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Wahrung der Kündigungserklärungsfrist - BAG 2 AZR 678/19

01. Aug
2020

Die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gehört nicht zu den "Gründen für die Kündigung" iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, über die der Arbeitgeber den Betriebsrat unterrichten muss (Leitsätze).

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 07.05.2020 - BAG 2 AZR 678/19:

Tenor

            1. Auf die Revision der Beklagten wird - unter Verwerfung der Revision als unzulässig im Übrigen - das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. Juli 2019 - 4 Sa 143/19 - aufgehoben, soweit darin die nicht das qualifizierte Zwischenzeugnis betreffende Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22. Januar 2019 - 5 Ca 955/18 - zurückgewiesen worden ist.

            2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand
     
1
    
Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.
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Der Kläger war bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen seit 1982 als Konstruktionsingenieur beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag nimmt Bezug auf die jeweils für den Betrieb geltenden Tarifverträge für die Angestellten der Metallindustrie.
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Der Personalleiter der Beklagten hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 2. März 2018 zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Das Gremium stimmte beiden Kündigungen am 5. März 2018 zu.
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Mit Schreiben vom 7. März 2018, dem Kläger zugegangen am 8. März 2018, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Oktober 2018.
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Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 19. März 2018 den Betriebsrat ergänzend an.
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Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Es bestehe kein Kündigungsgrund. Die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt und den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört. Eine ordentliche Kündigung sei ausgeschlossen gewesen.
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Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - sinngemäß beantragt
        
    
1.    
    
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 7. März 2018 aufgelöst worden ist;
            
2.    
    
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 7. März 2018 aufgelöst worden ist;
            
3.    
    
im Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. und 2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Konstruktionsingenieur im Fachgebiet E in dem Geschäftsbereich „B“ weiterzubeschäftigen;
            
4.    
    
die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;
            
5.    
    
hilfsweise für den Fall, dass den Anträgen zu 1. bis 4. nicht stattgegeben wird, die Beklagte zu verurteilen, ihm ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;
            
6.    
    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für März 2018 5.335,47 Euro brutto, für April 2018 7.066,64 Euro brutto, für Mai 2018 1.228,99 Euro brutto, als tarifliche Sonderzahlung 2018 3.886,65 Euro brutto und als zusätzliche tarifliche Urlaubsvergütung 2018 4.135,11 Euro brutto jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach im Einzelnen bezeichneter Staffelung zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe
     
