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Tarifauslegung beim Sonntagszuschlag

03. Jul
2014

 - 0Bei Tarifverträgen mit nicht eindeutigem Wortlaut erfolgt eine Auslegung des Gesamtzusammenhangs des Regelungswerks sowie nach seinem Sinn und Zweck BAG, Urteil vom 25. September 2013 - 10 AZR 258/12. Im einschlägigen Fall geht es um die Frage, ob einem Arbeitnehmer ein Sonntagszuschlag aufgrund eines Tarifvertrages zusteht. Der Wortlaut ist nicht eindeutig für den Fall, das Zeiterfassungssystem einen Arbeitsbeginn des Klägers am Samstag wenige Minuten vor Mitternacht registrierte. Der Kläger begehrt die Zahlung des Sonntagszuschlags für die Arbeit an Montagen von 00:00 Uhr bis 03:00, weil die erste Sonntagsschicht bei der Beklagten sonntags um 03:00 Uhr beginne. Zudem habe er die Arbeit vor Mitternacht aufnehmen müssen, um die Maschine hochzufahren und vorbereitende Handlungen vornehmen zu können.

Dieser Sichtweise ist das BAG nicht gefolgt. Der tarifliche Gesamtzusammenhang verdeutlicht, dass der Tarifvertrag (MTV) lediglich die mögliche Zeitspanne von Sonntagsarbeit definieren, nicht aber auf das Erfordernis von Arbeit am Sonntag verzichten will. Bei einem Schichtsystem mit Sonntagsruhe und Beginn der Schichtwoche mit der Nachtschicht am Sonntag erst um 22:00 Uhr wäre anderenfalls die gesamte Arbeitszeit am Montag bis 22:00 Uhr einschließlich der Früh- und Spätschicht mit dem Sonntagszuschlag zu vergüten. Dies ist fernliegend und ersichtlich nicht gewollt.

Sonntagsarbeit wird im MTV generell mit einem relativ hohen Zuschlag versehen, weil diesem Tag nach gesellschaftlichem und religiösem Verständnis eine besondere Bedeutung zukommt. Die Zahlung des Sonntagszuschlags setzt eine tatsächliche Beeinträchtigung durch Arbeitsleistungen am Sonntag voraus; diese fehlt, wenn Arbeitsleistungen ausschließlich am Montag erbracht werden. Auch in Anbetracht des Sinns und Zwecks eines Zuschlags für Arbeiten am Sonntag, kann der Kläger mit seiner Forderung daher nicht durchkommen.


Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts BAG, Urteil vom 25. September 2013 - 10 AZR 258/12:


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 1. Februar 2012 - 6 Sa 403/11- aufgehoben, soweit es der Klage stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 8. September 2011 - 3 Ca 455 d/11 - wird auch insoweit zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.


Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung von Sonntagszuschlägen.

Der Kläger arbeitet für die Beklagte, die Deckelverschlüsse und Dosen produziert, als Druckerhelfer im Schichtdienst. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vom 3. Juli 2008 (nachfolgend: MTV) Anwendung. Dieser regelt Sonn- und Feiertagsarbeit wie folgt:

㤠6

Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

...

3.

Sonntags- und Feiertagsarbeit

Zuschlagspflichtige Sonntags- oder Feiertagsarbeit beginnt mit der ersten Schicht am Sonntag oder Feiertag und endet 24 Stunden später.

Durch nicht erzwingbare Betriebsvereinbarung kann der Beginn dieser Zeitspanne auf den Beginn der Nachtschicht des Vortages verlegt werden.

§ 7

Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

...

2.2

Der Sonntags- und Feiertagszuschlag beträgt

a)

für Arbeiten an Sonntagen 50 %

…“

Nach § 3 Ziff. 6 Abs. 1 MTV sind Umkleide- und Waschzeiten sowie Pausen keine Arbeitszeit, soweit keine innerbetriebliche abweichende Regelung getroffen ist.

