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Behördlicher Gesinnungstest von Asylbewerbern - EuGH C-148/13

02. Dec
2014

Der EuGH hat entschieden, dass im Grundsatz die Glaubhaftigkeit der homosexuellen Ausrichtung von Asylbewerbern von Behörden geprüft werden kann. Allerdings wird an die Art und Weise der Prüfung ein strenger Maßstab angelegt. Das Recht auf Wahrung der Würde des Menschen und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens haben beachtet zu werden.

Der EuGH hat konkret vier Punkte aufgeführt, die von Behörden bei der Prüfung von Asylanträgen zu beachten sind:

1. Die Fragestellung hat nicht auf stereotypen Vorstellungen in Verbindung mit Homosexuellen zu beruhen, sondern hat den individuellen und persönlichen Situation des betreffenden Antragstellers Rechnung zu tragen.

2. Fragen zur sexuellen Ausrichtung sind erlaubt, jedoch gehen Befragungen zu den Einzelheiten seiner sexuellen Praktiken zu weit. Das wäre insbesondere als Verstoß das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens zu betrachten.

3.„Tests“ zum Nachweis der Homosexualität des Asylbewerbers oder ein „Beweis“, z.B. durch Vorlage von Videoaufnahmen intimer Handlungen, sind unzulässig. Hierduch sieht der EuGH die Menschenwürde verletzt und bezweifelt zudem die Beweiskraft.

4. Angesichts des sensiblen Charakters der Informationen, die die persönliche Sphäre einer Person, insbesondere ihre Sexualität, betreffen, könne allein daraus, dass der Asylbewerber, weil er zögert, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren, ihre Homosexualität nicht sofort angegeben hat, nicht geschlossen werden, dass er unglaubwürdig ist.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 162/14 vom 02.12.2014 des Gerichtshof der Europäischen Union:


Gerichtshof der Europäischen Union

Luxemburg, den 2. Dezember 2014

Urteil in den Rechtssachen C-148/13 bis C-150/13

A, B, C / Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

Der Gerichtshof stellt klar, wie die nationalen Behörden die Glaubhaftigkeit der homosexuellen Ausrichtung von Asylbewerbern prüfen können

Die Richtlinien 2004/83 und 2005/85 legen Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen als Flüchtlinge sowie für die Verfahren zur Prüfung von Asylanträgen fest und regeln die Rechte der Antragsteller1.

Die Drittstaatsangehörigen A, B und C beantragten Asyl in den Niederlanden und machten geltend, sie befürchteten, in ihrem jeweiligen Herkunftsland wegen ihrer Homosexualität verfolgt zu werden. Ihre Anträge wurden jedoch von den zuständigen Behörden abgelehnt, da ihre sexuelle Ausrichtung nicht glaubhaft sei.

Die drei Antragsteller legten gegen diese Bescheide Rechtsmittel ein. Der mit dem Rechtsstreit befasste Raad van State (Staatsrat, Niederlande), stellt sich die Frage, ob das Unionsrecht der Prüfung der sexuellen Ausrichtung von Asylbewerbern Grenzen setzt. Er ist der Auffassung, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Rechte könnten allein dadurch, dass dem Asylbewerber Fragen gestellt würden, in gewissem Maß verletzt werden.

Zunächst stellt der Gerichtshof in seinem heutigen Urteil fest, dass die Aussagen eines Asylbewerbers zu seiner sexuellen Ausrichtung nur den Ausgangspunkt des Verfahrens der Prüfung des Antrags bilden und eines Nachweises bedürfen können.

Die Art und Weise, in der die zuständigen Behörden diese Aussagen und die Beweise, auf die Asylanträge gestützt werden, prüfen, muss jedoch in Einklang mit dem Unionsrecht sowie insbesondere mit den in der Charta garantierten Grundrechten wie dem Recht auf Wahrung der Würde des Menschen und dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens stehen.

Darüber hinaus hat diese Prüfung individuell zu erfolgen und die individuelle Lage sowie die persönlichen Umstände des Antragstellers (einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter) zu berücksichtigen, um bewerten zu können, ob die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind.

In diesem Kontext gibt der Gerichtshof folgende Hinweise zur Art und Weise, in der die nationalen Behörden die Prüfung vorzunehmen haben.

Erstens erlaubt eine Prüfung von Asylanträgen, die allein auf stereotypen Vorstellungen in Verbindung mit Homosexuellen beruht, den Behörden nicht, der individuellen und persönlichen Situation des betreffenden Antragstellers Rechnung zu tragen. Dass ein Asylbewerber nicht in derLage ist, solche Fragen zu beantworten, kann deshalb für sich genommen kein ausreichender Grund sein, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass er unglaubwürdig ist.

Zweitens sind die nationalen Behörden zwar berechtigt, gegebenenfalls Befragungen durchzuführen, anhand deren die Ereignisse und Umstände, die die behauptete sexuelle Ausrichtung eines Asylbewerbers betreffen, geprüft werden sollen, doch verstoßen Befragungen zu den Einzelheiten seiner sexuellen Praktiken gegen die in der Charta garantierten Grundrechte, insbesondere gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

Was drittens die Möglichkeit anbelangt, dass die nationalen Behörden, wie es einige Asylbewerber vorgeschlagen haben, akzeptieren, dass Antragsteller homosexuelle Handlungen vornehmen, sich etwaigen „Tests“ zum Nachweis ihrer Homosexualität unterziehen oder auch Beweise wie Videoaufnahmen intimer Handlungen vorlegen, unterstreicht der Gerichtshof, dass durch derartige Mittel – abgesehen davon, dass sie nicht zwangsläufig Beweiskraft besitzen – die Würde des Menschen verletzt würde, deren Achtung in der Charta garantiert ist. Diese Art von Beweisen zuzulassen oder zu akzeptieren, würde zudem einen Anreiz für andere Antragsteller schaffen und de facto darauf hinauslaufen, dass von ihnen solche Beweise verlangt würden.

Viertens kann angesichts des sensiblen Charakters der Informationen, die die persönliche Sphäre einer Person, insbesondere ihre Sexualität, betreffen, allein daraus, dass diese Person, weil sie zögert, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren, ihre Homosexualität nicht sofort angegeben hat, nicht geschlossen werden, dass sie unglaubwürdig ist.