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Die Revision der Beklagten ist teilweise unzulässig. Im Umfang ihrer Zulässigkeit ist sie begründet.
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A. Die Revision ist hinsichtlich des Antrags auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses unzulässig. Diesbezüglich fehlt es an der erforderlichen eigenständigen Revisionsbegründung (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Entgegen der Annahme der Beklagten hängt der Erfolg dieses Antrags nach der insofern maßgeblichen Argumentationslinie des Landesarbeitsgerichts nicht von der Unwirksamkeit der Kündigungen ab. Das Berufungsgericht hat vielmehr - im Anschluss an das Arbeitsgericht - angenommen, nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung könne der Arbeitnehmer unabhängig von deren Wirksamkeit ein Zwischenzeugnis beanspruchen.
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B. Die weitergehende Revision der Beklagten hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht ihre Berufung gegen das der Klage betreffend die außerordentliche fristlose Kündigung vom 7. März 2018 stattgebende erstinstanzliche Urteil nicht zurückweisen. Ob diese Kündigung wirksam ist, kann der Senat nicht selbst abschließend entscheiden. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) auch in Bezug auf den Antrag gegen die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung, den Weiterbeschäftigungsantrag, den Antrag auf Erteilung eines Endzeugnisses und die Zahlungsanträge, soweit das Landesarbeitsgericht diesen entsprochen hat.
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I. Die vom Berufungsgericht für die Unwirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung gegebene Begründung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Kündigung ist nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte musste den Betriebsrat weder über einen Sonderkündigungsschutz unterrichten noch weitere Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB machen.
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1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
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2. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess (BAG 26. März 2015 - 2 AZR 417/14 - Rn. 46, BAGE 151, 199). Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich vielmehr nach Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts. Dieser besteht darin, den Betriebsrat durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung ermöglichen (vgl. BAG 22. September 2016 - 2 AZR 700/15 - Rn. 25).
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3. Danach musste die Beklagte den Betriebsrat im Hinblick auf die vorrangig beabsichtigte außerordentliche fristlose Kündigung nicht darüber unterrichten, dass der Kläger - möglicherweise - einen besonderen Kündigungsschutz genoss. Ungeachtet der Frage, ob ein solcher überhaupt zu den „Gründen für die Kündigung“ iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gehören kann, muss ein Arbeitgeber, der außerordentlich fristlos kündigen möchte, dem Betriebsrat jedenfalls nicht mitteilen, dass dem Arbeitnehmer ein Sonderkündigungsschutz zukommt, der - wie § 20 Nr. 4 und Nr. 5 des Einheitlichen Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2003 (EMTV) - zwar eine ordentliche Kündigung weitgehend ausschließt, die Möglichkeit einer „fristlosen“ Kündigung aber ausdrücklich „unberührt“ lässt. Dem Betriebsrat werden insoweit keine Einwände abgeschnitten. Er kann der Absicht einer außerordentlichen fristlosen Kündigung in beiden Fällen (ordentliche Kündbarkeit und ordentliche Unkündbarkeit) gleichermaßen entgegensetzen, dem Arbeitgeber sei es zuzumuten, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten (zutreffend LAG Düsseldorf 24. August 2001 - 18 Sa 366/01 - zu I 2 b der Gründe). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kündigungsfrist „real“ (ordentliche Kündbarkeit) oder „fiktiv“ (ordentliche Unkündbarkeit) ist. Neben der Sache liegt der Einwand des Klägers, der Betriebsrat müsse von einem tariflichen Sonderkündigungsschutz wissen, um beurteilen zu können, ob ein förmlicher Widerspruch nach § 102 Abs. 3 BetrVG in Betracht komme. Diese Möglichkeit ist ihm in Bezug auf eine beabsichtigte außerordentliche fristlose Kündigung - nicht eine solche mit notwendiger Auslauffrist - in jedem Fall verschlossen.
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4. Die Anhörung des Betriebsrats war auch nicht im Hinblick auf die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB fehlerhaft. Die Wahrung der Ausschlussfrist gehört nicht zu den „Gründen für die Kündigung“ iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Deshalb muss der Arbeitgeber hierzu keine gesonderten Ausführungen machen. Ein solches Erfordernis überdehnte die Zwecke des Anhörungsverfahrens. Es liefe darauf hinaus, dem Gremium die - objektive - Überprüfung der Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung zu ermöglichen (ebenso Hertzfeld FA 2013, 107, 109; Raab GK-BetrVG 11. Aufl. § 102 Rn. 98; siehe auch HaKo-BetrVG/Braasch 5. Aufl. § 102 Rn. 69; Humberg/Kemper JR 2017, 191, 196). Das bedeutet