei der Beklagten jedoch nicht der Fall gewesen.

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3.Der von der Klägerin begehrte Schadensersatz lässt sich auch nicht auf eine Kombination der Verletzung arbeitszeitrechtli­cher Vorgaben aus § 3 Arbeitszeitgesetz mit Art. 1 Abs. 1 und 2, Art. 6 b, 16 b und 19 RL 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) oder direkt auf einen Verstoß gegen die letztgenannten Bestimmungen der RL 2003/88/EG stützen.

67

a)Art. 1 Abs. 1 der RL 2003/88/EG des Europäischen Ra­tes und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299 v. 18.11.2003, S. 9-19) befasst sich mit dem Gegenstand und dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie. Dabei wird festgelegt, dass die Richtlinie Vorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeits­zeitgestaltung beinhaltet. In Art. 1 Abs. 2 a der Richtlinie wird als Gegen­stand der Richtlinie tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten, der Min­destjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchst­arbeitszeit aufgeführt. Diese Überlegungen vorangestellt ist im Er­wägungsgrund Num­mer 4 davon die Rede, dass die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygi­ene und Gesundheitsschutz der Arbeit­nehmer bei der Arbeit Zielsetzungen darstellen, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet wer­den dürfen.

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Art. 6 b der RL 2003/88/EG wendet sich hinsichtlich seiner Festle­gung und zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit sprachlich an die Mitgliedstaaten. Dort ist bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit nach Maßgabe der Er­fordernisse der Sicherheit und des Gesundheits­schutzes der Ar­beitnehmer die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebenta­geszeit­raum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht über­schreitet. Art. 16 b der Richtlinie wendet sich mit seinen Vorgaben zu Bezugszeiträu­men sprachlich ebenfalls an die Mitgliedstaaten. Dort ist normiert, dass die Mitgliedstaaten für die Anwendung der folgenden Artikel einen Bezugszeit­raum vorsehen können und zwar – so unter b) - für Art. 6 (wöchentliche Höchstarbeitszeit) bis zu 4 Monaten. Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie bestimmt, dass sofern die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezei­ten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher gleich­wertiger Ausgleichsruhezeiten aus objektivem Gründen nicht mög­lich ist, einen an­gemessenen Schutz erhalten, im Wege von Rechts- und Verwaltungsvor­schriften oder im Wege von Tarifver­trägen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern gemäß den Abs. 3, 4 und 5 abgewichen werden kann. Abs. 3 benennt dann unter anderem auch Art. 16 als einen Artikel, von dem nach Art. 17 Abs. 2 in den in Abs. 3 genannten Fällen abgewichen wer­den darf. Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt, dass die in Art. 17 Abs. 3 vorge­sehene Möglichkeit der Abweichung von Art. 16 b nicht die Festlegung eines Bezugszeitraums zur Folge haben da­rauf, der länger ist als 6 Monate.

