Schadensersatz wegen Asbestbelastung - vorsätzliche Schädigung - BAG 8 AZR 471/12
Die Sanierung eines mit Asbest belasteten öffentlichen Gebäudes kann zu Schadensersatzansprüchen führen, wenn die Arbeiter nicht über die Gesundheitsgefahren aufgeklärt werden und es keine Schutzmaßnahmen gibt. Die Asbestkontamination des Gebäudes war dem Bürgermeister der beklagten Stadt bekannt. Trotzdem ließ er entgegen dem Arebitsschutz bei der Stadt Angestellte und Zivildienstleistende diverse Sanierungsarbeiten durchführen. Eine besondere Aufklärung über die Art und Weise der durchzuführenden Tätigkeiten sowie die Anweisung zum Tragen von Schutzbekleidung und Atemschutzgeräten erfolgte nicht. Nach der Anzeige von Einem der beteiligten Zivildienstleistenden, stellte das Gewerbeaufsichtsamt fest, dass durch das Abkratzen und Abschaben der verbauten Sokalitverkleidungen eine extreme Exposition von Asbestfasern aus dem lockeren Faserverband bewirkt worden sei.
Einer der Mitarbeiter hat die Stadt verklagt und Festellung beantragt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, welche er aufgrund der ausgeführten Arbeiten an den asbestfaserhaltigen Bauteilen erleidet, zu ersetzen. Dem Antrag des betroffenen Mitarbeiters wurde stattgegeben. Die Revision der beklagten Stadt wurde zurückgewiesen.
Die Beklagte haftet dem Kläger grundsätzlich für solche Schäden, die dieser aufgrund der Arbeiten an asbestfaserhaltigen Bauteilen erleidet, bzw. in Zukunft erleiden wird.
Der erforderliche Vorsatz des verantwortlichen Abteilungsleiters der Stadt war nach den Feststellungen des BAG gegeben: Er handelte mit Vorsatz in Bezug auf die Pflichtverletzung und in Bezug auf eine in Zukunft möglicherweise noch auftretende Gesundheitsschädigung des Klägers.
Der Vorsatz muss sich nach der Rechtsprechung zum einen auf die Verletzungshandlung beziehen. Zum anderen muss der Vorsatz aber auch den Verletzungserfolg umfassen. Allein der Verstoß gegen zugunsten von Arbeitnehmern bestehende Schutzpflichten indiziert noch keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls. Die vorsätzliche Pflichtverletzung hinsichtlich einer ungewollten Unfallfolge ist demnach nicht mit einem gewollten Arbeitsunfall oder einer gewollten Berufskrankheit gleichzusetzen.
Einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt, gibt es nicht. Zwar wird ein Arbeitgeber trotz eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften meistens darauf hoffen, es werde kein Unfall eintreten, wobei es aber stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalles ankommt (BAG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 AZR 471/12). Nach dem BAG ist dies naheliegend, wenn der Schädiger trotz starker Gefährdungslage er es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht wird oder nicht, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können.
Davon ist das BAG ausgegangen, indem es entscheidend auf die Tatsache abgestellt hat, dass der Abteilungsleiter den Kläger mit der Sanierung der Räume beauftragt hat, obwohl die gesundheitsschädliche und krebserzeugende Wirkung durch das Einatmen von Asbeststaub bereits seit 1995 allgemein bekannt war. Zudem hat Drängen der Abteilungsleiter auf Fortsetzung der Sanierungsarbeiten gedrängt, nachdem er durch den Kläger auf die Asbestgefahren hingewiesen worden war, wodurch er eine mögliche Gesundheitsschädigung des Klägers billigend in Kauf genommen hat.
Ein Schadensanspruch des Klägers ist nach alldem zu bejahen.
Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts BAG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 AZR 471/12:
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 15. März 2012 - 3 Sa 313/11 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Stadt (im Folgenden: Beklagte) verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen Schäden zu ersetzen, die er aufgrund an asbestfaserhaltigen Bauteilen durchgeführter Arbeiten erleiden sollte.
Der Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten als Angestellter tätig. Von 1994 bis Mai 1995 war er bei dem Sozialamt der Beklagten in der Abteilung Obdachlosenhilfe beschäftigt und als Betreuer für Asylbewerber, Asylanten und Flüchtlinge im Asylbewerberheim A in D eingesetzt. Dieses Gebäude war bis Januar 1990 als Kindereinrichtung genutzt worden. Zum 1. Februar 1990 war diese Nutzung wegen der möglichen Freisetzung von Asbestfasern in einer die Gesundheit gefährdenden Konzentration eingestellt worden. Die Asbestkontamination der Innenwände des Gebäudes infolge der Verwendung des Baustoffes Sokalit war dem Bürgermeister der Beklagten aufgrund eines Schreibens des Hochbauamtes vom 11. November 1991 bekannt.
Die Beklagte beabsichtigte, Anfang des Jahres 1995 das Gebäude des Asylbewerberheims grundlegend zu sanieren. Der Kläger führte mit drei weiteren Angestellten der Beklagten, drei Zivildienstleistenden sowie zwölf bis 15 Asylbewerbern auf Weisung des Abteilungsleiters des Sozialamtes S sowie des Heimleiters Sch in der Zeit vom 1. Februar bis zum 5. Mai 1995 dort folgende Sanierungsarbeiten durch:
-Demontage der Rippenheizkörper,
-Abspachteln der aufgeblühten Wandoberflächen,
-Entfernen vorhandener Tapetenreste,
-Aufbringen der Klebemasse,
-Anbringen von Gipskartonplatten auf den Wänden,
-Verspachteln der Fugen zum Aufbringen eines Farbanstrichs.
Insgesamt leisteten die eingesetzten Personen etwa 800 Arbeitsstunden. Eine besondere Aufklärung über die Art und Weise der durchzuführenden Tätigkeiten sowie die Anweisung zum Tragen von Schutzbekleidung und Atemschutzgeräten erfolgte nicht.
Anfang Mai 1995 wies ein Mitarbeiter eines Bauunternehmens, der Folgearbeiten abstimmen sollte, den Kläger darauf hin, dass bei den Sanierungsarbeiten asbesthaltiger Staub freigesetzt werde und derartige Arbeiten nur von spezialisierten Unternehmen ausgeführt werden dürften. Der Kläger leitete diese Information an den zuständigen Abteilungsleiter S weiter. Dieser erklärte, das Vorhandensein asbesthaltigen Materials sei allgemein bekannt und drängte auf die Fortsetzung der Arbeiten.
Einer der beteiligten Zivildienstleistenden schaltete daraufhin das staatliche Gewerbeaufsichtsamt D ein. Dieses stellte fest, dass durch das Abkratzen und Abschaben der verbauten Sokalitverkleidungen eine extreme Exposition von Asbestfasern aus dem lockeren Faserverband bewirkt worden sei. Materialproben der Sokalitplatten ergaben einen Fasergehalt von bis zu 40 % Chrysotilasbest. Das Gewerbeaufsichtsamt verfügte am 5. Mai 1995 die sofortige Einstellung der Arbeiten und die Versiegelung des Gebäudes.
Anlässlich einer Erkrankung des Klägers im Jahre 2006 vermutete der behandelnde Arzt das Vorhandensein von Krebserregern als Auslöser. Dieser Verdacht, der sich letztlich nicht bestätigte, veranlasste den Kläger, sich näher mit der Problematik auseinanderzusetzen, ob die damaligen Sanierungsarbeiten, während derer er Asbestfasern eingeatmet hatte, für ihn das Risiko einer Krebserkrankung erhöht haben oder in Zukunft zum Ausbruch einer Krebserkrankung führen könnten.
Mit Anwaltsschreiben vom 6. September 2006 ließ der Kläger die Beklagte auffordern, ihre uneingeschränkte Schadensersatzpflicht dem Grunde nach für alle materiellen und immateriellen Schäden, die ihm aufgrund der in der Zeit vom 1. Februar bis 5. Mai 1995 geleisteten Sanierungsarbeiten im Asylbewerberheim entstanden sind und noch entstehen werden, anzuerkennen. Die Beklagte lehnte eine Haftung unter Hinweis auf den Haftungsausschluss nach § 104 Abs. 1 SGB VII mit Schreiben vom 20. Dezember 2006 ab.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass er bereits jetzt mit einer Feststellungsklage die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines Schadensersatzes grundsätzlich feststellen lassen könne.
Weiter meint er, der Beklagten sei der Vorwurf vorsätzlichen Handelns zu machen. Die Kenntnis der Beklagten über die gesundheitsschädigende Wirkung des asbestfaserhaltigen Materials gehe zum einen aus dem Schreiben des Hochbauamtes vom 11. November 1991 und zum anderen aus den vom Ausschuss für Gefahrstoffe bereits 1994 beschlossenen Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS 519) hervor. Sein direkter Vorgesetzter, der Abteilungsleiter S, habe sogar, nachdem der Kläger ihn über die Aussage des Mitarbeiters der Baufirma D informiert hatte, erklärt, dass das Vorhandensein asbesthaltigen Materials allgemein bekannt sei, und auf die Fortführung der Arbeiten gedrängt. Dieses Verhalten seines Vorgesetzten müsse sich die Beklagte zurechnen lassen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, welche er aufgrund der nach Weisung der Beklagten im Zeitraum vom 1. Februar bis 5. Mai 1995 an asbestfaserhaltigen Bauteilen im damaligen Asylbewerberheim in D, A, ausgeführten Arbeiten erleidet, unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie hat gemeint, es fehle bereits an einem Feststellungsinteresse für den Feststellungsantrag. Dem Kläger sei es auch nicht gelungen, die haftungsbegründende Kausalität für einen eventuellen Schaden aufzuzeigen.
Die Beklagte bestreitet ferner, dass die die Arbeiten im Asylbewerberheim anordnenden Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt haben. Es habe niemand den Eintritt eines Gesundheitsschadens billigend in Kauf genommen. Daher stünde einem Schadensersatzanspruch des Klägers auch der Haftungsausschluss des § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO entgegen. Die Mitarbeiter Sch und S hätten gerade darauf vertraut, dass kein Gesundheitsschaden bei dem Kläger eintreten werde. Die Annahme eines bedingten Vorsatzes sei lebensfremd.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 28. April 2011 (- 8 AZR 769/09 - AP SGB VII § 104 Nr. 6 = EzA RVO § 636 Nr. 14) das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Nach erneuter Verhandlung hat das Landesarbeitsgericht dem Feststellungsantrag des Klägers stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf die beantragte Feststellung.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse sei zu bejahen. Der Feststellungsantrag sei auch begründet. § 636 Abs. 1 RVO stehe einem Schadensersatzanspruch des Klägers nicht entgegen, da sich die Beklagte die Kenntnis des damaligen Vorgesetzten des Klägers, des Abteilungsleiters S, zurechnen lassen müsse. Dieser habe eine Schädigung des Klägers zumindest billigend in Kauf genommen. Dies ergebe sich daraus, dass das Gebäude zum 1. Februar 1990 geschlossen worden sei, weil sowohl die Außen- als auch die Innenwände des Gebäudes mit asbesthaltigem Material verkleidet gewesen seien. Dass auch der Abteilungsleiter S über dieses Wissen konkret verfügt habe, folge aus seiner Antwort, die er dem Kläger gegeben habe, nachdem dieser ihn darüber informiert gehabt habe, dass ihn ein Mitarbeiter der Firma D darauf aufmerksam gemacht habe, an den Wänden dürfe nur mit einer besonderen Schutzausrüstung gearbeitet werden. Der Abteilungsleiter habe geantwortet, das Vorhandensein asbesthaltigen Materials sei allgemein bekannt. Er habe jedoch nicht eine sofortige Einstellung der Arbeiten verfügt, sondern auf die weitere Fortsetzung derselben gedrängt. Der Abteilungsleiter habe nach alledem so leichtfertig gehandelt, dass er eine mögliche Gesundheitsverletzung der mit den Sanierungsarbeiten Beschäftigten, darunter auch des Klägers, in Kauf genommen haben müsse. Es habe auch keiner fundierten wissenschaftlichen Kenntnisse bedurft, um die von den Sanierungsarbeiten ausgehende Gefahr zu erkennen. Allein das Wissen, dass die ehemals in dem Gebäude betriebene Kindereinrichtung wegen der Asbestgefahr geschlossen werden musste und die Sanierungsarbeiten allein von spezialisierten Fachfirmen durchgeführt werden durften, genüge, um auf die besonders große Leichtfertigkeit des Handelns des verantwortlichen Abteilungsleiters zu schließen.
B. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Das besondere Feststellungsinteresse ist nach § 256 Abs. 1 ZPO gegeben. Dies hat der Senat in der vorliegenden Streitsache bereits entschieden (BAG, Urteil vom 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 24 ff., AP SGB VII § 104 Nr. 6 = EzA RVO § 636 Nr. 14).
II. Die Feststellungsklage ist auch begründet.
1. Die Beklagte haftet dem Kläger grundsätzlich für solche Schäden, die dieser aufgrund der Arbeiten vom 1. Februar bis 5. Mai 1995 an asbestfaserhaltigen Bauteilen im damaligen Asylbewerberheim der Beklagten erleidet. Der Senat hat im vorliegenden Rechtsstreit entschieden, dass eine Haftung der Beklagten (nur noch) von der Frage abhängt, ob eine Herbeiführung eines möglichen Arbeitsunfalls in Form einer Gesundheitsschädigung durch den Abteilungsleiter des Klägers, S, vorsätzlich erfolgt ist. Zur diesbezüglichen Feststellung hat er den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen (BAG, Urteil vom 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 31 ff., AP SGB VII § 104 Nr. 6 = EzA RVO § 636 Nr. 14).
2. Der Abteilungsleiter S handelte mit Vorsatz in Bezug auf die Pflichtverletzung und in Bezug auf eine in Zukunft möglicherweise noch auftretende Gesundheitsschädigung des Klägers.
a) Das Eingreifen des Haftungsprivilegs nach § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO in der bis 31. Dezember 1996 geltenden Fassung erfordert einen „doppelten“ Vorsatz. Der Vorsatz des Handelnden muss sich zum einen auf die Verletzungshandlung beziehen. Zum anderen muss der Vorsatz aber auch den Verletzungserfolg umfassen. Allein der Verstoß gegen zugunsten von Arbeitnehmern bestehende Schutzpflichten indiziert noch keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls iSd. § 636 Abs. 1 RVO. Es verbietet sich, die vorsätzliche Pflichtverletzung mit einer ungewollten Unfallfolge mit einem gewollten Arbeitsunfall oder einer gewollten Berufskrankheit gleichzusetzen (vgl. BAG, Urteil vom 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 50, AP SGB VII § 104 Nr. 6 = EzA RVO § 636 Nr. 14).
Vorsatz enthält ein „Wissens“- und ein „Wollenselement“. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10 - Rn. 10). Die Annahme eines bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. Die objektive Erkennbarkeit der Tatumstände reicht nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10 - aaO). Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen vor, wenn der Handelnde darauf vertraut, der Schaden werde nicht eintreten (Palandt/Grüneberg 72. Aufl. § 276 Rn. 10).
b) Das Verschulden und die einzelnen Arten des Verschuldens, insbesondere auch der Begriff der Fahrlässigkeit, sind Rechtsbegriffe. Die Feststellung ihrer Voraussetzungen liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, wobei dem Tatrichter ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt sowie Denkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften verletzt hat (vgl. BAG, Urteil vom 15. September 2011 - 8 AZR 846/09 - Rn. 43, AP BGB § 280 Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 611 Krankenhausarzt Nr. 4). Eine Aufhebung des Berufungsurteils durch das Revisionsgericht darf nur erfolgen, wenn eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch den Tatsachenrichter festzustellen ist (BAG, Urteil vom 19. Februar 2009 - 8 AZR 188/08 - Rn. 48, AP SGB VII § 105 Nr. 4 = EzA SGB VII § 105 Nr. 5). Dagegen genügt es für die Aufhebung eines landesarbeitsgerichtlichen Urteils nicht, wenn im Streitfall auch eine andere Beurteilung als die des Landesarbeitsgerichts möglich wäre und das Revisionsgericht, hätte es die Beurteilung des Verschuldensgrades selbst vorzunehmen, zu dem Ergebnis gekommen wäre, es liege ein anderer Verschuldensgrad als der vom Berufungsgericht angenommene vor (BAG, Urteil vom 15. September 2011 - 8 AZR 846/09 - aaO).
c) Nach diesen Grundsätzen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht angenommen hat, dem Vorgesetzten des Klägers, S, sei der Vorwurf vorsätzlichen Verhaltens zu machen, weil er es billigend in Kauf genommen habe, dass neben den übrigen Betroffenen der Kläger infolge der angewiesenen Sanierungsarbeiten eine durch Asbest bewirkte Gesundheitsschädigung erfährt.
Das Landesarbeitsgericht hat dies damit begründet, es sei der Leitungsebene der Beklagten und dem Abteilungsleiter S bekannt gewesen, dass das fragliche Gebäude, welches früher als Kindereinrichtung gedient hatte, deshalb zum 1. Februar 1990 geschlossen wurde, weil sich herausgestellt hatte, dass die Innenwände mit asbesthaltigem Material verkleidet waren und von Asbest eine Gesundheitsgefährdung für die sich in dem Gebäude aufhaltenden Personen ausging. Auf Vorhalt des Klägers Anfang Mai 1995, dass derartige Arbeiten nur von einer Fachfirma ausgeführt werden dürften, habe der Abteilungsleiter geantwortet, dass das Vorhandensein asbesthaltigen Materials allgemein bekannt sei, und auf die weitere Fortsetzung der Arbeiten gedrängt. Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Tatsachengericht nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es eine Tatsache, wozu auch innere Tatsachen gehören, als wahr oder unwahr erachtet. Revisionsrechtlich ist nur zu prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10 - Rn. 13). Im vorliegenden Fall ist ein Fehler des Berufungsgerichts nicht zu erkennen. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil diese vom Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrundegelegten Tatsachen im Wesentlichen unstreitig sind.
Einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt, gibt es nicht. Zwar hat der Senat entschieden, dass ein Arbeitgeber trotz eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften meistens darauf hoffen wird, es werde kein Unfall eintreten (vgl. BAG, Urteil vom 19.Februar 2009 - 8 AZR 188/08 - Rn. 50, AP SGB VII § 105 Nr. 4 = EzA SGB VII § 105 Nr. 5). Diese Ausführungen sind einer Verallgemeinerung im Sinne eines Erfahrungssatzes auf tatsächlichem Gebiet allerdings nicht zugänglich. Stets kommt es vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an.
Es kann naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10 - Rn. 11). Davon ist das Landesarbeitsgericht im Ergebnis ausgegangen, indem es entscheidend auf die Tatsache abgestellt hat, dass der Abteilungsleiter den Kläger mit der Sanierung der Räume in der oberen Etage des Asylbewerberheims beauftragt hat, obwohl die gesundheitsschädliche und krebserzeugende Wirkung, die durch das Einatmen von Asbeststaub hervorgerufen werden kann, bereits seit 1995 bekannt war.
Dass das Berufungsgericht aufgrund dieser Tatsache und dem Drängen des Abteilungsleiters auf Fortsetzung der Sanierungsarbeiten, nachdem er durch den Kläger auf die Asbestgefahren hingewiesen worden war, angenommen hat, der Abteilungsleiter habe eine mögliche Gesundheitsschädigung des Klägers billigend in Kauf genommen, lässt eine Überschreitung des dem Landesarbeitsgericht zustehenden Beurteilungsspielraumes nicht erkennen und ist revisionsrechtlich daher nicht zu beanstanden.
C. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Hauck Böck Breinlinger Andreas Henninger Umfug