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Insolvenzsicherungsbeiträge für Modell der Arbeitszeitflexibilisierung

30. Jun
2014

 - 0Wegen der Nichtzahlung von Sozialkassen- und Beiträgen zur Insolvenzsicherung begehrt die zuständige Einzugsstelle gerichtliche Klärung. Ein Unternehmen des Gerüstbauerhandwerks und späterer Beklagter meint hierzu nicht verpflichtet zu sein.

Die einschlägigen Tarifverträge regeln insbesondere wie folgt:

„Zur Absicherung des Insolvenzrisikos hat der Arbeitgeber den Durchführungsbeginn der Arbeitszeitflexibilisierung und die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer der Kasse zu melden und bis zum 15. des Folgemonats, der auf den Beginn des Ausgleichszeitraums folgt, einen Betrag von 50,00 Euro pro Arbeitnehmer an die Kasse zu entrichten.“ ...

„Der Arbeitgeber kann innerhalb des Ausgleichszeitraums bis zu 150 Arbeitsstunden vor- und 30 Arbeitsstunden nacharbeiten lassen.“

Der Beklagte hat in Absprache mit ihren Arbeitnehmern ein von den tariflichen Vorgaben partiell abweichendes Modell der Arbeitszeitflexibilisierung anwendet. Die klagende Einzugsstelle hat die Auffassung vertreten, Arbeitszeit dürfe nur im Rahmen der tariflichen Vorgaben flexibilisiert werden. Die Beklagte sei daher zur Zahlung der Insolvenzsicherungsbeiträge verpflichtet. Dem ist das Bundesarbeitsgericht gefolgt.

Ein Arbeitgeber ist zur Zahlung eines Beitrags zur Absicherung des Insolvenzrisikos von Zeitguthaben an die Einzugsstelle von Sozialkassen- und Insolvenzsicherungsbeiträge aufgrund einer tariflichen Regelung verpflichtet, trotz eines nicht von der Regelung gedeckten Modells der Arbeitszeitflexibilisierung (BAG, Urteil vom 19. März 2014 - 10 AZR 750/13).

Die streitgegenständliche tarifliche Reglung erlaube einem Arbeitnehmer des beklagten Arbeitgeners, den aus umgewandeltem Zeitguthaben resultierenden Entgeltanspruch unmittelbar gegenüber der klagenden Kasse geltend zu machen, wenn der Arbeitgeber bei Anspruchsfälligkeit insolvent ist.

Die tarifliche geregelte Beitragpflicht gelte unmittelbar und zwingend. Abweichende Abmachungen seien gemäß § 4 Abs. 3 TVG nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Dieses Modell der Arbeitszeitflexibilisierung ist nach Ansicht des BAG zwar eine nach § 4 Abs. 3 TVGzulässige Abweichung gegenüber dem tariflichen Arbeitszeitmodell, diese bewirke jedoch nicht, dass etwaige Zeitguthaben nicht insolvenzgesichert sind und deshalb keine Insolvenzsicherungsbeiträge zu leisten sind. Eine Insolvenzsicherung sei zwar tariflich möglich, jedoch nicht im Betrieb des beklagten Arbeitgebers vorhanden. Bei diesem Modell der Arbeitszeitflexibilisierung tragen die Arbeitnehmer weiter gehende Insolvenzrisiken. Es sei weder ein Ausgleichszeitraum bestimmt noch überhaupt ein Ausgleich durch Freistunden vorgesehen. Damit hänge es bei drohender Insolvenz von der - zufällig - rechtzeitigen Geltendmachung ab, ob ein Zeitguthaben noch zur Auszahlung kommt. Zur Abdeckung des Insolvenzrisikos hat der Arbeitgeber die eingeklagten Versicherungsbeiträge an die klagende Sozialkasse zu zahlen. Die Revision des beklagten Arbeitgebers war daher zurückzuweisen.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts BAG, Urteil vom 19. März 2014 - 10 AZR 750/13:


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 26. April 2013 - 10 Sa 1593/12- wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.


Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung eines Beitrags zur Absicherung des Insolvenzrisikos von Zeitguthaben.

Die Beklagte führt einen Betrieb des Gerüstbauerhandwerks. Der Kläger ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Gerüstbaugewerbes Einzugsstelle für die Zahlung von Sozialkassen- und Insolvenzsicherungsbeiträgen nach Maßgabe des allgemeinverbindlichen Rahmentarifvertrags für das Gerüstbauerhandwerk vom 27. Juli 1993 in der Fassung vom 11. Juni 2002 (RTV) sowie des ebenfalls allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbauerhandwerk vom 20. Januar 1994 in der Fassung vom 11. Juni 2002 (VTV).

§ 3 RTV regelt die Flexibilisierung der Arbeitszeit wie folgt:

„…

4. Flexibilisierung der Arbeitszeit

4.1 Zweimonatiger Ausgleichszeitraum

Durch Betriebsvereinbarung kann innerhalb von zwei zusammenhängenden Lohnabrechnungszeiträumen (2-monatiger Ausgleichszeitraum) an einzelnen Werktagen regelmäßig ausfallende Arbeitszeit durch Verlängerung der Arbeitszeit an anderen Werktagen des Ausgleichszeitraums ohne Mehrarbeitszuschlag ausgeglichen werden. Die Summe der regelmäßigen werktäglichen Arbeitszeiten in den einzelnen Wochen des Ausgleichszeitraums darf 32 Stunden nicht unterschreiten.

4.3 Zwölfmonatiger Ausgleichszeitraum

4.3.1 Durchführung

Durch Betriebsvereinbarung oder, wenn kein Betriebsrat besteht, durch einzelvertragliche Vereinbarung kann in einem Zeitraum von 12 Monaten (Ausgleichszeitraum) eine von der tariflichen Arbeitszeitverteilung abweichende Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Werktage ohne Mehrarbeitszuschlag vereinbart werden, wenn gleichzeitig ein Monatslohn nach Ziff. 4.3.2 gezahlt wird. Der Beginn des Ausgleichszeitraums muss in der Zeit vom 1.4. bis 30.9. liegen. Aus dieser Betriebsvereinbarung bzw. der einzelvertraglichen Vereinbarung muss sich ergeben, in welchem Umfang, in welcher Form und mit welcher Ankündigungsfrist die jeweilige werktägliche Arbeitszeit festgelegt wird.

In die Arbeitszeitverteilung darf der Samstag nicht regelmäßig mit einbezogen werden.

Der Arbeitgeber kann innerhalb des Ausgleichszeitraums bis zu 150 Arbeitsstunden vor- und 30 Arbeitsstunden nacharbeiten lassen. Die Anzahl, Lage und die Verteilung dieser Arbeitsstunden im Ausgleichszeitraum ist im Einvernehmen mit dem Betriebsrat oder, wenn kein Betriebsrat besteht, im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer festzulegen.

4.3.5 Absicherung des Ausgleichskontos

Durch den Arbeitgeber ist in geeigneter Weise auf seine Kosten sicherzustellen, dass das Zeitguthaben jederzeit bestimmungsgemäß ausgezahlt werden kann.

Wird ein Antrag auf Insolvenz gestellt oder liegt ein sonstiges Ereignis im Sinne des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren vor, wandelt sich das Zeitguthaben des Arbeitnehmers in einen Entgeltanspruch um. Weitere Einzelheiten dazu regelt § 9 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbauerhandwerk in der jeweils geltenden Fassung.

…“

§ 9 VTV regelt die Insolvenzsicherung von Zeitguthaben wie folgt:

„(1) Ist der Arbeitgeber bei Anspruchsfälligkeit insolvent, so erhält der Arbeitnehmer das Recht, die Ansprüche gemäß § 3 Ziff. 4.3.5 des Rahmentarifvertrags für das Gerüstbauerhandwerk vom 20. Januar 1994 in der jeweils geltenden Fassung unmittelbar gegenüber der Kasse geltend zu machen.