allerdings zum einen nicht, dass der Arbeitgeber nicht angeben müsste, wann der Kündigungssachverhalt sich zugetragen hat. Nur so wird es dem Betriebsrat ermöglicht, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden. Zum anderen dürfen dem Betriebsrat mögliche - durch das Gesetz nicht inhaltlich begrenzte - Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung nicht - gezielt - abgeschnitten werden. Das gilt auch für den möglichen Einwand, eine außerordentliche Kündigung sei aus Sicht des Gremiums verfristet. Soweit der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat (freiwillig) Angaben macht, die für die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB von Bedeutung sind, müssen diese wahrheitsgemäß erfolgen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14). Diesen Anforderungen werden die Anhörungsschreiben vorliegend gerecht. Sie enthalten die erforderlichen Angaben darüber, zu welchem Zeitpunkt sich der Kündigungssachverhalt ereignet haben soll.
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II. Die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der außerordentlichen fristlosen Kündigung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
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1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht gemeint, die Berufung der Beklagten sei, soweit sie Gegenstand einer zulässigen Revision ist (Rn. 11), ausreichend begründet worden. Der Kläger erhebt insofern auch keine Einwände mehr.
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2. Die weiteren Angriffe des Klägers gegen die Betriebsratsanhörung gehen fehl.
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a) Die Anhörung des Gremiums durch ihren Personalleiter war der Beklagten zuzurechnen (vgl. BAG 21. Mai 2019 - 2 AZR 582/18 - Rn. 24).
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b) Das Berufungsgericht hat das Anhörungsschreiben ohne revisiblen Rechtsfehler dahin ausgelegt, der Betriebsrat sei von der Absicht der Beklagten unterrichtet worden, die Kündigungen (auch) als Verdachtskündigungen zu erklären. Im Übrigen wäre andernfalls die außerordentliche Kündigung nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Vielmehr könnte die Beklagte sie dann im vorliegenden Rechtsstreit nicht (auch) auf den dringenden Verdacht einer Pflichtverletzung stützen (vgl. BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 40, BAGE 145, 278).
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c) Sonstige inhaltliche Mängel in der Betriebsratsanhörung sind weder aufgezeigt noch ersichtlich. Der Kläger beanstandet durchweg nur Passagen, in denen die Beklagte aus einer objektiv zutreffenden, als solche nicht unzulässig „angereicherten“ Sachverhaltsschilderung für das Gremium erkennbar tatsächliche bzw. rechtliche Schlussfolgerungen gezogen hat. Das durfte sie. Ob sich diese Annahmen in tatsächlicher (vgl. BAG 16. März 1978 - 2 AZR 424/76 - zu B II 3 e der Gründe, BAGE 30, 176) oder rechtlicher (vgl. BAG 21. Januar 1988 - 2 AZR 449/87 - zu C I der Gründe) Hinsicht als zutreffend erweisen, ist keine Frage der Ordnungsgemäßheit des Anhörungsverfahrens, sondern eine solche der richterlichen Bewertung im Kündigungsschutzprozess.
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d) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war das Anhörungsverfahren vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung abgeschlossen.
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3. Das Vorbringen der Beklagten lässt es als mindestens möglich erscheinen, dass die außerordentliche fristlose Kündigung aufgrund einer schweren Pflichtverletzung des Klägers als Tat- oder doch aufgrund des dringenden Verdachts einer solchen als Verdachtskündigung durch einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt war und innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB zugegangen ist.
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III. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben. Der Senat kann aufgrund der fehlenden Feststellungen über den teilweise streitig gebliebenen Sachverhalt nicht selbst über die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 7. März 2018 entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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IV. Die Zurückverweisung umfasst neben dem Antrag gegen die außerordentliche fristlose Kündigung denjenigen gegen die ordentliche Kündigung, den Weiterbeschäftigungsantrag, den Antrag auf Erteilung eines qualifizierten Endzeugnisses und die Zahlungsanträge, soweit das Landesarbeitsgericht ihnen stattgegeben hat.
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V. Für das fortgesetzte Berufungsverfahren sieht sich der Senat zu folgenden weiteren Hinweisen veranlasst:
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1. Die Beklagte stützt die außerordentliche fristlose Kündigung auf zwei Vorwürfe, die jeder für sich einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abgeben könnten. Zum einen lastet sie dem Kläger an, zu ihrem Nachteil oder doch gegen ihren Willen die Firma P. beauftragt zu haben. Zum anderen geht sie davon aus, der Kläger habe pflichtwidrig seinen Dienstlaptop nebst Benutzername und Passwort einem Dritten - mutmaßlich Herrn K. - zum Zwecke von Zugriffen auf ihren Firmenserver überlassen.
