Schmerzensgeld wegen Sturz im Supermarkt - AG Schöneberg 17 C 113/14
Wurden zumutbare Maßnahmen für die Erkennung und Beseitigung einer am Boden eines Supermarkts befindlichen Pfütze, die objektiv eine Gefahr für den Kundenverkehr darstellt, nicht ergriffen, so führt der Supermarktbetreiber die dem Kunden durch den Sturz entstandenen Schaden zumindest fahrlässig herbei (Amtsgericht Schöneberg, Urteil vom 17. April 2015 - 17 C 113/14).
Volltext des Urteils des Amtsgerichts Schöneberg vom 17. April 2015 - 17 C 113/14:
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.128,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Juli 2014 sowie vorgerichtliche nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten von 85,68 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.
Oktober 2014 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begab sich am Nachmittag des 28. Mai 2014 gemeinsam mit ihrem Ehemann in das Ladengeschäft der Beklagten in ••• Berlin, um dort einzukaufen. Im Bereich der Flaschenregale wich die Klägerin einem anderen Kunden aus, der einen Schritt zurück trat. Dabei rutschte sie in einer dort auf dem Boden befindlichen Pfütze aus, stürzte rücklings gegen einen Korb aus Metalldraht, an dem sie sich vergeblich festzuhalten suchte und schlug schließlich hart mit dem Kinn auf den Fußboden auf. Bei dem Sturz trug die Klägerin drei Hämatome auf dem Rücken von etwa drei mal vier Zentimetern davon und erlitt eine tiefe Fleischverletzung im Bereich zwischen Rücken und Brust; ihre Haut war in Form eines Dreiecks mit drei Zentimeter langen Schenkeln ausgerissen. Am linken Unterarm fanden sich eine drei Zentimeter lange offene Wunde sowie weitere Hämatome. Am Kinn bildete sich eine starke Schwellung, die rund fünf Wochen lang sichtbar blieb.
Die am Oberkörper getragenen Kleidungsstücke der Klägerin wiesen im Bereich der Fleischwunde zwischen Brust und Rücken Risse auf. Es handelte sich um eine "Outdoor-Jacke mit hoher Wassersäule", also eine Wind- und Regenjacke mit Innenfutter, des Herstellers "The North Face" und ein T-Shirt der Marke "Designers".
Eine andere Kundin übernahm die Erstversorgung der Klägerin, indem sie mit einem herbeigeholten Tiefkühlfisch den Blutfluss linderte und die beginnenden Schwellungen im Gesicht, im Rückenbereich und am Arm kühlte. Ferner beschaffte der Ehemann der Klägerin in einer benachbarten Apotheke Verbandsmittel, eine Salbe und Kältekompressen, wofür die Klägerin insgesamt 8,43 EUR aufwandte. Als eine Mitarbeiterin der Beklagten hinzukam, um den Unfall aufzunehmen, äußerte diese sinngemäß, dass ja nicht ein so teurer Tiefkühlfisch hätte benutzt werden müssen.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18. Juni 2014 wandte die Klägerin sich unter Fristsetzung zum 10. Juli 2014 an die Haftpflichtversicherung der Beklagten und forderte Ersatz des ihr entstandenen Schadens. Die Versicherung wies den Schadenersatzanspruch zurück.
Die Klägerin hat zunächst gegen die ••• mit Sitz in ••• Klage erhoben, die mit Schreiben vom 16. September 2014 auf die Zuständigkeit der Beklagten hingewiesen hat. Die Klägerin hat daraufhin die Klage geändert und mit Schriftsatz vom 25. September 2014 mitteilen lassen, dass sie die Beklagte in Anspruch nehmen wolle.
Die Klägerin trägt vor, ihr stehe ein Schmerzensgeld von mindestens 800,00 EUR zu, da die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Eine Kontrolle des Bodens auf rutschige Stellen habe nicht stattgefunden; selbst nachdem eine Mitarbeiterin der Beklagten herbeigerufen worden sei, um den Unfall aufzunehmen, habe es noch zehn Minuten gedauert, bis diese erschienen sei. Außerdem sei die Fleischwunde am Rücken nur dadurch entstanden, dass die Beklagte an dem Warenkorb eine scharfkantige Schiene für Preisschilder angebracht habe, die immerhin drei Lagen der klägerischen Kleidung - die Außenseite der Jacke, das Innenfutter und das T-Shirt - durchdrungen habe. Die Beklagte müsse die für Medikamente aufgewandten 8,43 EUR sowie die Kleidungsstücke ersetzen; die Regenjacke sei im Oktober 2013 für 99,90 EUR gekauft worden und werde immer noch zu diesem Preis angeboten, während das T-Shirt im September 2013 für 20,00 EUR gekauft worden sei. Und schließlich habe die Beklagte die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, soweit diese nicht auf die im Rechtsstreit anfallenden Gebühren anzurechnen seien.
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt.
