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Jahressonderzahlung trotz Kündigung - LAG Ba-Wü 9 Sa 63/14

21. Mar
2015

 - 0Die Eigenkündigung des Arbeitnehmers kann zum Wegfall des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung nach § 22 des Manteltarifvertrages AWO BW führen, weil dieser zum Stichtag ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis voraussetzt. Das LAG verweigerte der Klägerin auch einen Anspruch nach § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer vermeintlichen vertraglichen Nebenpflicht des beklagten Arbeitgebers. Es lag nach der Wertung des Gerichts keine falsche Auskunft über die Notwendigkeit einer Kündigung durch den Arbeitnehmer vor.

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 09.02.2015 - 9 Sa 63/14:


Leitsätze

1. Das Arbeitsverhältnis endet nach § 35 MTV AWO BW nicht durch den Bezug einer vorgezogenen Altersrente mit Abschlägen, sondern muss ggf. vom Arbeitnehmer gekündigt werden.

2. Das kann zum Wegfall des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung nach § 22 MTV AWO BW führen, weil dieser zum Stichtag ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis voraussetzt.


Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 23.09.2014, Az.: 2 Ca 51/14 abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Zahlung von Euro 2.075,00 brutto als Jahressonderleistung für das Jahr 2013 entsprechend den tarifvertraglichen Regelungen des Manteltarifvertrages Baden-Württemberg.

Die Klägerin ist seit dem 15. Januar 1990 bei dem Beklagten als Pflegehelferin tätig. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet nach Ziffer 13 des Arbeitsvertrages vom 16.1.1990 der Bundesmanteltarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung Anwendung.

Die Klägerin entschloss sich Mitte 2013, vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Abschlägen nach § 236a Abs. 2 SGB VI ab dem 1.1.2014 in Anspruch zu nehmen. Da sich die Klägerin unsicher war, ob das Arbeitsverhältnis von ihr zum 31.12.2013 gekündigt werden musste erkundigte sie sich dazu bei dem Beklagten. Sie führte darüber ein Gespräch mit der Mitarbeiterin Frau H.. Diese teilte der Klägerin mit, das Arbeitsverhältnis ende nicht "automatisch", sondern es sei eine Kündigung der Klägerin erforderlich. Aufgrund dessen kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Juli 2013 das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2013.

Mit Schreiben vom 13.1.2014 an den Beklagten begehrte die Klägerin die Zahlung der Jahressonderzahlung 2013. Mit Schreiben vom 21.2.2014 erklärte der Beklagte, diese Zahlung nicht zu leisten, da die Klägerin die tarifvertraglichen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfülle, da sie am 1. Dezember des Jahres 2013 nicht in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden habe.

Die maßgeblichen tarifvertraglichen Vorschriften (Tarifvertrag Baden-Württemberg vom 18.12.2008 - TV BW) lauten wie folgt:

"§ 22 Jahressonderzahlung

(1) Beschäftigte, die am 1. Dezember seit mindestens sechs Monaten in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, haben Anspruch auf eine Sonderzahlung.

(2) Die Jahressonderzahlung beträgt 83 von 100 des den Beschäftigten in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich jeweils gezahlten monatlichen Tabellenentgelts.

§ 35 Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung

(1) Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf

a) mit Ablauf des Monats, in dem die Beschäftigten das für sie maßgebliche Lebensjahr für den ungekürzten Bezug einer Rente wegen Alters vollendet haben,

(2) Das Arbeitsverhältnis endet ferner mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid eines Rentenversicherungsträgers (Rentenbescheid) zugestellt wird, wonach die Beschäftigten voll oder teilweise erwerbsgemindert sind.

(3) Im Falle teilweiser Erwerbsminderung endet bzw. ruht das Arbeitsverhältnis nicht, wenn die Beschäftigten nach ihrem vom Rentenversicherungsträger festgestellten Leistungsvermögen auf ihrem bisherigen oder einem anderen geeigneten und freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden können,…

(4) Verzögern die Beschäftigten schuldhaft den Rentenantrag oder beziehen sie Altersrente nach § 236 oder § 236a SGB VI ..., so tritt an die Stelle des Rentenbescheids das Gutachten einer Amtsärztin/eines Amtsarztes oder einer/eines nach § 8 Abs. 1 bestimmten Ärztin/Arztes. Das Arbeitsverhältnis endet in diesem Fall mit Ablauf des Monats, in dem den Beschäftigten das Gutachten bekannt gegeben worden ist."

