Verjährung und Verfall beim Anspruch auf Abfindung
Der Anwendung nach ägyptischen Recht auf einen Abfindungsanspruch stehen wesentliche Grundsätzen des deutschen Rechts im Sinne von Art. 6 EGBGB nicht entgegen. Dem Arbeitnehmer wird auch nicht etwa der Schutz zwingender Rechtsnormen genommen.
Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21.10.2014 - 7 Sa 799/13:
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. März 2013 - 21 Ca 20768/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Zahlung einer Abfindung auf der Grundlage von Art. 122 des ägyptischen Arbeitsgesetzbuchs, nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen des Verdachts der Beteiligung an Manipulationen von Visavorgängen fristlos gekündigt hat.
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Die am …..1954 geborene Klägerin war seit dem 01.06.1978 bei der Beklagten als Pass- und Visastellenhilfskraft in der D. B. in K. zu einem Verdienst von zuletzt 7.500 ägyptischen Pfund beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war ein schriftlicher Arbeitsvertrag, der zuletzt vom 21.12.1998 datiert nebst Änderungsvereinbarung vom 3.12.2006. § 17 dieses Vertrages lautet wie folgt:
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„Der Arbeitsvertrag beruht auf ägyptischem Recht. Gerichtsstand für beide Parteien ist am Sitz des A. A..“
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Nach § 16 des Arbeitsvertrages müssen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von 1 Jahr schriftlich geltend gemacht werden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 9 ff. d.A. und Bl. 12 ff. d.A Bezug genommen.
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Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos zum 11.12.2008 wegen des Verdachts der Beteiligung der Klägerin an Visamanipulationen in der D. B. in K.. Das von der Staatsanwaltschaft eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, worüber der damalige Strafverteidiger der Klägerin mit Schreiben vom 17.03.2011 am 07.04.2011 informiert wurde. Mit Schreiben vom 22.05.2011 machte die Klägerin die Zahlung einer Abfindung nach ägyptischen Recht geltend, was die Beklagte mit Schreiben vom 23.06.2011 mit der Begründung ablehnte, die Ermittlungen hätten den Verdacht gegen die Klägerin nicht entkräftet, die Kündigung sei damals gerechtfertigt gewesen.
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Mit der vorliegenden, beim Arbeitsgericht Berlin am 30. Dezember 2011 eingegangenen Klage macht die Klägerin die Zahlung von 450.000 ägyptischen Pfund gerichtlich geltend. Zur Begründung der Klage stützt sie sich auf Art. 122 des ägyptischen Arbeitsgesetzbuches (im folgenden LL). Die Kündigung der Beklagten sei schon deshalb unwirksam gewesen, weil die Beklagte die nach Art. 71 LL erforderliche Zustimmung des Arbeitsgerichts vor Ausspruch der Kündigung nicht eingeholt habe. Demgegenüber beruft sich die Beklagte darauf, die Klägerin habe die nach dem ägyptischen Recht vorgesehene Klagefrist und auch nicht die vertragliche Ausschlussfrist eingehalten. Jedenfalls aber sei die Verdachtskündigung gerechtfertigt, weil ein dringender Verdacht bestanden habe, dass die Klägerin an der Manipulation von Visavorgängen beteiligt gewesen sei, der auch nicht durch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgeräumt worden sei.
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Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 1. März 2013, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage auf Zahlung einer Abfindung sei bereits unschlüssig, weil die Klägerin mit den von ihr eingereichten Gutachten auch vorgetragen habe, die Kündigung sei nichtig und habe das Arbeitsverhältnis nicht wirksam beenden können, mithin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend mache.