DIe Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, sie habe ihren Verkehrssicherungspflichten genügt. Eine Mitarbeiterin der Beklagten habe die Unfallstelle nur 15 Minuten vor dem Sturz der Klägerin kontrolliert. Zu diesem Zeitpunkt habe sich dort keine Feuchtigkeit befunden. Am 28. Mai 2014 habe es stark geregnet, sodass die Pfütze erst unmittelbar vor dem Unfall durch feuchtes Schuhwerk oder tropfende Regenschirme anderer Kunden entstanden sei. Die Klägerin hätte jedenfalls mit Feuchtigkeit am Boden rechnen müssen und trage deshalb ein Mitverschulden; sie sei offenbar unachtsam gewesen. Ohnehin sei die Klägerin nur durch den rücksichtslos nach hinten zurück tretenden anderen Kunden zu Fall gebracht worden, sodass allenfalls dieser, nicht aber die Beklagte für den Schaden aufkommen müsse. Es treffe auch nicht zu, dass die für die Aufnahme von Preisschildern vorgesehenen Schienen scharfe Kanten aufwiesen; an den Schienenenden befänden sich abgerundete Plastikkappen (Abbildungen als Anlage zum Schriftsatz vom 23. Dezember 2014, Bl. 90 ff. d. A.). Das von der Klägerin verlangte Schmerzensgeld sei jedenfalls übersetzt und der behauptete Kaufpreis der Kleidungsstücke nicht belegt; Regenjacken der Firma "The North Face" würden zu Preisen zwischen 40,68 EUR und 79,00 EUR gehandelt. Nicht belegt seien auch die behaupteten Anschaffungsdaten der Kleidungsstücke. Erstattungsfähig sei, auch unter modischen Aspekten, ohnehin allenfalls deren Zeitwert.
Das Gericht hat die beschädigten Kleidungsstücke im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 12. Dezember 2014 in Augenschein genommen (Protokoll Bl. 79 ff. d. A.). Es hat ferner Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, die Unfallstelle sei kurz vor dem Unfall kontrolliert worden, es habe sich dort keine Feuchtigkeit am Boden befunden, durch Vernehmung der Zeugen ••• und •••. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss vom 23. Januar 2015 (Bl. 96 f. d. A.; korrigiert durch Beschluss vom 2. März 2015, Bl. 111 d. A.) und wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2015 (Bl. 116 ff. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 1.000,00 EUR sowie weiterer 128,33 EUR zum Ersatz der beschädigten Kleidungsstücke und der für Medikamente sowie Verbandsmaterial entstandenen Kosten.
Die Beklagte war, nachdem die Klägerin sich zum Zwecke des Einkaufs in ihr Geschäft begeben hatte, ihr gegenüber gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, zumutbare Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit ihrer Kundin zu gewährleisten. Diese Pflicht wurde durch die Beklagte schuldhaft verletzt, sodass sie den der Klägerin dadurch entstandenen Schaden ausgleichen muss.
Der Betreiber eines Ladengeschäfts hat, zumal an einem Regentag, regelmäßige Kontrollgänge oder gleichwertige Vorsichtsmaßnahmen vorzusehen und durchzuführen, um Gefahrenstellen, beispielsweise zur Glätte führende Pfützen auf dem Boden, möglichst frühzeitig erkennen und beseitigen zu können. Die Beklagte hat aber nicht dargetan, überhaupt organisatorische Vorkehrungen zur Gefahrerkennung und -beseitigung getroffen zu haben. Ihre Behauptung, eine Mitarbeiterin sei - zufällig - einige Minuten vor dem Sturz der Klägerin an der Unfallstelle vorbeigekommen, der Boden sei zu dieser Zeit trocken gewesen, hat sich im Ergebnis der Beweisaufnahme als unwahr herausgestellt. Die Zeugin ••• hat angegeben, dass sie vor dem Sturz überhaupt nicht an der Unfallstelle vorbei gekommen sei.
Steht danach fest, dass in Gestalt der am Boden befindlichen Pfütze objektiv eine Gefahr für den Kundenverkehr bestand und die Beklagte zumutbare Maßnahmen für die Erkennung und Beseitigung solcher Gefahren nicht ergriffen hatte, so führte sie den der Klägerin durch den Sturz entstandenen Schaden zumindest fahrlässig herbei. Ihre Behauptung, zumutbare Kontrollmaßnahmen hätten die Pfütze ohnehin nicht verhindern können, weil diese erst unmittelbar vor dem Sturz durch herabtropfendes Wasser vom Regenschirm eines Kunden entstanden sei, hat die Beklagte nicht beweisen können. Der insoweit benannte Zeuge ••• hat diese Darstellung der Beklagten nicht bestätigen können. Die Ursächlichkeit der Pfütze für den Sturz der Klägerin ist tatsächlich zu vermuten; es wäre Sache der Beklagten gewesen, darzutun und zu beweisen, dass die Klägerin unabhängig von der Glättestelle - beispielsweise allein durch eine Kollision mit dem Zeugen ••• - zu Fall gekommen sei. Das ist der Beklagten indes nicht gelungen, denn der Zeuge ••• hat offen gelassen, ob es überhaupt zu einer Berührung zwischen ihm und der Klägerin kam.
Ein Mitverschulden der Klägerin an ihrem Unfall vermag das Gericht nicht festzustellen. Dazu hätte es einer grob fahrlässigen Unaufmerksamkeit im Sinne eines "Verschuldens gegen sich selbst" bedurft. Es liegt aber auf der Hand, dass man auf einem durch stehende Flüssigkeit glatten Steinfussboden auch ohne grobe Unaufmerksamkeit ausrutschen kann. Das gilt umso mehr, wenn der Sturz im Zuge eines schnellen Zurücktretens geschieht, wobei dem Gericht weiter nachvollziehbar ist, dass ein solches Manöver in einem belebten Supermarkt zum Zwecke der Vermeidung der Kollision mit einem anderen Kunden erforderlich werden kann, ohne dass einem der beteiligten Kunden eine grobe Unachtsamkeit vorzuwerfen sein muss.
Unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der von der Klägerin erlittenen Verletzungen, ihrer über mehrere Wochen andauernden Schmerzen, des Grades des Verschuldens der Beklagten, die keinerlei organisatorische Vorkehrungen für die systematische Erkennung und Beseitigung von Gefahrenstellen dargetan hat und des Verhaltens der Beklagten nach dem Unfall hält das Gericht gemäß § 252 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld von 1.000,00 EUR für angemessen, um den von der Klägerin erlittenen immateriellen Schaden auszugleichen. Zu Gunsten der Klägerin hat das Gericht dabei das allein an ihrem wirtschaftlichen Vorteil orientierte Verhalten der Beklagten nach dem Unfall zu berücksichtigen, denn das Schmerzensgeld soll auch der Genugtuung für eine zögerliche oder willkürlich verweigerte Regulierung eines schuldhaft verursachten Schadens dienen. Das Gericht kommt nicht umhin, eine mangelnde Empathie und hartnäckige Regulierungsverweigerung der Beklagten zu konstatieren. Dieses Verhalten begann unmittelbar nach dem Unfall mit der vollkommen deplazierten Bemerkung, es hätte doch auch ein billigerer Tiefkühlfisch zur Linderung der Schmerzen der Klägerin benutzt werden können. Es setzte sich fort mit der Haftpflicht-Schadensmeldung vom 2. Juni 2014, die gegenüber dem Entwurf vom 28. Mai 2014 willkürlich und ohne Rücksprache mit der vor Ort anwesenden Filialleiterin um Angaben über die Herkunft der Pfütze ergänzt wurde. Und schließlich hat die Beklagte sich auch noch im vorliegenden Rechtsstreit unter Hintanstellung ihrer aus § 138 ZPO fließenden Wahrheitspflicht dazu hinreißen lassen, womöglich wider besseres Wissen, zumindest aber ohne interne Aufklärung des Sachverhalts ins Blaue hinein, eine zeitnahe Kontrolle der Unfallstelle vorzutragen, um sich ihrer Haftung zu entziehen.
Daneben hat die Beklagte gemäß § 249 Abs. 2 BGB die für die Erstbehandlung der Klägerin angefallenen Sachkosten von 8,43 EUR sowie die Anschaffungskosten der zerstörten Kleidungsstücke in Höhe von insgesamt 119,90 EUR zu erstatten. Ein Abzug "neu für alt" ist nicht veranlasst, weil die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Gegenstände, abgesehen von den sichtbaren Beschädigungen, keine Gebrauchsspuren aufwiesen und ein Markt für die Wiederbeschaffung gebrauchter T-Shirts oder Regenjacken nicht existiert. Die von der Klägerin vorgetragenen Anschaffungskosten hält das Gericht im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO für plausibel und angemessen, da es sich augenscheinlich um hochwertige Kleidungsstücke handelte. Die Beklagte hat die diesbezüglichen Angaben der Klägerin, nach-dem diese mit Schriftsatz vom 20. Januar 2015 die genaue Modellbezeichnung und -nummer der Regenjacke vorgetragen hat, auch nicht mehr in Frage gestellt.
Als gemäß § 249 Abs. 2 BGB auszugleichender Schaden sind schließlich die vorgerichtlich zur sachgerechten Rechtsverfolgung erforderlichen Rechtsanwaltskosten von 85,68 EUR anzusetzen, die nach Anrechnung der vorgerichtlich verdienten Gebühren der klägerischen Prozessbevoll-mächtigten auf die im Gerichtsverfahren anfallenden Gebühren verbleiben.
Die begehrten Zinsen auf die Hauptforderung stehen der Klägerin gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB als Verzugszinsen zu, nachdem die Beklagte den Schadenersatzanspruch vorgerichtlich durch ihre Versicherung zurückweisen ließ. Zinsen auf die Nebenforderung kann die Klägerin gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB als Prozesszinsen fordern. Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 ZPO. Eine Entscheidung über die Kosten, die der durch den Wechsel der Beklagtenpartei aus dem Rechtsstreit ausgeschiedenen Schwestergesellschaft der Beklagten entstanden sein mögen, kann gemäß § 269 Abs. 4 ZPO mangels Antrags unterbleiben.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.