Besitzstandszulage bei Entgeltfortzahlung - LAG Berlin-Brb 15 Sa 1093/14
Das LAG Berlin- Brandenburg hatte zu entscheiden, ob ein Arbeitgeber berechtigt ist, für Entgeltfortzahlungszeiträume an seinen Arbeitnehmer insgesamt 462,71 € brutto weniger zu zahlen. Zudem ging es um die Feststellung ist, ob der beklagte Arbeitgeber verpflichtet ist, im Rahmen der Berechnung der Entgeltfortzahlung eine Besitzstandszulage mit einzubeziehen. Das Gericht hat zu Gunsten des Arbeitnehmers entschieden. Nach den tarifvertraglichen Regelungen (Überleitungstarifvertrag vom 25. Februar 2013 i. V. m. § 22 Nr. 8 MTV BVD) ist die Besitzstandszulage zwar nicht berücksichtigungsfähig. Die Besitzstandszulage zählt nach seinem Wortlaut nicht zum Monatsgrundentgelt. Diese Regelung verstößt jedoch gegen § 4 Abs. 4 EFZG und ist unwirksam.
Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12.11.2014 - 15 Sa 1093/14:
Leitsatz
Eine tarifliche Regelung, wonach eine tarifvertragliche Besitzstandszulage bei der Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigen ist, verstößt gegen § 4 Abs. 4 EFZG und ist unwirksam
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Mai 2014 - 53 Ca 19226/13 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, für Entgeltfortzahlungszeiträume an den Kläger insgesamt 462,71 € brutto nebst Zinsen weniger zu zahlen und ob allgemein festzustellen ist, dass die Beklagte verpflichtet ist, im Rahmen der Berechnung der Entgeltfortzahlung eine Besitzstandszulage mit einzubeziehen.
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Hinsichtlich des unstreitigen Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien in der I. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
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Mit Urteil vom 8. Mai 2014 hat das Arbeitsgericht Berlin die Beklagte verurteilt, an den Kläger 462,71 € brutto nebst Zinsen zu zahlen und hat weiterhin festgestellt, dass die Beklage verpflichtet ist, in die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auch die Besitzstandszulage gemäß Überleitungstarifvertrag vom 25. Februar 2013 i. V. m. § 22 Nr. 8 MTV BVD und Vergütungstarifvertrag BVD einzubeziehen.
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Das Arbeitsgericht hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass unter dem Begriff des Monatsgrundentgelts im Sinne der Tarifverträge auch die Besitzstandszulage erfasst wird.
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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Berufung der Beklagten. Sie ist der Ansicht, dass der Wortlaut des MTV und VTV eindeutig sei. Die Besitzstandszulage zähle nicht zum Monatsgrundentgelt. Nach den tarifvertraglichen Regelungen sei daher die Besitzstandszulage bei der Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigen. Es liege auch kein Verstoß gegen § 4 Abs. 4 EFZG vor. Für eine bestimmte Tätigkeit erhielten sowohl die Alt- als auch die Neubeschäftigten exakt dasselbe Entgelt. Alles andere wäre auch ein Verstoß gegen die Gleichbehandlung.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Mai 2014, Az. 53 Ca 19226/13, abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger ist zum einen der Ansicht, dass das Arbeitsgericht die tarifvertraglichen Regelungen zutreffend ausgelegt habe. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen die Öffnungsklausel nach § 4 Abs. 4 EFZG vor.
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Entscheidungsgründe
I.
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Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig.
II.
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In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden, dass die Beklagte an den Kläger 462,71 € brutto nebst Zinsen zu zahlen hat. Zu Recht hat es auch festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Besitzstandszulage bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu berücksichtigen. Nach den tarifvertraglichen Regelungen ist die Besitzstandszulage jedoch nicht berücksichtigungsfähig. Diese Regelung verstößt jedoch gegen § 4 Abs. 4 EFZG und ist unwirksam.
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1. Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts sind die tarifvertraglichen Regelungen eindeutig. Sie können nicht über die dort getroffenen Definitionen hinaus ausgelegt werden. Insofern ist die Besitzstandszulage nicht zu zahlen.