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Gegen dieses der Klägerin am 9. April 2013 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die sie mit einem am 28. April 2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 5. Juli 2013 – beim Landesarbeitsgericht am 2. Juli 2013 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
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Die Klägerin und Berufungsklägerin vertritt auch in der Berufungsinstanz unter Bezugnahme auf die von ihr verschiedentlich eingereichten juristischen Stellungnahmen die Auffassung, sie habe nach Art. 122 LL ein Wahlrecht, ob sie die Abfindung oder die Unwirksamkeit der Kündigung geltend mache. Einer vorherigen Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung seitens des Arbeitsgerichts bedürfe es für den Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach ägyptischem Recht nicht. Sie habe ihre Ansprüche auch rechtzeitig schon 2009 geltend gemacht, wie sich aus dem E-Mail-Verkehr der Klägerin mit ihrer damaligen Vertreterin und einem mittlerweile verstorbenen Beschäftigten der Beklagten ergebe (Bl. 269 – 274 d.A.). Ihre damalige Vertreterin habe mit einem Vertreter der Beklagten über die Angelegenheit gesprochen, der die Zahlung einer Abfindung zugesagt habe, sofern das Strafverfahren eingestellt werde. Die Regelungen in Art. 70 LL würden auf den vorliegenden Fall keine Anwendung finden. In diesen Verhandlungen habe sie ihre Forderung hinreichend geltend gemacht. Auf die vertragliche Ausschlussfrist könne sich die Beklagte nicht berufen, da diese vom Gesetz abweiche. Außerdem beginne die Verjährungsfrist erst mit dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens bzw. des Strafprozesses. Jedenfalls aber sei sie aus moralischen Gründen wegen des Ermittlungsverfahrens an einer früheren Geltendmachung gehindert gewesen, was gemäß Art. 382 des Zivilgesetzbuches dazu führen würde, dass die Verjährung nicht beginne. Die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte das Verfahren nach Art. 71 LL nicht eingehalten habe. Jedenfalls aber liege nach ägyptischem Recht kein wirksamer Kündigungsgrund vor.
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Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. März 2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 450.000,00 ägyptische Pfund nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 23. Mai 2013 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil mit Rechtsausführungen zur Schlüssigkeit des Klagevorbringens und den Voraussetzungen von Art. 122 LL zur Zahlung einer Abfindung sowie Ausführungen zu den anzuwendenden Verjährungsvorschriften. Außerdem ergänzt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen zum dringenden Verdacht der Beteiligung der Klägerin an Manipulationen von Visavorgängen.
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Das Gericht hat mit Beschluss vom 5. November 2013 ein Rechtsgutachten zu den anzuwenden ägyptischen Gesetzesvorschriften eingeholt. Für die Fragestellung im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 5. November 2013 (Bl. 251 – 252 d.A.) nebst Ergänzungsfragen vom 16.09.2014 (Bl. 373 d.A.) Bezug genommen. Für den Inhalt des Rechtsgutachtens vom 12. Mai 2014 wird auf Bl.307- 317 d.A. nebst ergänzender Stellungnahme vom 8. Oktober 2014 (Bl. 389 – 399 d.A.) Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Vorbringen der Parteien in den mündlichen Verhandlungsterminen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung der Klägerin ist formgerecht und fristgemäß im Sinne von § 64 Abs. 6, § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO eingelegt und begründet worden.
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Die Berufung der Klägerin ist daher zulässig.
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2. Die Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage auf Zahlung einer Abfindung nach ägyptischem Recht ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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2.1 Die Klage ist zulässig. Das Arbeitsgericht Berlin ist international zuständig. Dies gilt unabhängig von der von den Parteien im Arbeitsvertrag getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung bereits deshalb, weil Sitz der Beklagten Berlin ist. Berlin ist daher gemäß § 18 ZPO örtlich zuständig. Die internationale Zuständigkeit folgt grundsätzlich der örtlichen Zuständigkeit nach den §§ 12 ff. ZPO. Fällt ein Rechtsstreit nach den §§ 12 ff. ZPO in die örtliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts, ist die internationale Zuständigkeit regelmäßig indiziert und sind die deutschen Gerichte auch im Verhältnis zu einem ausländischen Gericht zuständig.
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2.2 Die Klage ist jedoch unbegründet. Etwa entstandene Ansprüche der Klägerin auf Zahlung einer Abfindung nach Art. 122 Abs. 2 LL sind verfristet.