Bei der Beklagten gilt nach der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit ab 16.02.2009“ folgendes Schichtsystem:

㤠1.2 Arbeitszeit mit 5 Gruppen

§ 1.2.1

1. - 3. Gruppe

Frühschicht: Montag - Donnerstag von 06:00 bis 14:00 Uhr

Freitag von 06:00 bis 12:00 Uhr

Spätschicht: Montag - Donnerstag von 14:00 bis 22:00 Uhr

Freitag von 12:00 bis 18:00 Uhr

Nachtschicht: Sonntag von 00:00 bis 06:00 Uhr

Montag - Donnerstag von 22:00 bis 06:00 Uhr

§ 1.2.2

4. Gruppe

1. Schicht:Freitag von 18:00 bis 04:30 Uhr

2. Schicht: Samstag von 16:30 bis 03:00 Uhr

3. Schicht: Sonntag von 15:30 bis 00:00 Uhr

§ 1.2.3

5. Gruppe

1. Schicht: Samstag von 04:30 bis 16:30 Uhr

2. Schicht: Sonntagvon 03:00 bis 15:30 Uhr

§ 1.3

Pausenregelung

1. - 3. Gruppe:

Frühschicht:10:00 bis 10:30 Uhr (Montag - Donnerstag)

Spätschicht: 18:00 bis 18:30 Uhr (Montag - Donnerstag)

Nachtschicht: 02:00 bis 02:30 Uhr(Montag - Donnerstag)

Die Schichten mit 6 Stunden Arbeitszeit werden ohne Pausen gefahren.

§ 7 Übergabezeiten und Kontrollgänge

§ 8.1 Vorfertigung

Der jeweilige Maschinenführer der ersten Wochen- oder Tagesschicht beginnt die erste Schicht 30 Min. vor dem üblichen Schichtbeginn. Dafür endet diese Schicht für diesen Maschinenführer 30 Min. früher.

…“

Die Druckerei arbeitet in der 1. - 3. Gruppe. Der Kläger gehörte an den Tagen, für die er Zuschläge begehrt, zur 3. Gruppe und war der „Nachtschicht Sonntag von 00:00 Uhr bis 06:00 Uhr“ zugewiesen, die unstreitig montags 00:00 Uhr beginnt. Bis einschließlich August 2010 vergütete die Beklagte die in dieser Schicht geleistete Arbeit mit dem tariflichen Sonntagszuschlag von 50 %, seit September 2010 zahlt sie nur noch einen Nachtschichtzuschlag von 15 %.

Der Kläger begehrt die Zahlung des Sonntagszuschlags für die Arbeit an Montagen von 00:00 Uhr bis 03:00 Uhr in fünf Schichten von Oktober 2010 bis Januar 2011. Gemäß Zeiterfassungssystem stempelte er jeweils am Sonntag 11 bis 16 Minuten vor Mitternacht ein. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, nach § 6 Ziff. 3 Abs. 1 MTV gelte die Arbeit am Montag von 00:00 Uhr bis 03:00 Uhr als Sonntagsarbeit, weil die erste Sonntagsschicht bei der Beklagten sonntags um 03:00 Uhr beginne. Zudem habe er die Arbeit vor Mitternacht aufnehmen müssen, um die Maschine hochzufahren und vorbereitende Handlungen vornehmen zu können.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 91,88 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. März 2011 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und die Auffassung vertreten, eine am Montag beginnende Schicht könne keinen Anspruch auf einen Sonntagszuschlag auslösen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr in dem in der Revision noch anhängigen Umfang stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.


Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 7 Ziff. 2.2 Buchst. a MTV auf Zahlung eines Sonntagszuschlags für montags von 00:00 Uhr bis 03:00 Uhr erbrachte Arbeitsleistungen. Ein Sonntagszuschlag wird nur geschuldet, wenn die Schicht sonntags beginnt. Dies ergibt die Auslegung von § 6 Ziff. 3 und § 7 Ziff. 2.2 MTV.

1. Der Wortlaut der Tarifbestimmungen ist nicht eindeutig. § 6 Ziff. 3 MTV regelt „Sonntags- und Feiertagsarbeit“; dies spricht dafür, dass die Schicht zumindest einen Bezug zum Sonntag haben und Arbeitsleistungen „auch“ am Sonntag erbracht werden müssen. Für dieses Tarifverständnis spricht auch, dass nach § 7 Ziff. 2.2 Buchst. a MTV der „Sonntagszuschlag“ für „Arbeit an Sonntagen“ 50 % beträgt. Nach dem Wortlaut von § 6 Ziff. 3 MTV ist aber auch vertretbar, dass Sonntagsarbeit „immer“ 24 Stunden nach Beginn der ersten Schicht am Sonntag endet und damit auch Arbeitsleistungen am Montag ohne Bezug zum Sonntag als Sonntagsarbeit vergütungspflichtig sein können.

2. Der tarifliche Gesamtzusammenhang verdeutlicht, dass § 6 Ziff. 3 MTV lediglich die mögliche Zeitspanne von Sonntagsarbeit definieren, nicht aber auf das Erfordernis von Arbeit am Sonntag verzichten will. § 6 Ziff. 3 Abs. 2 MTV eröffnet die Möglichkeit, die Zeitspanne des Sonntagszuschlags dem jeweiligen Schichtsystem anzupassen, indem der Beginn der Zeitspanne auf den Beginn der Nachtschicht am Samstag verlegt wird, sodass in der Nachtschicht von Samstag auf Sonntag durchgängig und in der Nachtschicht von Sonntag auf Montag keine Sonntagszuschläge gezahlt werden. Die geteilte Zahlung des Zuschlags bei Schichten von Samstag auf Sonntag oder von Sonntag auf Montag wird so vermieden. Dies zeigt, dass nur die Zeitspanne für Sonntagsarbeit geregelt, nicht aber das Erfordernis „echter“ Sonntagsarbeit aufgehoben werden soll. Bei einem - in der betrieblichen Praxis nicht seltenen - Schichtsystem mit Sonntagsruhe und Beginn der Schichtwoche mit der Nachtschicht am Sonntag um 22:00 Uhr wäre anderenfalls die gesamte Arbeitszeit am Montag bis 22:00 Uhr einschließlich der Früh- und Spätschicht mit dem Sonntagszuschlag zu vergüten. Dies ist fernliegend und ersichtlich nicht gewollt.

3. Sinn und Zweck eines Zuschlags für Arbeiten am Sonntag bestätigen dieses Auslegungsergebnis. Sonntagsarbeit wird in § 7 Ziff. 2.2 MTV generell mit einem relativ hohen Zuschlag versehen, weil diesem Tag nach gesellschaftlichem und religiösem Verständnis eine besondere Bedeutung zukommt. Der Sonntag soll der Regeneration, der Familie und der Vornahme von religiösen Handlungen vorbehalten bleiben. Arbeit am Sonntag beeinträchtigt die Erfüllung dieser Zwecke, dafür soll der erhöhte Sonntagszuschlag einen Ausgleich schaffen. Die Zahlung des Sonntagszuschlags setzt eine tatsächliche Beeinträchtigung durch Arbeitsleistungen am Sonntag voraus; diese fehlt, wenn Arbeitsleistungen ausschließlich am Montag erbracht werden.

4. Die streitbefangenen Schichten haben am Montag um 00:00 Uhr begonnen und konnten den Sonntagszuschlag nicht auslösen. Unerheblich ist, dass der Kläger sonntags ca. zehn Minuten vor Schichtbeginn eingestempelt hat. Die Beklagte hat dem Kläger ab Montag 00:00 Uhr Arbeit zugewiesen, erst zu diesem Zeitpunkt musste er die vertraglich geschuldeten Leistungen erbringen. Umkleidezeiten sind keine Arbeitszeit (§ 3 Ziff. 6 MTV).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO.

Mikosch W. Reinfelder Mestwerdt Simon A. Effenberger