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Für die Anwendbarkeit europarechtliche Bestimmungen unter­scheidet man zwischen so genanntem primären Europarecht, wozu unter anderem die EU Grundrechtscharta [EU-GRCharta] zählt, und dem sekundären Europarecht, wie etwa die Richtlinien. Art. 288 Abs. 2 und 3 AEUV, also des Vertrages über die Arbeits­weise der Europäischen Union, machen hier als Nachfolge­be­stimmung zu Art. 259 im EG Vertrag die Vorgabe, dass die Ver­ordnung selbst allgemeine Geltung hat; sie ist insbesondere in allen ihren Teilen ver­bindlich und gilt unmittelbar in jedem Mit­gliedstaat (Abs. 2). Demgegenüber ist nach Art. 288 Abs. 3 AEUV die Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hin­sichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Aller­dings bleibt es den innerstaatlichen Stellen überlassen, die Wahl der Form und der Mittel selbst zu treffen. Danach ergibt sich, dass Richtlinien eine verbindliche Vorgabe des Ziels nur unmittelbar für die jeweili­gen Mitglied­staaten hat. Die Umsetzung der Richtlinien muss in­nerhalb der genannten Fristen erfolgen. Allerdings ist damit auch deutlich gemacht, dass die Richtli­nien im jeweiligen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht unmittelbar im Verhältnis der Bürger und Bür­gerinnen untereinander anwendbar sind. Sie enthalten vielmehr nur eine Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers, die Richtlinie selbst innerhalb der dort bestimmten Frist in nationales Recht um­zusetzen. Private können daher grundsätzlich keine Rechte aus der Richtlinie selbst herleiten bzw. sind auch nicht durch die Richt­linie verpflichtet (vgl. Tillmanns in Henssler / Willemsen / Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 5. Aufl. Köln 2012, Rn 17 zu den Vorbe­merkungen zum AEUV m.w.N.). Ohne einen innerstaat­lichen Um­setzungsakt in für die Bürger und Bürgerinnen des Mitgliedstaats geltendes Recht fehlt es also einer Richtlinie an so genannter ho­rizontaler Direktwirkung. Eine vertikale Direktwirkung wird aller­dings dann angenom­men, wenn der Mitgliedstaat etwa die ihm gesetzte Frist aus der Richtlinie zur Umsetzung in innerstaatliches Recht versäumt hat. Hier kann auch der Private in bestimmten Fällen unmittelbar Rechte aus der Richtlinie zwar nicht gegen ei­nen anderen Privaten geltend machen; er kann solche Rechte aber unmittelbar gegen den Mitgliedstaat (und ihm nachgeordnete öffentliche Stellen) gegebenenfalls aus der Richtlinie verfolgen. Der Betroffene kann sich auch auf eine vertikale Direktwirkung berufen, wenn der Klagegegner nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern etwa ein nichtstaatliches, aber dem öffentli­chen Bereich zurechenbares Rechtssubjekt ist, wenn es sich also zum Beispiel um einen öffentlichen Arbeitgeber handelt (vgl. Tillmanns in Henssler / Willemsen / Kalb, Arbeitsrecht Kom­mentar, 5. Aufl. Köln 2012, Rn 118 und 19 zu den Vorbemerkun­gen zum AEUV m.w.N.).

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b)Wendet man diese Aspekte auf die Fallgestaltung an, wird deut­lich, dass der Klägerin unmittelbar begründet auf Vorga­ben in der RL 2003/88/EG und deren Verletzung selbst nach feh­lender Umsetzung der dort genannten Ziele durch die Bundesre­publik Deutschland als Mitgliedstaat keine Ansprüche im privat­rechtlichen Arbeitsverhältnis zur Beklagten zu­stehen können. Der insoweit von der Klägerin zitierten Entscheidung des EuGH im Urteil vom 25.11.2010 – C-429/09 – (in NZA 2011 Seite 53-60) kann für den Ausgang hier keine unmittelbare zu Gunsten der Klägerin wir­kende Bedeutung beigemessen werden. Der dem EuGH vorgelegte Sach­verhalt betraf nämlich einen Fall, der nach dem oben unter 3. a) geschilder­ten Voraussetzungen vertikale Direktwirkung von Vorgaben aus einer Richt­linie durchaus zulas­sen kann. Der Sachverhalt befasste sich mit einem öf­fentlich-rechtlich geführten Arbeitsverhältnis eines Feuerwehrmanns, der im Einsatzdienst der Stadt Halle beschäftigt war. Mithin war also nicht, wie hier im Fall der Klägerin, ein Arbeitsverhältnis zwischen einer natürlichen Privat­person und einer juristischen Person des privaten Rechts auf privatrechtli­cher Basis Gegen­stand der rechtli­chen Überlegungen des EuGH. Losgelöst hiervon hat aber der EuGH dennoch ausgeurteilt, dass es Sache nationalen Rechts des betroffenen Mitgliedstaats bleibe, unter Beachtung des Äqui­va­lenz- und des Effektivitätsgrundsatzes zu bestimmen, ob ein Ersatz des Schadens, der einem Arbeitnehmer wie im Ausgangs­verfahren des nament­lich benannten Feuerwehrmanns durch den Verstoß gegen eine Vorschrift des Unionsrechts entstanden ist, diesem Arbeitnehmer in Form von Freizeit­ausgleich oder in Form einer finanziellen Entschädigung zu gewähren ist. Dabei soll es auch dem Mitgliedstaat überlassen bleiben, Regeln für die Art und Weise der Berechnung der Höhe festzulegen (vgl. EuGH Urteil v. 25.11.2010 – C-429/09 – in NZA 2011, S. 63 – 60 – Rn (Slg.) 98 beijuris). Es ergibt sich also unabhängig von der Frage, ob über­haupt eine Verletzung von Vorgaben aus der RL 2003/88/EG vor­liegt, für die Klägerin aus der Richtlinie selbst keine Sanktion, ins­besondere keine Sanktion in Form der Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz mit inhaltlicher Festlegung nach Form, Um­fang oder Höhe des zu leistenden Schadensersatzes gegen die Beklagte als privatrechtliche Arbeitgeberin (vgl. EuGH Urteil v. 25.11.2010 – C-429/09 – in NZA 2011, S.63 – 60 – Rn (Slg.) 44 beijuris).

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Der insoweit von der Klägerin gegen eine unterschiedliche Be­handlung zwi­schen Arbeitnehmern in einem privatrechtlich ge­führten Arbeitsverhältnis gegenüber solchen in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis bzgl. der Frage, Rechte direkt aus einer europäischen Richtlinie herleiten zu dürfen gegen den jewei­ligen Arbeitgeber, erhobene Einwand der Verletzung von Art. 3 Grundgesetz bedarf aus Sicht der Kammer keiner tiefgreifenden recht­lichen Erörterung. Die Klägerin verkennt mit diesem Einwand die grundle­gende Systematik der Festlegung durch das Grundge­setz für das rechtlich geordnete gesellschaftliche und verwal­tungsmäßige Zusammenleben der Bürger und Bürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland. Art. 33 Abs. 4 und 5 Grundgesetz garantieren die Existenz wie auch die Möglichkeit der Aus­übung hoheitlicher Befugnisse als ständige Aufgabe für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes aufgrund ihres besonderen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses. Damit ist die aus dem Grundgesetz selbst abzuleitende Legitimierung einer unterschied­lichen rechtlichen Betrachtung von Arbeits- / Dienstverhältnissen im Bereich des öffentlichen Dienstes ge­genüber privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen für bestimmte Teilaspekte kurz skizziert. An diesen tragenden Grundsäulen der Bundesrepublik Deutschland will auch die erkennende Kammer des Landesarbeitsgerichts trotz des Einwandes der Klägerin und Berufungsklägerin nicht rütteln. Insbe­sondere steht dies auch wegen des Gewaltenteilungsprinzips dem Landes­arbeitsgericht als Teil der rechtsprechenden Gewalt nicht zu.

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Ausweislich der von der Klägerin entsprechend der Vorgaben in ihrem Ar­beitsvertrag zusätzlich geführten Arbeitszeitnachweisen für den gesamten Zeitraum ihrer Beschäftigung (vgl. Bl. 25 - 92 d.A.) wie auch unter Berück­sichtigung der von der Beklagtenseite vorgelegten Zeiterfassungssystem-Ausdrucke für den Zeitraum 02.05.2011 bis 30.04.2013 (vgl. Bl. 121-151 d.A.) lässt sich aber auch kein Verstoß gegen die Vorgaben aus der Richtli­nie zur Ar­beitszeit, der RL 2003/88/EG, erkennen. Art. 6 b RL 2003/88/EG gibt nur vor, dass die durchschnittliche Arbeitszeit in einem Zeit­raum von 7 Tagen 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreiten darf. Dabei legt Art. 16 b hinsichtlich des Be­zugszeitraums für die wöchentliche Höchstarbeitszeit einen sol­chen Zeitraum bis zu 4 Monaten fest. Auch wenn zwischen den Parteien letztlich unstreitig geblieben ist, dass in 3 Wochen wäh­rend des gesamten Arbeitsverhältnisses einmal 50,42 Stunden in der Woche vom 02.05.2011 bis 08.05.2011, zum anderen 54,15 Stunden in der Woche vom 26.03.2012 bis 31.03.2012 und zum Dritten 51,43 Stunden in der Woche vom 30.07.2012 bis 05.08.2012 von der Klägerin gearbeitet wurde, wären dies die ein­zigen Wochen geblieben, in denen die Vorgabe von 48 Stunden innerhalb eines Zeitraums von 7 Tagen überschritten wor­den sind. Dass hier Abweichungen auf der einen Seite auch in der Richtlinie selbst etwa durch Rechtsvorschriften in Art. 17 Abs. 2 und 3 mög­lich sind, bliebe dabei in der Betrachtung sogar noch unberück­sichtigt. Ebenso lässt diese Betrachtung völlig außer Acht, dass im Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Beklagten letztlich innerhalb eines Bezugszeitraums, wie ihn Art. 16 b der RL 2003/88/EG hin­sichtlich seiner zeitlichen Länge mit 4 Monaten vor­gibt, durch ent­sprechende Ausgleichstage/Freizeitgewährung und Umlegung der in diesem 4-Monats-Zeitraum geleisteten Gesamtarbeitszeit auf den 7-Tages-Zeitraum gerade keine Überschreitung der aus Art. 6 b der RL 2003/88/EG gesetzten Höchstgrenze von 48 Stunden einschließlich der Überstunden vorgelegen hat.

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c)Ein Schadensersatzanspruch kann sich für die Klägerin in der von ihr geltend gemachten Form auch nicht aus Art. 31 Abs. 2 EU-GRCharta er­geben gegenüber der Beklagten als privatrecht­liche Arbeitgeberin. In Abs. 2 wird festgelegt, dass jede Arbeit­nehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht haben auf eine Be­grenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchent­liche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub. Diese europarecht­lich festgelegten Grundrechte finden ihren Widerhall in den §§ 1, 3 Arbeitszeit­gesetz sowie in Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 6 b, Art. 16 b sowie Art. 19 der RL 2003/88/EG. Eine unmittelbare Verlet­zung von Art. 31 Abs. 2 EU-GRCharta wäre also nur denkbar, wenn es die vorgenannten Bestimmungen noch nicht gäbe, aus denen sich Vorgaben für die Einhaltung von Höchstar­beitszeiten sowie täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten ableiten lassen. Losgelöst davon wäre auch hier wieder der Anspruch der Klägerin deshalb nicht als begründet anzusehen, weil trotz der Einordnung als primäres Euro­parecht aus dieser Bestimmung des Art. 31 Abs. 2 EU-GRCharta keinerlei Sanktion im Sinne der Zubilligung eines Schadensersatzanspruchs ohne Darlegung, worin der Schaden exakt bestehen soll, erkennbar wird.

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4.Mit dem Arbeitsgericht geht auch die erkennende Kam­mer des Landesarbeitsgerichts davon aus, dass eine Verletzung von § 17 Laden­schlussgesetz ebenso wenig nachgewiesen ist, wie durch die Unterlassung einer Einstellung einer zusätzlichen Kraft zur Klägerin eine Verletzung gegen Bestimmungen des UWG zu verzeichnen ist. Auch hier gilt, dass selbst dann, wenn ein solcher Verstoß tatsächlich vorgelegen hätte, der Klägerin nicht eine Er­leichterung in ihrer Darlegungslast zuteil werden kann, den ihr ent­standenen Schaden inhaltlich wie dem Umfang nach näher zu de­finieren. Sie muss insbesondere Tatsachen vortragen, aus denen sich die Errech­nung eines von ihr begehrten finanziellen Scha­densausgleichs rechtfertigen könnte. Allein der Hinweis auf einen Verlust an Lebenszeit oder auf den Verlust von Ruhezeit kann hier jedenfalls nicht ausreichen im Sinne der der klagenden Partei zu­nächst einmal obliegenden Grund-Darlegungslast.

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5.Abschließend sei nur angemerkt, dass der Vorhalt der Klägerin, das Arbeitsgericht hätte bestimmte Aspekte im Zusam­menhang mit der Ein­ordnung des Arbeitszeitgesetzes als Schutz­gesetz im Zusammenspiel mit der Auslegung von Bestimmungen der RL 2003/88/EG EuGH zur Vorabent­scheidung vorlegen müs­sen, nicht berechtigt ist. Weder das Arbeitsgericht noch das er­kennende Landesarbeitsgericht sind in Anwendung von Art. 267 Abs. 3 AEUV verpflichtet, eine solche Vorlage an den EuGH zu fertigen. Eine solche Verpflichtung besteht nur für ein einzelstaatli­ches Gericht, des­sen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO in Verbin­dung mit § 64 Abs. 4 ArbGG.

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IV. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzun­gen nach § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen und der Sache insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist.

gez. Hossfeld gez. Schäfer gez. Wolter