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2.2.1 Der Rechtsstreit ist auf der Grundlage von ägyptischem Recht zu entscheiden. Die Parteien haben dieses Recht gewählt, in dem sie in ihrem Arbeitsvertrag unter § 17 ausdrücklich ihre Vertragsbeziehungen ägyptischem Recht unterstellt haben. Eine solche Rechtswahl ist nach Art. 27 EGBGB a.F., der von der freien Rechtswahl ausgeht, zulässig. Art. 27 EGBGB findet auf den vorliegenden Rechtsstreit Anwendung, da der Arbeitsvertrag der Parteien vor dem 17.12.2009 geschlossen und beendet wurde. Für eine Einschränkung der Rechtswahl nach Art. 27 Abs. 3 EGBGB ist insofern schon kein Raum, weil es an dem dafür erforderlichen Inlandsbezug fehlt. Das Arbeitsverhältnis wurde in Ägypten begründet und dort durchgeführt.
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2.2.2 Ist fremdes Recht in einem Rechtsstreit anzuwenden, muss das Gericht dieses Recht nach § 293 ZPO von Amts wegen ermitteln. Wie es sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Ermittlung des fremden Rechts darf sich nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Das Recht ist als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat (BGH Urteil v. 14.01.2014 – II ZR 192/13 – NJW 2014, 1244 mwN; BGH, Urteil vom 23. Juni 2003 - II ZR 305/01, NJW 2003, 2685, 2686 mwN).
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2.2.3 Danach stellt sich aus Sicht der Kammer auf der Grundlage der von den Parteien eingereichten gesetzlichen Regelungen, des eingeholten Rechtsgutachtens, das sich mit der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzt, sowie unter Berücksichtigung der von den Parteien eingereichten diversen rechtlichen Stellungnahmen die Rechtslage nach ägyptischem Recht zusammengefasst wie folgt dar:
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Das ägyptische Arbeitsrecht bestimmt sich nach den Regelungen des Arbeitsgesetzbuchs, im Folgenden LL (Gesetz Nr. 12/2003, geändert durch Gesetz 180/2008, veröffentlicht am 22.06.2008). Ergänzend wird auf die Regelungen des Zivilgesetzbuches, im Folgenden CC, zurückgegriffen. Abweichende Regelungen sind an sich unzulässig. Bestehende günstigere vertragliche Regelungen behalten jedoch ihre Wirksamkeit (Art. 5 LL).
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Das Arbeitsverhältnis kann nach Art. 69 LL nur aus bestimmten Gründen gekündigt werden. Dabei obliegt es an sich dem Arbeitsgericht vor Ausspruch einer Kündigung innerhalb bestimmter Fristen zu prüfen, ob ein solcher Grund vorliegt und – wenn dies bejaht wird - die Kündigung für zulässig zu erklären. Indes entspricht es der gängigen arbeitsrechtlichen Praxis wegen der zeitlichen Dauer auf dieses Verfahren zu verzichten und ohne vorherige Zulässigkeitserklärung das Arbeitsverhältnis zu beenden (vgl. Gutachten Seite 7 sowie El-Borai Employment Labour Law 2013 Ägypten 6.3). In einem solchen Fall ist die Kündigung nicht wegen des Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften nichtig. Der Arbeitnehmer kann jedoch nach Art. 122 Abs. 2 LL die Zahlung einer Abfindung verlangen. Im Rahmen eines Rechtsstreits über die Abfindung, für den das Arbeitsgericht zuständig ist, kann der Arbeitgeber seinerseits noch geltend machen, die Kündigung sei aus einem wichtigen Grund nach Art. 69 LL erfolgt. Ob ein solcher Grund vorliegt ist dann vom Arbeitsgericht zu ermitteln und zu entscheiden (Gutachten Seite 7).
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Art. 70 LL sieht bestimmte Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsgesetzbuch vor. Innerhalb einer Frist von 10 Tagen nach Entstehung eines Streits der Parteien im Zusammenhang mit der Anwendung einer Norm aus dem Arbeitsgesetzbuch kann jede Partei eine Gütestelle anrufen. Wird der Streit nicht innerhalb der sich anschließenden Gütefrist von 21 Tagen beigelegt, ist innerhalb einer Frist von weiteren 45 Tagen Klage beim Arbeitsgericht einzureichen. Bei Nichteinhaltung der Frist wird die Klage als verfristet abgewiesen.