Die Klägerin ist der Auffassung, ihr Arbeitsverhältnis hätte auch ohne Kündigung nach § 35 Abs. 4 TV BW geendet. Darüber sei sie von dem Beklagten falsch beraten worden, weil dieser ihr mitgeteilt habe, es sei eine Kündigung erforderlich, wenn die Klägerin nach Bewilligung der Rente nicht mehr arbeiten wolle. Wäre sie richtig beraten worden, so hätte sie zum Stichtag 1.12.2013 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden und hätte die Jahressonderzahlung erhalten. Der Beklagte sei ihr daher zum Schadensersatz verpflichtet. Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch eine tarifvertragliche Vorschrift geendet habe und daher die Auskunft, die Klägerin müsse das Arbeitsverhältnis von sich aus kündigen zutreffend gewesen sei. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Vor dem Arbeitsgericht hat die Klägerin zuletzt beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 2.075,00 brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v.5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2014 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat durch das angegriffene Urteil vom 23. September 2014 der Klägerin in Höhe des Klagebetrages einen Schadensersatzanspruch zugesprochen. Es hat diese Entscheidung damit begründet, dass der Beklagte die Klägerin falsch darüber informiert habe, dass für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Kündigung erforderlich sei und dies dafür ursächlich gewesen sei, dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für die Jahressonderzahlung nach dem TV BW nicht erfüllt habe. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei § 35 Abs. 4 TV BW dahingehend auszulegen, dass ein Rentenbescheid über den Bezug einer Altersrente nach § 236a SGB VI ausreiche, damit das Arbeitsverhältnis kraft tarifvertraglicher Regelung ende.

Gegen das ihm am 6.10.2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte fristgerecht am 24.10.2014 Berufung eingelegt und diese fristgerecht am 3.12.2014 begründet.

Zur Begründung der Berufung führt der Beklagte aus, das Gericht habe zunächst die Zeugin Frau H. unzutreffend zitiert. Die Zeugin habe gegenüber der Klägerin nicht ausgesagt, dass sie kündigen müsse, sondern lediglich generell über die Handhabung bei Inanspruchnahme von Rente informiert. Der Beklagte habe daher schon gar keine falsche Auskunft erteilt. Die Zeugin habe lediglich erklärt, dass in allen gleichartig gelagerten Fällen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung üblich sei. Im übrigen sei die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichtes, dass im Falle der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente für Schwerbehinderte mit Abschlägen das Arbeitsverhältnis nach § 35 des TV BW kraft tarifvertraglicher Regelung ende, unzutreffend ist. Eine Kündigung sei schon allein deswegen notwendig, weil es dem Arbeitnehmer freistehe, zu welchem Zeitpunkt er nach Erreichen der nach dem Schwerbehindertenrecht vorgezogenen Altersrente der tatsächlichen Rente gehen wolle. Zudem habe der Beklagte die Klägerin auch gerne noch als Arbeitskraft bis im Frühjahr 2014 weiter beschäftigen wollen.

Der Beklagte beantragt daher:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 23.9.2014, Az. 2 Ca 51/14 abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und führt aus, dass das Arbeitsgericht die Zeugin Frau H. der Sache nach zutreffend zitiert habe. Der Beklagte hätte der Klägerin keine Auskunft erteilen dürfen, sondern hätte sich gegebenenfalls selbst vorher anwaltlich beraten lassen müssen.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.

I. Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG an sich statthafte Berufung ist form- und fristgerecht innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung ist begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klägerin zu Unrecht Schadensersatz in Höhe der Jahressonderzahlung zugesprochen.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht allerdings erkannt, dass die Klägerin nach § 22 Abs. 1 TV BW keinen Anspruch auf die begehrte Jahressonderzahlung hat, da sie die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt, weil sie am Stichtag des 1. Dezember 2013 nicht in einem ungekündigten, sondern in einem gekündigten Arbeitsverhältnis stand.

Die Klägerin hat aber auch keinen Anspruch nach § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht des Beklagten durch die Erteilung einer falschen Auskunft über die Notwendigkeit einer Eigenkündigung durch die Klägerin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen des bevorstehenden Rentenbezugs.

Zu Gunsten der Klägerin kann unterstellt werden, die Zeugin Frau H. habe der Klägerin nicht nur eine allgemeine Auskunft über die Handhabung bei der Beklagten in derartigen Fällen des vorzeitigen Renteneintritts gegeben, sondern ihr auch zumindest nahe gelegt, eine Eigenkündigung zum 31.12.2013 auszusprechen.

Diese Auskunft war nicht falsch, sondern vielmehr richtig. Wenn die Klägerin zum 1.1.2014 "in Rente gehen" wollte, also ihr Arbeitsverhältnis bei dem Beklagten beenden wollte, weil sie eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen nach § 236a SGB VI in Anspruch nehmen konnte und wollte, so ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur möglich, wenn die Klägerin es entweder selber kündigt oder ein Aufhebungsvertrag geschlossen wird. Zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages war die Beklagte nicht verpflichtet, umso mehr als sie auch ein gewisses Interesse daran hatte, die Klägerin als Arbeitskraft weiter beschäftigen zu können.

Eine "automatische" Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Rentenbezug tritt nach § 35 TV BW nicht ein, denn diese Vorschrift enthält keine Befristungsregelung oder auflösende Bedingung, nach der das Arbeitsverhältnis für den Fall des Bezugs einer vorgezogenen Altersrente mit Abschlägen endet.