Bei der Leistung der Kasse werden Zahlungen gemäß §§ 183 ff. SGB III (Insolvenzgeld) angerechnet, soweit diese auf Grund eines Anspruchs aus § 3 Ziff. 4.3.5 erfolgen.

Insolvenz des Arbeitgebers ist mit Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegeben. Diesem Tatbestand gleichgestellt wird die tatsächliche Einstellung der betrieblichen Tätigkeit wegen Zahlungsunfähigkeit.

Der Erstattungsanspruch gegen die Kasse ist auf maximal 150 Plus- und 30 Minusstunden begrenzt.

(3) Zur Absicherung des Insolvenzrisikos hat der Arbeitgeber den Durchführungsbeginn der Arbeitszeitflexibilisierung und die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer der Kasse zu melden und bis zum 15. des Folgemonats, der auf den Beginn des Ausgleichszeitraums folgt, einen Betrag von 50,00 Euro pro Arbeitnehmer an die Kasse zu entrichten.“

Die Beklagte vereinbarte im Klagezeitraum 2008 bis 2010 mit ihren Arbeitnehmern eine Flexibilisierung der Arbeitszeit. Danach war das Volumen der Vorarbeit auf 117 Gutstunden beschränkt, deren Auszahlung konnte jederzeit verlangt werden. Das Zeitkonto wurde laufend fortgeschrieben, eine Abrechnung am Ende eines Ausgleichszeitraums fand nicht statt. Die Beklagte zahlte ganzjährig eine Vergütung auf Basis von 169 Stunden monatlich.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, Arbeitszeit dürfe nur im Rahmen der tariflichen Vorgaben flexibilisiert werden; die Beklagte sei zur Zahlung der Insolvenzsicherungsbeiträge verpflichtet.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.400,00 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.


Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat gemäß § 9 Abs. 3 VTV Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Insolvenzsicherungsbeiträge.

I. Nach § 9 Abs. 1 VTV hat der Arbeitnehmer das Recht, den aus umgewandeltem Zeitguthaben resultierenden Entgeltanspruch (§ 3 Ziff. 4.3.5 RTV) unmittelbar gegenüber der Kasse geltend zu machen, wenn der Arbeitgeber bei Anspruchsfälligkeit insolvent ist. Insolvenzgesichert sind Zeitguthaben, die in dem in § 3 Ziff. 4.3 RTV geregelten Modell der Arbeitszeitflexibilisierung mit einem 12-monatigen Ausgleichszeitraum entstehen können. Zur Absicherung des Insolvenzrisikos hat der Arbeitgeber nach § 9 Abs. 3 VTV einen Betrag von 50,00 Euro pro Arbeitnehmer und Ausgleichszeitraum an die Kasse zu entrichten. Nicht insolvenzgesichert sind Zeitguthaben, die in dem anderen tariflich nach § 3 Ziff. 4.1 RTV zulässigen Modell mit einem 2-monatigen Ausgleichszeitraum entstehen; die Tarifvertragsparteien haben bei diesem begrenzten Ausfallrisiko auf eine Insolvenzsicherung verzichtet.

II. Die Voraussetzungen einer Beitragspflicht nach § 9 Abs. 3 VTV liegen vor; sie wird ausgelöst, sofern ein Arbeitnehmer bei Insolvenz seines Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 VTV iVm. § 3 Ziff. 4.3.5 RTV vom Kläger Auszahlung eines umgewandelten Zeitguthabens verlangen könnte. Dies ist vorliegend der Fall.