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Diese Frist wurde erst mit dem Gesetz 12/2003 eingeführt. Das vorherige Arbeitsgesetzbuch enthielt keine eigenen Verfallsfristen für arbeitsrechtliche Ansprüche. Vielmehr fand Art. 698 CC Anwendung. Danach sind Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag innerhalb einer Frist von einem Jahr nach Beendigung des Vertrages gerichtlich geltend zu machen. Nach Art. 382 CC läuft diese Frist nicht solange der Kläger an der Einforderung seiner Rechte gehindert ist, selbst wenn das Hindernis moralischer Natur ist.
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Der Anwendung dieser Regelungen stehen wesentliche Grundsätzen des deutschen Rechts im Sinne von Art. 6 EGBGB nicht entgegen. Der Klägerin wird auch nicht etwa der Schutz zwingender Rechtsnormen genommen. Für die hier streitgegenständliche Abfindungsklage gibt es im deutschen Recht keine entsprechende Anspruchsgrundlage.
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2.2.4 Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus folgendes:
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2.2.4.1 Die Klage auf Zahlung einer Abfindung nach Art. 122 Abs. 2 LL ist nicht bereits deshalb unschlüssig, weil sich die Klägerin u.a. wegen der Nichteinhaltung des vorherigen Zustimmungsverfahrens auf die Unwirksamkeit der Kündigung beruft. Etwaige Verfahrensmängel haben – wie oben ausgeführt – nicht die Unwirksamkeit der Kündigung im Sinne eines Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses zur Folge. Wie das eingeholte Rechtsgutachten ausführt (vgl. Gutachten unter 1., dritter Spiegelstrich) bleibt die Kündigung wirksam. Das Gesetz sieht andere Sanktionen für die Nichtbeachtung dieser Vorschriften vor (Art. 247 LL). Die vorliegende Abfindungsklage entspricht der gängigen ägyptischen Rechtspraxis, die gemäß § 293 ZPO bei der Ermittlung ausländischen Rechts zu berücksichtigen ist (BGH Urteil v. 14.01.2014 – II ZR 192/13 – NJW 2014, 1244 mwN).
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Im Ergebnis hält die Beklagte an ihrer zunächst geäußerten Auffassung auch nicht mehr fest. Aus der von ihr eingereichten Stellungnahme einer von ihr beauftragten Anwaltskanzlei (Bl. Bl. 257 ff d.a.) folgt nämlich ebenfalls, dass die Klage auf Zahlung einer Abfindung nicht schon deshalb unschlüssig ist, weil die Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Gerichts nach Art. 71 LL ausgesprochen wurde.
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2.2.4.2 Ansprüche der Klägerin sind indes verjährt. Die Klägerin hat ihre Klage weder innerhalb der in Art. 70 vorgesehenen Frist von 76 Tagen nach der Entstehung des Streits noch innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 698 CC) erhoben.
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2.2.4.2.1 Die Verjährungsfrist nach Art. 70 LL findet auf den hier zwischen den Parteien im Streit stehenden Abfindungsanspruch Anwendung. Diese Vorschrift wurde noch vor Ausspruch der Kündigung am 11.12.2008 – nachdem das ägyptische Verfassungsgericht die Vorgängerregelung für unwirksam erklärt hatte – mit Gesetz Nr. 180/2008, veröffentlich am 22.07.2008, modifiziert. Ausweislich des Rechtsgutachtens wird Art. 70 LL von den ägyptischen Gerichten auch auf Abfindungsansprüche nach Art. 122 Abs. 2 LL angewendet (Ziffer 4 des Gutachtens). Bei der Klage auf Zahlung einer Abfindung handelt es sich um einen Streit über die Anwendung einer Vorschrift aus diesem Gesetz (Art. 70 Satz 1).