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2. Es spricht vieles dafür, dass die Beklagte bezogen auf den ersten, ihr bei Zugang der außerordentlichen fristlosen Kündigung bekannten Grund (Beauftragung der Firma P.) die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat. Insofern wird das Landesarbeitsgericht ua. zu beachten haben, dass das Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist stets voraussetzt, dass dem Kündigungsberechtigten die Tatsachen bereits im Wesentlichen bekannt und nur noch zusätzliche Ermittlungen erforderlich sind oder doch erscheinen dürfen, wie etwa die Anhörung des Betroffenen bei einer Verdachtskündigung oder die Ermittlung von gegen eine Kündigung sprechenden Tatsachen. Hingegen besteht keine Obliegenheit des Arbeitgebers, ohne eine solche Tatsachenkenntnis den Arbeitnehmer belastende Tatsachen zu ermitteln, die einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung begründen, den Sachverhalt also erst in diesen Bereich heben (BAG 27. Februar 2020 - 2 AZR 570/19 - Rn. 31 und Rn. 36). Jedenfalls dürfte die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB in Bezug auf den nachgeschobenen Kündigungsgrund (Weitergabe des Laptops) gewahrt sein.
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3. Der Kläger hat - soweit ersichtlich - nicht bestritten, seinen Laptop an Herrn K. weitergegeben zu haben, sondern lediglich vorgetragen, ein anderer Sachverhalt sei denkbar. Damit hätte er es entgegen § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO unterlassen, den tatsächlichen, aus seiner Sicht wahrhaftigen Geschehensablauf darzustellen (vgl. BAG 31. Januar 2019 - 2 AZR 426/18 - Rn. 45, BAGE 165, 255), was zur Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO führte. Nur für den Fall einer nicht auszuschließenden Ergänzung des klägerischen Vorbringens weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass für eine auf diesen Vorwurf gestützte Tatkündigung ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erforderlich, aber auch ausreichend wäre, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen. Das Nichterreichen eines hinreichenden Grads an Gewissheit, dass der Kläger den Laptop einem Dritten zum Zwecke von Zugriffen auf den Server der Beklagten überlassen habe, könnte daher nicht allein darauf gestützt werden, es seien andere Erklärungen „theoretisch denkbar“ (vgl. BAG 31. Januar 2019 - 2 AZR 426/18 - Rn. 36, aaO; 25. April 2018 - 2 AZR 611/17 - Rn. 24 ff.).
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4. Der auf die Interessenabwägung bezogene Einwand des Klägers, seine Ingenieurskollegen seien nicht einmal abgemahnt worden, verfängt nicht. Eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes scheidet bei einer Tat- oder Verdachtskündigung weitgehend aus (vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 76). Vorliegend sind die Sachverhalte nicht einmal annähernd vergleichbar. Unstreitig war der Kläger die „treibende Kraft“ hinter der „Werkvertragslösung“. Herr P. war dessen Schwiegersohn in spe. Zudem wird nur dem Kläger vorgeworfen, seinen Dienstlaptop einem Dritten überlassen zu haben.
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5. Mit der vom Kläger selbst vorgetragenen Äußerung „Davon will ich nichts wissen“ dürfte der Abteilungsleiter unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben, dass nach seiner Einschätzung eine „Werkvertragslösung“ betreffend Herrn K. nicht dem Willen der Geschäftsführung entsprach. Sollte der Abteilungsleiter zugleich - wenigstens aus Sicht des Klägers - zum Ausdruck gebracht haben, er billige diese Lösung, wolle sich aber nicht aktiv an ihr beteiligen, könnte dies den Kläger nicht entlasten. Im Gegenteil: Eine solche kollusive „Absprache“ hätte das Gewicht der Pflichtverletzung noch verstärkt, weil der gegenüber der Beklagten begangene Vertrauensmissbrauch angesichts eines „wegschauenden“ Vorgesetzten vergleichsweise sicher vor Entdeckung hätte umgesetzt werden können (vgl. BAG 13. Dezember 2018 - 2 AZR 370/18 - Rn. 53).
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6. Angesichts der Schwere der Vorwürfe spricht nichts dafür, dass das Landesarbeitsgericht annehmen könnte, es komme zwar keine außerordentliche fristlose, wohl aber eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist in Betracht. Deshalb kann zum einen dahinstehen, ob - wofür indes vieles spricht - die Annahme des Berufungsgerichts zutrifft, der Kläger habe aufgrund vertraglicher Inbezugnahme Sonderkündigungsschutz nach § 20 Nr. 4 EMTV genossen. Zum anderen bedarf keiner Entscheidung, ob ggf. die außerordentliche fristlose Kündigung nach § 140 BGB in eine solche mit notwendiger Auslauffrist umgedeutet werden könnte, weil der Betriebsrat sowohl der außerordentlichen fristlosen als auch der ordentlichen Kündigung vorbehaltlos zugestimmt hat, und wie es sich in diesem Zusammenhang auswirkt, dass das Gremium die nachgeschobenen Ausführungen lediglich „zur Kenntnis genommen“ hat.
    
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