1. Nach § 35 Abs. 1 a) TV BW endet das Arbeitsverhältnis nicht, da es sich bei der von der Klägerin bezogenen Rente um eine Rente mit Abschlägen handelt. Die Frage, ob diese tarifliche Regelung nur auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abstellt oder auch sonstige Altersrenten ohne Abschläge erfasst, kann dahingestellt bleiben.

2. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes endet das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Regelung des § 35 Abs. 4 TV BW.

Aus ihrem systematischen Kontext heraus betrifft diese Vorschrift nur den Fall, dass der Beschäftigte erwerbsgemindert ist. Die erste Alternative behandelt die Situation, dass der erwerbsgeminderte Beschäftigte schuldhaft einen Rentenantrag nicht stellt. Das ist hier nicht der Fall.

Die zweite Alternative betrifft den Fall, dass der Beschäftigte bereits eine Altersrente nach § 236 oder § 236a SGB VI bezieht, aber gleichwohl noch in einem Arbeitsverhältnis steht, bei dem aber Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er erwerbsgemindert ist. In diesem Fall bedarf es einer Regelung, dass und wie im Hinblick auf die Erwerbsminderung das Arbeitsverhältnis beendet wird. Da der Beschäftigte bereits eine Altersrente bezieht, gibt es keinen Spielraum mehr für die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente, an die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 35 Abs. 2 TV BW anknüpfen könnte (Clemens/Scheuring, TV-L § 33 Rz. 105 zum wortgleichen § 33 Abs. 4 TV-L). Mangels der rechtlichen Möglichkeit eines entsprechenden Rentenbescheides über eine Erwerbsminderungsrente könnte also der erwerbsgeminderte Beschäftigte trotz einer stark eingeschränkten Leistungsfähigkeit im Arbeitsverhältnis verbleibend. Für diesen Fall mussten die Tarifvertragsparteien einen Mechanismus entwickeln der dazu führt, dass auch dieses Arbeitsverhältnis für den Fall der Erwerbsminderung des Beschäftigten endet. Daher tritt hier an die Stelle des Rentenbescheides über eine Erwerbsminderungsrente das ärztliche Gutachten als rechtlicher Beendigungstatbestand.

Das Arbeitsgericht hat in seiner Entscheidung verkannt, dass der Rentenbescheid, an dessen Stelle das ärztliche Gutachten tritt, nicht der Rentenbescheid über die vorgezogene Altersrente ist, sondern der Rentenbescheid über eine Erwerbsminderungsrente (Breier, TVöD, § 33 Rz . 4 und Rz. 350, 362, 391), der hier aber nicht möglich ist, sei es weil der Arbeitnehmer nicht mitwirkt, sei es weil er aus Rechtsgründen im Hinblick auf die schon bezogene Altersrente nicht mehr erlassen werden kann und der nach § 35 Abs. 2 TV BW zur Beendigung (oder zum Ruhen) des Arbeitsverhältnisses führen würde.

Dass § 35 Abs. 4 TV BW nicht den Fall erfasst, dass ein Arbeitnehmer erst beabsichtigt, zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgezogene Altersrente in Anspruch zu nehmen ergibt sich auch bereits aus dem Wortlaut von § 35 Abs. 4 S. 1 TV BW, der davon spricht, dass die Beschäftigten Altersrente nach § 236a SGB VI beziehen. Die Wahl des Präsens für das Verb "beziehen" zeigt, dass es sich um solche Fälle handelt, in denen eine derartige Rente bereits in Anspruch genommen wird und das Arbeitsverhältnis trotzdem fortbesteht. Nur für diese Fälle - und nicht für die Fälle des erst beabsichtigten Bezugs der vorgezogenen Altersrente – trifft die tarifvertragliche Vorschrift eine Regelung. Im Hinblick auf die Hinzuverdienstgrenzen sind diese Fälle eine seltene Ausnahme (Breier, TVöD, § 33 Rz. 362).

Aus diesem Grunde scheiden Schadensersatzansprüche der Klägerin gegenüber dem Beklagten wegen einer behaupteten Falschinformation über die Notwendigkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Es fehlt an einer Pflichtwidrigkeit der Zeugin Frau H.. Das hat das Arbeitsgericht verkannt. Aus diesem Grunde war das arbeitsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung des arbeitsgerichtlichen Urteils war abzuändern; nach § 91 Absatz 1 ZPO hat die Klägerin die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil ihre Klage unbegründet war und sie vollständig unterlegen ist.

Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht, weil es sich um einen Tarifvertrag handelt, der auf das Land Baden-Württemberg beschränkt ist; die inhaltliche Identität mit § 33 TVöD gibt jedenfalls keinen Anlass, die Revision zuzulassen, da die hier vorgenommene Auslegung naheliegend ist und jetzt auch nichts anderes vertreten wird.