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Das Gutachten ist in sich schlüssig und setzt sich zur Begründung seiner Ergebnisse mit der einschlägigen Rechtsprechung und der gerichtlichen Praxis auseinander. Die Einwände der Klägerin gegen die damit beauftragte Anwältin greifen nicht durch. Die von der Klägerin zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit der beauftragten Gutachterin eingereichte Liste der D. B. in K. ist eine Aufstellung zahlreicher im dortigen Konsularbezirk ansässiger Kanzleien, ohne dass dort irgendwelche Empfehlungen ausgesprochen würden. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte eine Kanzlei schon deshalb von der Liste streichen würde, weil diese in einer Darstellung der Rechtslage zu einem für die Beklagte negativem Ergebnis käme, gibt es nicht. Im Übrigen bestätigte auch der von der Klägerin zuletzt mit einer Stellungnahme beauftragte Rechtsanwalt, dass die in dem Rechtsgutachten herangezogenen Normen vorliegend Anwendung finden.
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2.2.4.2.2 Nach Art. 70 LL stand der Klägerin insgesamt eine Frist von 76 Tagen (10 Tage – 21 Tage und 45 Tage) nach Entstehung des Streits über die Abfindung zu. Diese Frist hat die Klägerin nicht gewahrt. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die Frist bereits mit Zugang der Kündigung zu laufen beginnt oder ob für den Fristbeginn wenigstens die Geltendmachung eines Anspruchs und dessen Ablehnung erforderlich ist („within ten days as of the date on which the dispute has arisen“). Denn auch wenn auf letzteren Zeitpunkt abzustellen wäre, ist die Frist nicht gewahrt. Da die Beklagte den von der Klägerin geltend gemachten Abfindungsanspruch mit E-Mail vom 23. Juni 2011 abgelehnt hat, hätte die Klägerin bis zum 6. September 2011 Klage beim Arbeitsgericht erheben müssen. Die erst am 30. Dezember 2011 eingegangene Klage ist gemäß Art. 70 LL nicht rechtzeitig.
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2.2.4.2.3 Es kann dahinstehen, ob auf den vorliegenden Fall anstelle der Frist von Art. 70 LL die Verjährungsfrist nach Art. 698 Abs. 1 CC als günstigere Regelung im Sinne von Art. 5 LL anzuwenden ist, weil der Vertrag vor Inkrafttreten des Arbeitsgesetzbuchs abgeschlossen wurde und § 17 des Arbeitsvertrages unter der Regelung „Ausschlussfrist“ die Jahresfrist widerspiegelt. Die Klägerin hat auch die Jahresfrist nach Art. 698 CC nicht gewahrt. Diese beginnt mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Insoweit dient die Verjährungsvorschrift einer zügigen Abwicklung arbeitsvertraglicher Ansprüche, wie sie auch dem deutschen Recht nicht fremd ist.
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Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit der außerordentlichen Kündigung am 11.12.2008 beendet. Mithin hätte die Klägerin bis zum 11.12.2009 Klage erheben müssen. Die Klage ist indes erst am 30.12.2011 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangen. Auf das Vorliegen einer nach ägyptischem Recht gerechtfertigten Kündigung kam es für die Beendigungswirkung nicht an. Wie oben bereits dargestellt, führt die Nichtbeachtung des Verfahrens nach Art. 71 LL ebenso wie das Fehlen eines hinreichenden Grundes nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung in dem Sinne, dass das Arbeitsverhältnis fortbestehen würde.
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2.2.4.2.4 Diese Fristen wurden nicht durch § 17 des Arbeitsvertrages modifiziert. § 17 des Arbeitsvertrages enthält unter der Überschrift „Ausschlussfrist“ eine im deutschen Arbeitsrecht übliche Frist, innerhalb derer Ansprüche schriftlich geltend gemacht werden müssen. Ausschlussfristen sollen - in der Regel vor Eintritt der gesetzlichen Verjährung – Klarheit zwischen den Parteien schaffen, welche Ansprüche erhoben werden. Gesetzliche Verjährungstatbestände werden mit einer solchen vertraglichen Vereinbarung auch dann nicht verdrängt, wenn sie später eingeführt werden. Dass die Vertragsparteien mit der Vereinbarung einer solchen Ausschlussfrist, die nur die schriftliche Geltendmachung erfordert, auch gesetzliche Verjährungstatbestände für die gerichtliche Geltendmachung abbedingen wollten, ergibt sich aus dieser Vertragsformulierung nicht.