1. Die Beklagte führt für ihre Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto, in das geleistete Mehrarbeit einfließt. Das Zeitguthaben wird nicht nach § 3 Ziff. 4.1 RTV innerhalb von 2 Monaten und damit in der Zeitspanne ausgeglichen, für die eine Insolvenzsicherung tariflich nicht vorgesehen ist. Nach dem von der Beklagten angewendeten Modell kann ein Zeitguthaben sogar über den in § 3 Ziff. 4.3 RTV bestimmten Ausgleichszeitraum von 12 Monaten hinaus unausgeglichen bleiben. Bei einer Insolvenz bestünde ein hohes Ausfallrisiko, welches aber nach § 9 Abs. 1 VTV durch den Anspruch gegen den Kläger abgesichert ist. Dieser Anspruch löst die Beitragspflicht nach § 9 Abs. 3 VTV aus.

2. Unerheblich ist, dass die Beklagte in Absprache mit ihren Arbeitnehmern ein von den tariflichen Vorgaben des § 3 Ziff. 4.3 RTV partiell abweichendes Modell der Arbeitszeitflexibilisierung anwendet. Nach § 4 Abs. 1 TVG iVm. § 5 Abs. 4 TVG gelten der RTV und VTV unmittelbar und zwingend, die Beklagte ist an die Vorgaben des § 3 RTV gebunden. Sie darf ihre Arbeitnehmer nur nach Maßgabe der tariflichen Wochenarbeitszeit beschäftigen oder die Arbeitszeit entsprechend den Modellen des § 3 Ziff. 4.1 oder Ziff. 4.3 RTV flexibel gestalten. Ein abweichendes Arbeitszeitmodell ist nach § 4 Abs. 3 TVG nur zulässig, soweit es durch Tarifvertrag gestattet ist oder zugunsten der Arbeitnehmer von den tariflichen Vorgaben abweicht.

a) Eine tarifliche Öffnungsklausel existiert nicht. Die Beschränkung des Zeitguthabens auf 117 Stunden liegt im Rahmen der von § 3 Ziff. 4.3.1 Abs. 3 RTV erlaubten Bandbreite. Soweit die Arbeitnehmer jederzeit über ihr Zeitguthaben verfügen und Auszahlung verlangen können, liegt darin zwar eine nach § 4 Abs. 3 TVG zulässige Abweichung gegenüber dem tariflichen Arbeitszeitmodell, diese bewirkt jedoch entgegen der Auffassung der Revision nicht, dass etwaige Zeitguthaben nicht nach § 3 Ziff. 4.3.5 RTV iVm. § 9 VTV insolvenzgesichert sind und deshalb keine Insolvenzsicherungsbeiträge zu leisten sind. Eine Insolvenzsicherung ist tariflich nur dann nicht vorgesehen, wenn die Betriebsparteien nach § 3 Ziff. 4.1 RTV eine Flexibilisierung der Arbeitszeit über einen 2-monatigen Ausgleichszeitraum vereinbaren.

b) Nach dem bei der Beklagten gelebten Modell der Arbeitszeitflexibilisierung tragen die Arbeitnehmer weiter gehende Insolvenzrisiken. Es ist weder ein Ausgleichszeitraum bestimmt noch überhaupt ein Ausgleich durch Freistunden vorgesehen. Damit hängt es bei drohender Insolvenz von der - zufällig - rechtzeitigen Geltendmachung ab, ob ein Zeitguthaben noch zur Auszahlung kommt. Ist die Auszahlung des Zeitguthabens noch erfolgt, droht zudem die Insolvenzanfechtung nach § 129 ff. InsO.

c) Auch die Arbeitnehmer der Beklagten haben deshalb gegenüber dem Kläger den unabdingbaren Anspruch nach § 3 Ziff. 4.3.5 RTV iVm. § 9 Abs. 1 VTV; der Kläger wiederum kann von der Beklagten zur Absicherung des Insolvenzrisikos nach § 9 Abs. 3 VTV den der Höhe nach unstreitigen Sicherungsbeitrag verlangen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Mikosch W. Reinfelder Mestwerdt Rudolph D. Schumann