Hartz IV und Skiausrüstung für die Klassenfahrt - SG Berlin S 191 AS 115/15 ER
Die Eltern eines 14-jährigen Hartz IV-Empfängers, der mit seiner Schulklasse eine Skireise nach Südtirol unternehmen will, verlangen für ihn vom Jobcenter auf Kostenübernahme für eine Skiausrüstung.
Der 14-jährige Antragsteller aus Berlin-Mitte steht mit seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern im Leistungsbezug des Antragsgegners, dem Jobcenter Berlin Mitte. Im Oktober 2014 bewilligte ihm dasJobcenter die Kosten für eine Mitte Januar 2015 stattfindende achttägige Klassenfahrt nach Südtirol in Höhe von 540 Euro.
Im Dezember 2014 beantragte der durch seine Eltern vertretene Antragsteller die Übernahme von Kosten für dringend benötigte weitere Ausrüstungsgegenstände. Erforderlich sei die Neuanschaffung von einem Skianzug, zweimal Skiunterwäsche, von Skihandschuhen, einem Skihelm und einer Skibrille. Hierüber hat der Antragsgegner noch nicht entschieden.
Am 5. Januar 2015, drei Tage vor der Klassenfahrt, beantragte der Antragsteller deshalb bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, den Antragsgegner zur Übernahme der Kosten der zu verpflichten.
Ein 14-jähriger Hartz IV-Empfänger, der mit seiner Schulklasse eine Skireise nach Südtirol unternimmt, hat keinen Anspruch gegen das Jobcenter auf Kostenübernahme für eine Skiausrüstung (Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 13. Januar 2015 - S 191 AS 115/15 ER).
Zu diesem Ergebnis kommt das Gericht bei einer vorläufigen Einschätzung im gerichtlichen Eilverfahren.
Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II umfassen die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes den Regelbedarf für 14 bis 18-jährige Leistungsberechtigte zur Zeit monatlich 302 Euro. Nach § 24 SGB II können abweichende Leistungen gesondert erbracht werden, zum Beispiel Erstausstattungen für Bekleidung. Und aus § 28 Abs. 2 SGB II folgt, dass bei Schülern die tatsächlichen Aufwendungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen anerkannt werden.
Unterwäsche und Handschuhe seien Gegenstände, die aus den üblichen Mitteln des Regelsatzes zu finanzieren seien, wenn nötig durch Ansparen. Helm, Anzug und Skibrille seien zwar nicht vom Regelbedarf erfasste Gegenstände. Die Gewährung zusätzlicher Leistungen komme jedoch nicht in Betracht. Es sei fraglich, ob die begehrten Gegenstände – abgesehen vom Helm – überhaupt zwingend notwendig seien. Schon nach dem Willen des Gesetzgebers sei es darüber hinaus zumutbar, derartige Bedarfe auch durch Erwerb von Gebrauchtwaren zu decken. Bei Ebay-Kleinanzeigen gebe es Skianzüge für Jugendliche bereits für 15-64 Euro und Skibrillen für 5 bis 15 Euro. Der Helm könne vor Ort ausgeliehen werden. Vor diesem Hintergrund bestehe jedenfalls kein Anspruch auf eine Leistungsgewährung durch einen gerichtlichen Eilbeschluss.
Der Umstand, dass der Antragsteller auf ein bereits am Tag der Antragstellung gefertigtes Schreiben des Gerichts nicht mehr geantwortet habe, deute im übrigen darauf hin, dass er die Reise auch ohne ein Eingreifen des Gerichts wie geplant angetreten habe.
Der Beschluss ist rechtskräftig. Aufgrund des – bei überschlägiger Prüfung - unter 750 Euro liegenden Beschwerdewertes ist er nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Volltext der Entscheidung des Sozialgerichts Berlin, Beschluss vom 13. Januar 2015 - S 191 AS 115/15 ER:
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der 14jährige Antragsteller steht gemeinsam mit seinen Eltern und den fünf Geschwistern im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) des Antragsgegners.
Der Vater des Antragstellers geht einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit mit einen monatlich schwankenden Einkommen von ca. 550,- EUR bis 650,- EUR netto nach.
Mit Bescheid vom 13.10.2014 bewilligte der Antragsgegner auf den vom Antragsteller durch seine Eltern gestellten Antrag vom 21.09.2014 auf Übernahme der Kosten von insgesamt 540,50 EUR ("530,-EUR Fahrtkosten + 10,50 EUR Nebenkosten") für eine vom 08. bis 16.01.2015 in S. stattfindende Klassenfahrt die begehrten Kosten in voller Höhe.
Mit Fax-Schreiben vom 21.12.2014 kamen die Eltern des Antragstellers "nach hinreichender Suche nach Information im Internet" zu dem Schluss, "dass für die Skireise [des Antragstellers] dringend weitere Ausrüstungsgegenstände/-kleidung benötigt werden". Sie beantragten im Einzelnen für den Antragsteller als "Neuanschaffungen" einen Ski-Anzug, zwei Mal Ski-Unterwäsche, ein Paar Ski-Handschuhe, einen Ski-Helm sowie eine Ski-Brille. Eine Entscheidung des Antragsgegners hierüber steht noch aus.
Mit am 05.01.2015, um 13:11 Uhr beim Gericht eingegangenen Fax-Schreiben beantragt der – bei sinngemäßer Auslegung des Begehrens allein aktivlegitimierte und lediglich durch seine Eltern vertretene – Antragsteller die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem sinngemäßen Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig zuschussweise die Kosten für die Anschaffung einer Ski-Ausrüstung gemäß seinem Antrag vom 21.12.2014 zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die am 13.01.2015 eingegangene Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
II.
1. Der Eilrechtsschutzantrag ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint und ein Anordnungsanspruch und –grund mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht ist (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Zusätzlich zu den vom Antragsgegner bereits übernommenen Leistungen i.H.v. 540,50 EUR für die Teilnahme des Antragstellers an der mehrtätigen Klassenfahrt in Österreich geht die Kammer bei summarischer Prüfung davon aus, dass der Antragsteller jedenfalls im vorläufigen Eilrechtsschutzverfahren keinen Anspruch auf die beantragte zuschussweise Gewährung einer Erstausstattung für Ski-Ausrüstung nach § 24 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II Erfolg versprechend geltend machen kann. Nach § 24 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II werden nicht vom Regelbedarf umfasste Bedarfe - hier: Erstausstattung für Bekleidung – gesondert erbracht. Diese Voraussetzungen sind nach der in einem Eilrechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung vorliegend nicht erfüllt.
Es ist schon fraglich, inwieweit die beantragten Kleidungsstücke – außer dem Ski-Helm, der nach der Lebenserfahrung, wonach das Tragen eines Helms bei Personen im Alter des Antragstellers, die im Rahmen einer Klassenfahrt gemeinsam mit Mitschülern und in der Regel ungeübt Ski laufen, aus Sicherheitsgründen geboten erscheint – überhaupt zu den notwendigen Ausrüstungsgegenständen gehören, ohne die die Teilnahme an der mehrtägigen Klassenfahrt für den Antragsteller nicht zumutbar erscheint.
Auch ist durch die Eltern des Antragstellers weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, inwieweit in den – vom Antragsgegner bereits übernommenen - Kosten für die Klassenfahrt in Höhe von 540,50 EUR nicht bereits Gebühren für die Ausleihe eines Ski-Helmes und sonstiger Ski-Bekleidung enthalten sind.
Zwar handelt es sich bei den beantragten Aufwendungen für einen Ski-Anzug, einen Ski-Helm sowie eine Ski-Brille um nicht vom Regelbedarf umfasste Bedarfe nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Indes vermochte das Gericht vor dem Hintergrund des erst am 05.01.2015 eingegangenen Eilrechtsschutzantrages bis zum Antritt der Ski-Reise durch den Antragsteller am 08.01.2015 schon nicht mehr aufzuklären, ob diese bereits – ggf. leihweise - angeschafft wurden. Dies wäre den Eltern des Antragstellers nach Aktenlage durch die Bildung von Rücklagen, z.B. aus den dem Vater des Antragstellers monatlich zur Verfügung stehenden Erwerbstätigenfreibeträgen nach § 11b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II von ca. 200,- EUR monatlich, grundsätzlich möglich gewesen. Diesen dürfte das Erfordernis zur Anschaffung der von ihnen begehrten Leistungen auch nicht erst seit Ende Dezember, sondern bereits bei Antragstellung im September 2014 bekannt gewesen sein. In diesem Zusammenhang sei zudem darauf hingewiesen, dass die Gesetzesbegründung zu § 24 SGB II (BT-Drs. 15/1515, 57) hinsichtlich der "Bedarfsdeckung auf andere Weise" auch den vorrangigen Verweis auf Gebrauchtwarenlager oder Kleiderkammern ausdrücklich vorsieht. Jedenfalls für Belange des vorläufigen Eilrechtsschutzes ist es Hilfebedürftigen zumutbar, auf solche städtischen Angebote zurückzugreifen. Hierauf wurden die Eltern des Antragstellers auch mit gerichtlichem Fax-Schreiben vom 05.01.2015 hingewiesen. Hinsichtlich des Ski-Helmes dürfte zudem eine Ausleihe vor Ort möglich und sogar die übliche Vorgehensweise sein.
Unbeschadet dieser – im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens näher aufzuklärenden - Fragen, handelt es sich bei Anschaffungen für einen (gebrauchten) Ski-Anzug für Jugendliche (ca. 15,- bis 65,- EUR) und eine Ski-Brille (ca. 5,- bis 15,- EUR) sowie die Ausleihgebühr für einen Ski-Helm (ca. 5,- bis 10,- EUR) nach aktuellen Internet-Recherchen der Kammervorsitzenden unter www.kleinanzeigen.ebay.de und www.kleinanzeigen.ebay.de auch um Beträge, die innerhalb etwa zweier Folgemonate aus dem Anteil des Regelsatzes aufgebracht werden könnten, der im Regelsatz als Ansparbetrag für nicht laufende, sondern einmalige Bedarfe vorgesehen ist (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R-, Juris-Rn. 24).
Vor diesem Hintergrund ist es einstweilen nicht erkennbar, weshalb - bei unsicherer Lage hinsichtlich des Anordnungsanspruchs - zu Lasten der die Leistungen nach dem SGB II finanzierenden Allgemeinheit im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zuerkannt werden sollten, die im Falle des Nichtbestehens eines (im Hauptsacheverfahren gründlicher zu prüfenden) Leistungsanspruches nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II mit der Gefahr nur erschwerter Rückholbarkeit behaftet sind. Es ist auch weder konkret vorgetragen noch sonst erkennbar, dass das Zuwarten des Antragstellers bis dahin zu einer für ihn unzumutbaren Situation – hier ggf. die Nicht-Teilnahme an der Ski-Reise – geführt hätte. Eine Reaktion der Eltern des Antragstellers auf das gerichtliche Hinweisschreiben vom 05.01.2015 erfolgte bis heute nicht, so dass davon auszugehen ist, dass der Antragsteller die Klassenfahrt am 08.01.2015 wie geplant angetreten hat.
Hinsichtlich der Kosten für die Anschaffung von Ski-Unterwäsche sowie Ski-Handschuhen handelt es sich bereits um keinen gesonderten Bedarf i.S.d. § 24 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II. Denn diese stellen keine speziell und allein für die Durchführung einer Ski-Reise benötigten Gegenstände dar, sondern können auch im Anschluss an die Klassenfahrt vom Antragsteller weiterverwendet werden. Es spricht deshalb vieles dafür, dass die Ski-Unterwäsche sowie Ski-Handschuhe als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und nicht allein für die Klassenfahrt aus der Regelleistung – bzw. im Fall des minderjährigen Antragstellers aus dem Sozialgeld (§ 23 Nr. 1 SGB II) - zu finanzieren sind.
Diesbezüglich käme daher allein eine darlehensweise Gewährung nach 24 Abs. 1 SGB II in Betracht. Abgesehen davon, dass der Antragsteller ein solches schon nicht beantragt hat, liegen aber auch diese Voraussetzungen hier nicht vor. Nach § 24 Abs. 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis Bedarfe als Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht durch den Hilfebedürftigen gedeckt werden kann. Von der "Unabweisbarkeit" dieses Bedarfs vermochte sich das Gericht aber bis zum Antritt der Ski-Reise durch den Antragsteller am 08.01.2015 – wie ausgeführt – ebenfalls nicht mehr zu überzeugen, da jeder Vortrag des Antragstellers dazu fehlt, ob diese bereits angeschafft wurden.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und folgt – mangels ersichtlicher, eine andere Beurteilung rechtfertigender Gesichtspunkte – dem Ergebnis der Sachentscheidung.
3. Dieser Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG für den Antragsteller unanfechtbar, da in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt bei überschlägiger Prüfung des unbezifferten Antrags den Berufungsschwellenwert gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 750,- EUR nicht.