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Aber auch wenn § 17 des Arbeitsvertrages eines solche Modifikation beinhalten würde, fehlt es an einem substantiierten Vortrag der Klägerin, dass sie ihre Ansprüche auf eine Abfindung bereits vor ihrem Schreiben vom 22.05.2011 gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht hat. Eine solche schriftliche Geltendmachung folgt nicht aus dem von ihr eingereichten E-Mail-Verkehr. In der E-Mail vom 16.07.2009, in der die damalige Vertreterin der Klägerin die Höhe der Abfindungssumme mit „ca. 60.000 Euro“ beziffert (Bl. 273 d.A.) ist nur von einem Telefonat mit dem Mitarbeiter der Botschaft die Rede. Ein solches Telefonat reicht für die schriftliche Geltendmachung nicht aus.
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2.2.4.2.5 Die Verjährungsfristen von einem Jahr nach Art. 378/1 CC und von 15 Jahren nach Art. 374 CC finden auf den Abfindungsanspruch nach Art. 122 Abs. 2 LL keine Anwendung, da sie für andere Vertragsarten vorgesehen sind (vgl. Gutachten Seite 9). An der Geltung der Verjährungsvorschrift nach Art. 374 CC hält die Klägerin im Ergebnis auch nicht mehr fest (siehe Schriftsatz vom 11.12.2013, Bl. 268 d.A.).
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2.2.4.3 Die Verjährung wurde nicht nach Art. 382 CC für die Dauer des Ermittlungsverfahrens unterbrochen. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren stellte weder ein rechtliches noch moralisches Hindernis für die Klage auf Zahlung einer Abfindung dar.
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2.2.4.3.1 Dabei ist die erkennende Kammer davon ausgegangen, dass der Begriff des „Hindernisses“ weder gesetzlich definiert noch abschließend durch die ägyptische Rechtsprechung festgelegt ist. Die Beurteilung darüber obliegt allein dem jeweils zur Entscheidung berufenen Gericht (Gutachten unter Punkt 6; ebenso die von der Klägerin zuletzt noch eingeholte rechtliche Stellungnahme, Bl. 361 ff. d.A.). Dabei hat der ägyptische Gesetzgeber dem Gericht bei der Auslegung des Begriffs „Hindernis“, unabhängig davon, ob es materieller oder moralischer Natur ist, einen weiten Spielraum zugebilligt. Dies hat das ägyptische Kassationsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1977 bestätigt und dort ausgeführt, der Gesetzgeber habe die Formulierung des Gesetzes sehr allgemein gehalten, um darunter jegliches Hindernis zu fassen, welches es für den Einzelnen unmöglich mache, seine Rechte in angemessener Zeit geltend zu machen (Az: 350/40 – Verhandlung v. 7.6.1977). Die Bandbreite der möglichen Entscheidungen des angerufenen Gerichts spiegelt sich in nachfolgenden Entscheidungen des Kassationsgerichts wieder. Während es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1979 (Berufung Nr. 912/44J, Verhandlung vom 25.11.1979) entschieden hat, das gegen einen Arbeitnehmer eröffnete Strafverfahren stelle kein Hindernis für eine Entschädigungsklage des Arbeitnehmers wegen seiner Kündigung dar, hat es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 (7251 und 5870 – 66k/5847 Verhandlung vom 12.6.1997; zitiert nach der von der Klägerin zuletzt eingereichten Stellungnahme, Bl. 362 d.A) eine erstinstanzliche Entscheidung aufrechterhalten, die ohne jede Begründung die Verjährungsfrist unbeachtet gelassen hat.