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Nach der Anlage zum MTV für Berlin-Brandenburg wird eine Sonderregelung zu § 22 Abs. 8 MTV getroffen. Danach ist als Vergütung während der Zeit der Entgeltfortzahlung das anteilige Monatsgrundentgelt nach § 14 MTV zu zahlen (Kopie Bl. 38 d. A.). § 14 MTV bestimmt den Begriff des Monatsgrundentgelts nicht näher, sondern verweist auf den jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag. § 2 des Vergütungstarifvertrages vom 25. Februar 2013 (Kopie Bl. 39 ff. d. A.) definiert den Begriff des Monatsgrundentgelts:
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„Das Monatsgrundentgelt eines Vollzeit Beschäftigten ergibt sich aus seiner Tätigkeit, den Tätigkeitsmerkmalen in Anlage 1 und den Vergütungstabellen in den Anlagen 3 a und b.“
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Die Tätigkeit und die Tätigkeitsmerkmale sind hier nicht von Relevanz. In der Anlage 3 a, die vorliegend einschlägig ist, wird als Monatsgrundentgelt bei Vollzeittätigkeit ein bestimmter Betrag ohne die Besitzstandszulage ausgewiesen (vgl. Kopie Bl. 51 d. A.).
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Da die tarifvertraglichen Regelungen den Begriff des Monatsgrundentgelts abschließend definieren, kann hierunter nicht auch die Zahlung einer Besitzstandszulage verstanden werden.
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Auch aus dem Überleitungstarifvertrag vom 25. Februar 2013 für die hiesige Beklagte (Kopie Bl. 56 ff. d. A.), kann nicht entnommen werden, dass die Besitzstandszulage auch im Falle der Entgeltfortzahlung zu zahlen ist. Im Teil 2 Abs. I wird normiert, welche Beschäftigten eine Besitzstandszulage erhalten. Obwohl die Tarifvertragsparteien dieses Haustarifvertrages daher zusätzliche tarifliche Ansprüche schaffen, wird an keiner Stelle geregelt, dass diese Besitzstandszulage bei der Entgeltfortzahlung ebenfalls zu berücksichtigen ist. Da der Überleitungstarifvertrag Sonderregelungen zur Anwendung des MTV und VTV enthält, gelten daher die allgemeinen Regelungen, wonach gerade keine weitere Zahlung als das Monatsgrundentgelt zu erbringen ist. Dies ist von den Tarifvertragsparteien auch nicht etwa übersehen worden. Ausweislich Teil 2 II des Überleitungstarifvertrages haben die Tarifvertragsparteien ausdrücklich geregelt, dass die Besitzstandszulage bei der Berechnung von Zuschlägen für Überstunden und für Feiertags-, Sonntags- sowie Nachtarbeit zu berücksichtigen ist. Gerade weil eine Regelung zur Entgeltfortzahlung fehlt, muss daher auch angenommen werden, dass die Tarifvertragsparteien dies ausdrücklich nicht wollten. Dies wird auch bestätigt durch den gewerkschaftsinternen Brief des damaligen Verhandlungsführers von ver.di vom 28. April 2013 (Anl. B6, Bl. 209 ff. d. A.).
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2. Soweit der Überleitungstarifvertrag in Verbindung mit dem Manteltarifvertrag (jeweils vom 25.02.2013) regelt, dass bei der Entgeltfortzahlung die Besitzstandszulage nicht zu berücksichtigen ist, verstößt dies gegen § 4 Abs. 4 EFZG und ist unwirksam.
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Nach §§ 3 Abs.1, 4 Abs.1 EFZG ist der Arbeitgeber verpflichtet, bis zur Dauer von sechs Wochen das Arbeitsentgelt fortzuzahlen, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehen würde. Der Grundsatz der hundertprozentigen Entgeltfortzahlung ist jedoch gem. § 4 Abs. 4 EFZG abänderbar. Danach kann durch Tarifvertrag eine abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages kann zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen über die Entgeltfortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall vereinbart werden. Die Beklagte wendet einheitlich die bei ihr geltenden Tarifverträge für alle Arbeitnehmer an, so dass an sich eine Abweichung in Betracht kommt.
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Das Bundesarbeitsgericht musste verschiedentlich feststellen, wie der Grundsatz der hundertprozentigen Entgeltfortzahlung abzugrenzen ist gegen die Abweichungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 4 EFZG. Das Bundesarbeitsgericht hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Tarifvertragsparteien einzelne Entgeltbestandteile ausklammern dürfen, die Grundvergütung in vollem Umfang in die Entgeltfortzahlung aber einbeziehen müssen (BAG, 13.03.2002 – 5 AZR 648/00 – Rn. 26). Es hat weiterhin ausgeführt, dass auch regelmäßig anfallende Zuschläge bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung ausgenommen werden dürfen. Es hat hierzu ausgeführt:
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„Zuschläge werden regelmäßig wegen zusätzlicher Erschwernisse und wegen besonderer Belastungen, die mit bestimmten Arbeiten verbunden sind, gezahlt. Entfällt die zusätzliche Erschwernis oder die besondere Belastung für den Arbeitnehmer, weil die Arbeit wegen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ausfällt, erscheint es gerechtfertigt, den zusätzlichen finanziellen Ausgleich ebenfalls entfallen zu lassen. Die Tarifvertragsparteien dürfen insoweit das Lebensstandardprinzip hintanstellen, zumal die tariflichen Zuschläge in aller Regel nicht den Lebensstandard des Arbeitnehmers prägen.“ (BAG, a. a. O. Rn. 22)
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An anderer Stelle hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass sich aus tariflichen Entgeltfortzahlungsbestimmungen ergeben könne, dass bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nur der Grundlohn ohne (bestimmte) Zuschläge fortzuzahlen ist (BAG, 01.12.2004 – 5 AZR 68/04 – Rn. 26). Ein Tarifvertrag dürfe aber die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts nicht gezielt unter 100 % absenken (BAG, 18.11.2009 – 5 AZR 975/08 – Rn. 17).
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Bei Anwendung dieser Grundsätze hätte von den Tarifvertragsparteien die Besitzstandszulage nicht ausgeklammert werden dürfen. Das Bundesarbeitsgericht erlaubt eine Abweichung durch Tarifverträge nur hinsichtlich zu zahlender Zuschläge. Dies wird damit begründet, dass diese regelmäßig wegen zusätzlicher Erschwernisse und wegen besonderer Belastungen gezahlt werden. In der Tat können sich derartige Zuschläge aus den näheren Umständen der Arbeitsleistung oder der besonderen Lage der Arbeitszeit ergeben. Als Grundlohn oder Grundvergütung sind demnach umgekehrt all die Entgeltbestandteile anzusehen, die hiervon unabhängig zu zahlen sind. Dies ist auch nachvollziehbar. Der Arbeitgeber kann im Rahmen des Direktionsrechts näher bestimmen, wann und wie die Arbeit zu leisten ist. Durch die konkreten Umstände der Arbeitsleistung mag sich das monatliche Entgelt erhöhen. Derartige Zuschläge prägen den Lebensstandard des Arbeitnehmers in der Regel nicht, worauf das Bundesarbeitsgericht zu Recht hingewiesen hat. Der Lebensstandard des Arbeitnehmers hängt jedoch entscheidend davon ab, was an ihn monatlich an Entgelt auszuzahlen ist, soweit die konkrete Leistung der Arbeit irrelevant ist. Auf diesen Betrag kann der Arbeitnehmer sich verlassen, denn er steht ihm immer zu. Dies ist beim hiesigen Kläger sowohl das Monatsgrundentgelt im Sinne der tarifvertraglichen Bestimmungen, aber auch die Besitzstandszulage nach dem Überleitungstarifvertrag. Insofern können fixe Entgeltbestandteile gerade nicht von der Entgeltzahlung ausgeklammert werden. Die Zahlung einer Besitzstandszulage als Übergangsregelung verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, denn hierfür gibt es einen sachlichen Grund.
III.
25
Die Beklagte hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 ZPO).
26
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Eine grundsätzliche Bedeutung eines Rechtsstreits ergibt sich nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht allein daraus, dass ein größerer Personenkreis eines Arbeitgebers betroffen ist. Vorliegend geht es jedoch ausschließlich um eine Regelung, die jedenfalls bisher nur die hiesige Beklagte und wohl eine weitere Arbeitgeberin betrifft. Beide Unternehmen sind ausschließlich im Bezirk des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg tätig. Insofern kann von dem hiesigen Landesarbeitsgericht diese Problematik auch abschließend geklärt werden. Die allgemeinen Kriterien sind nach Auffassung der hiesigen Kammer vom Bundesarbeitsgericht hinreichend bestimmt. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.