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2.2.4.3.2 Für die Beurteilung, ob ein „Hindernis“ im Sinne von Art. 382 CC vorgelegen hat, ist die hiesige Kammer zuständig. Wie oben dargestellt, ist es nach ägyptischem Recht allein Sache des angerufenen Gerichts darüber zu entscheiden, ob im Einzelfall ein Hindernis im Sinne von Art. 382 CC vorliegt. Angerufenes Gericht ist aber das hiesige Gericht. Die von der Klägerin vorgeschlagene Vorlage an ein ägyptisches Gericht zur Beurteilung des moralischen Hindernisses kam – auch nicht für eine etwaige Ermittlung ausländischen Rechts nach § 293 ZPO - nicht in Betracht.
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2.2.4.3.3 Bei Beachtung dieses oben skizzierten weiten Entscheidungsspielraums lag ein der rechtzeitigen Klageerhebung entgegenstehendes Hindernis nicht vor.
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2.2.4.3.3.1 Als rechtliches Hindernis scheidet das Ermittlungsverfahren schon deshalb aus, weil es weder nach ägyptischem noch nach deutschem Recht einer Klageerhebung entgegensteht. Die von der Klägerin vorgebrachten Argumente greifen nicht. Auch das ägyptische Gericht kann den Rechtsstreit ggf. auszusetzen (vgl. Gutachten Seite 11 oben). Auch war die Klägerin nicht schon aufgrund des Strafverfahrens gehindert, ihre Ansprüche zu beziffern. Im vorliegenden Rechtsstreit steht allein die von der Klägerin nach Art. 122 Abs. 2 LL geltend gemachte Abfindung im Streit, die die Klägerin mit dem gesetzlichen Mindestsatz von 2 Monatsgehältern beziffert. Dies ist auch die in der Praxis übliche Höhe von Abfindungsansprüchen (vgl. ergänzende Stellungnahme der Gutachterin Bl. 390 d.A.). Auf etwaige weitere Ansprüche der Klägerin wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kam es nicht an. Abgesehen davon, dass die Klägerin – nach ägyptischem Recht ebenso wie nach deutschem Verfahrensrecht - ihre Klage jederzeit hätte erweitern können, stehen solche weitergehenden Ansprüche zwischen den Parteien nicht im Streit. Im Übrigen ist die Rechtslage für die Klägerin nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens nicht eindeutiger als vorher. Denn auch jetzt kann die Beklagte im Zivilprozess über die Abfindung einwenden, es hätten ausreichende Gründe für die Kündigung vorgelegen.
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Auch war die Klägerin nicht etwa tatsächlich z.B wegen einer Inhaftnahme gehindert, Klage zu erheben.
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2.2.4.3.3.2 Das Ermittlungsverfahren erweist sich auch nicht als „moralisches Hindernis“, das einer rechtzeitigen Klageerhebung entgegengestanden hätte. Ein moralisches Hindernis hätte das Ermittlungsverfahren nur dann darstellen können, wenn an den Vorwürfen gegenüber der Klägerin objektiv etwas dran gewesen wäre. Denn nur dann hätte es aus Sicht der Klägerin verwerflich sein können, trotz schwerer Pflichtverletzungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch noch erhebliche Abfindungsforderungen geltend zu machen. Eine solche Beteiligung weist die Klägerin jedoch weit von sich.
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Das Ermittlungsverfahren nicht als „moralisches Hindernis“ einzuordnen, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des ägyptischen Kassationsgerichts. Soweit die Klägerin geltend macht, die Entscheidung sei wegen der geänderten Rechtslage nicht mehr anwendbar, konnten ihre Argumente die Kammer nicht überzeugen. Der Klägerin ist die Prozessführung wegen des Ermittlungsverfahrens nicht unmöglich. Dabei kann dahinstehen, ob auf die Darlegungslast das ägyptische Recht oder das deutsche Zivilprozessrecht, hier insbesondere § 138 ZPO, anzuwenden ist. Denn nach beiden Rechtsordnungen würde es für die Klageerhebung zunächst ausreichen, dass die Klägerin behauptet, die Kündigung sei ungerechtfertigt. Es wäre dann nach § 138 ZPO im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast Sache des Arbeitgebers die Kündigungsgründe vorzubringen. Die ägyptischen Verfahrensregeln, nach denen der Arbeitgeber ebenfalls die Rechtfertigung der Kündigung darlegen müsste, wären mit den in der ergänzenden Stellungnahme der Gutachterin vom 8.10.2014 geschilderten Ermittlungsmöglichkeiten sogar weitergehend. Für die Festlegung des Fristbeginns nach Art. 70 LL oder Art. 698 CC kommt es auf den Abschluss des Ermittlungsverfahrens nicht an.
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2.2.4.3.4 Der Fristablauf war auch nicht deswegen hinausgeschoben, weil zwischendurch Verhandlungen zwischen den Parteien über eine Abfindungsvereinbarung stattgefunden haben. Nach ägyptischem Recht unterbrechen solche Verhandlungen die Verjährung nur dann, wenn sie weit fortgeschritten sind wie z.B. bei einem Vergleichsentwurf oder ähnlichem (vgl. Gutachten Seite 11, Bl. 317). Dazu ist es aber auch nach dem Vortrag der Klägerin – aus welchen Gründen auch immer – nicht gekommen. Die von der Klägerin eingereichten E-Mails enden, ohne dass erkennbar würde, dass es zwischen den Parteien überhaupt zu einer Einigung über den Umfang etwaiger Ansprüche der Klägerin und dem Entwurf eines Vergleiches gekommen wäre. Soweit die Klägerin behauptet, der Mitarbeiter der Beklagten, mit dem ihre damalige Anwältin verhandelt habe, habe die Zahlung einer Abfindung zugesagt, sofern das Strafverfahren eingestellt würde, lässt der Vortrag der Klägerin gar nicht erkennen, dass eine solche Äußerung etwaige Ansprüche der Klägerin verbindlich begründen sollte. Nach dem E-Mail-Verkehr ging es in den Verhandlungen darum festzulegen, ob der Klägerin etwaige Ansprüche unter bestimmten Voraussetzungen in Bezug auf den Ausgang des Ermittlungsverfahrens zustehen sollten. Offensichtlich ist es dann aber zu einer entsprechenden Vereinbarung – aus welchen Gründen auch immer - nicht gekommen, wie die beiden letzten von der Klägerin eingereichte E-Mails vom 16.07.2009 zeigen. Dies zeigt zugleich, dass das in einer der E-Mails erwähnte Telefonat– wie oben bereits ausgeführt – keine hinreichende Geltendmachung gegenüber der Beklagten darstellt.
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Ein vergleichbarer Rechtsgedanke findet sich auch im deutschen Recht (§ 203 BGB). Nach § 203 BGB hemmen Verhandlungen der Parteien über den Anspruch die Verjährung bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung verweigert. Die Hemmung der Verjährung endet aber dann, wenn die Verhandlungen einschlafen oder verschleppt werden. In diesem Fall entfällt die Hemmung, wenn aus Sicht des Gläubigers nach Treu und Glauben ein nächster Schritt zu erwarten gewesen wäre, der jedoch nicht erfolgt ist (vgl. Münch-Komm zum BGB § 203 Rd.-Nr. 8; BGH Urteil vom 06.11.2008 – IX ZR 158/07 – NJW 2009, 1806). Für den Regelfall wird man hier nach einmonatiger Untätigkeit gleichgültig von welcher Seite, von einem Ende der Verhandlungen ausgehen können, so dass die dann noch verbleibende Verjährungsfrist weiterläuft (vgl. Grothe in Münch-Komm zum BGB aaO. Rd.-Z. 8). Ausgehend von der letzten E-Mail hätte die Klägerin aber auch dann keine der beiden Verjährungsfristen gewahrt.
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3. Aus diesen Gründen sind Ansprüche der Klägerin auf Zahlung einer Abfindung nicht gegeben. Die Berufung der Klägerin war zurückzuweisen, mit der Folge, dass sie gemäß § 97 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.
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4. Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen.