Vergütung von Umkleidezeiten - BAG 5 AZR 962/12
Im einschlägigen Fall ging es um die Vergütung eines Arbeitnehmers für das Umkleiden sowie das Auf- und Abrüsten von Arbeitsmitteln aufgewendeten Zeit ging. Der beklagte Arbeitgeber ist ein Unternehmen des Personennahverkehrs. Der Kläger hat unter anderem vorgetragen, am Tag vor Schichtbeginn und an dessen Ende Tätigkeiten ausgeübt zu haben, wozu auch das Spind aufschließen und öffnen gehörte.
Anspruchsgrundlage auf Zahlung für aufgewendete Umkleidezeiten könnte § 611 Abs. 1 BGB sein, was vom BAG nicht entschieden werden konnte. Unstreitig verfügte diese Einsatzstelle (am Hauptbahnhof S) - was in den Vorinstanzen unstreitig war - kein Spind zur Aufbewahrung von Arbeitskleidung und -mitteln zur Verfügung. Dem entsprechend hat das Landesarbeitsgericht, ohne dass der Kläger einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestands (§ 320 ZPO) gestellt oder die Revision einen entsprechenden Angriff (§ 559 Abs. 2 ZPO) hiergegen erhoben hätte.
Erst in der 3. Instanz hat der Kläger auf den rechtlichen Hinweis des BAG zur mangelnden Schlüssigkeit der Klage nunmehr behauptet, er verfüge auch am Hauptbahnhof S über einen Spind, handelt es sich um neuen Sachvortrag in der Revisionsinstanz, der nach § 559 Abs. 1 ZPO nicht berücksichtigt werden konnte. Entgegen der Auffassung des Klägers erachtete das BAG den neuen Sachvortrag als nicht unstreitig. Die Beklagte habe ihn ausdrücklich bestritten. Die Revision des Klägers war demnach zurückzuweisen.
Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Dezember 2014 - 5 AZR 962/12:
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 25. September 2012 - 5 Sa 276/11 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Vergütung der am 10. März 2011 für das Umkleiden sowie das Auf- und Abrüsten von Arbeitsmitteln aufgewendeten Zeit.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des Personennahverkehrs innerhalb des Konzerns der D AG. In ihrem Betrieb Nord-Ost ist der Kläger als Kundenbetreuer im Nahverkehr (KiN) beschäftigt. Der Kläger ist der Regeleinsatzstelle W zugeordnet, erbringt seine Arbeitsleistung aber - entsprechend einer Absprache der Beklagten mit dem Betriebsrat - auch vom Hauptbahnhof S aus.
Für die bei der Beklagten im Zugbegleitdienst eingesetzten Kundenbetreuer gilt der funktionsgruppenspezifische Tarifvertrag für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 5 - Bahnservice und Vertrieb - (FGr 5-TV), der ua. bestimmt:
„§ 43 Beginn und Ende der Arbeitszeit
(1) Die Arbeitszeit beginnt und endet am vorgeschriebenen Arbeitsplatz. Durch betriebliche Regelungsabrede kann festgelegt werden, dass ein Zeitverwaltungssystem durch ein Daten-Terminal zu bedienen ist.
(2) Für Arbeitnehmer mit wechselnden Arbeitsplätzen innerhalb einer Schicht beginnt und endet die Arbeitszeit am Ort des Dienstbeginns (Schichtsymmetrie). Abweichungen davon, innerhalb der politischen Gemeinde, bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats. (…)
…
§ 48 Unternehmensbekleidung
Unternehmensbekleidung sind Kleidungsstücke, die zur Sicherstellung eines einheitlichen und gepflegten Erscheinungsbildes in der Öffentlichkeit anstelle anderer Kleidung während der Arbeit getragen werden müssen. Einzelheiten werden durch Betriebsvereinbarung geregelt.“
Aufgrund einer Konzernbetriebsvereinbarung über die Ausstattung mit Unternehmensbekleidung (KBV Ubk), die im Streitzeitraum in der Fassung vom 23. Februar 2011 galt, war das Fahrpersonal (Kundenbetreuer und Triebfahrzeugführer) zum Tragen von besonderer Dienstkleidung verpflichtet. Die Beklagte verlangte von ihren Beschäftigen, dass sie bereits vollständig umgekleidet zum Arbeitsantritt in der Meldestelle erscheinen. Dabei stellte sie ihnen frei, den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstelle in Dienstkleidung zurückzulegen.
Die Beklagte hat ihrem Fahrpersonal für dienstliche Zwecke Mobiltelefone überlassen. Diese können mit einer zweiten SIM-Karte von den Arbeitnehmern für Privatgespräche genutzt werden. Die Kundenbetreuer müssen zudem für die Fahrscheinkontrolle und den -verkauf ein mobiles Terminal (MT), einen Zangendrucker, Zahlungsmittel sowie unbedruckte Fahrscheine mit sich führen. Dem Fahrpersonal steht es frei, ob sie die Arbeitsmittel nach Dienstende mit nach Hause nehmen. Vereinnahmtes Geld kann - was in den Schichten berücksichtigt wird - auf dem Bahnhof in „Cash-Depots“ abgegeben werden. Im Übrigen geht die Schichtplanung davon aus, dass die Arbeitszeit mit dem Eintreffen des Beschäftigten in der Meldestelle beginnt, wobei für den Aufenthalt dort und die Kenntnisnahme des Tagesplans bzw. dessen Änderungen drei Minuten vorgesehen sind (sog. Teilarbeit AU).
An der Regeleinsatzstelle W steht dem Kläger ein Spind zur Verfügung, in dem er Arbeitskleidung und -mittel lagern kann.
Im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens schlossen die Beklagte und der Betriebsrat am 18. Januar 2011 eine Betriebsvereinbarung (im Folgenden: BV), dessen § 2 lautet:
„Jeder von dieser Regelung erfasste Mitarbeiter erhält vor und nach jeder Schicht eine pauschale Übergangszeit von 7 Minuten Länge. Diese Übergangszeit dient der Herstellung der Dienstfähigkeit u.a. durch Empfangen, Bereitmachen und Abgeben der elektronischen Arbeits- und Kommunikationsmittel (wie MT, Handy, SD-Card, geschäftliche Zahlungsmittel, unbedruckte Fahrscheine, Zangendrucker usw.), Umkleiden etc. Diese Übergangszeit stellt weder Freizeit noch vergütungspflichtige Arbeitszeit und auch keine Arbeitszeit im Sinne der arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeit (ArbZG) dar und findet deshalb auch keinen Eingang in die Dienstschichten und Einsatzpläne.“
Mit der am 7. April 2011 eingereichten Klage hat der Kläger zuletzt für den 10. März 2011, an dem er seine Arbeitsleistung vom Hauptbahnhof S aus erbrachte, (weiteres) Entgelt für 14 Minuten verlangt und geltend gemacht, Umkleide- und Rüstzeiten seien vergütungspflichtig. Er hat vorgetragen, (auch) an diesem Tag vor Schichtbeginn und an dessen Ende folgende Tätigkeiten ausgeübt zu haben: Spind aufschließen und öffnen, Dienstanweisungen entnehmen und zur Kenntnis nehmen, Tasche oder Rucksack entnehmen und diesen mit Arbeitsmitteln (Ersatz-Akkus und dienstliche Unterlagen) bestücken, Tasche oder Rucksack mit persönlichen Sachen (Brotdose, Getränk) bestücken, persönlich zugeteilte, mitzuführende Ausrüstungsgegenstände auf Vollständigkeit und Funktionalität prüfen, Speicherkarte in mobiles Terminal (MT) einlegen, Einsatzbereitschaft des MT und Smartphone herstellen (Systeme hochfahren) und prüfen, MT-Tasche entnehmen und mit mobilem Terminal und mit dienstlicher Geldbörse bestücken, Ablegen der privaten Bekleidung und verstauen, Bluse/Hemd anziehen, Schal/Schlips/Tuch auflegen/binden/anlegen, Hose/Rock/Strumpfhosen anziehen, Weste anziehen, Blazer/Jackett anziehen, Namensschild anbringen, Arbeits- Sicherheitsschuhe putzen/reinigen und anziehen, Wetterschutzjacke/Parker/Mantel anziehen, private Kleidung in Spind hängen, Spind verschließen, Spindraum verlassen und Weisungsraum betreten. Bei Schichtende sei „der rückläufige Sachverhalt abzuwickeln“ gewesen. Zur Dauer der geschilderten Vorgänge hat er sich auf § 2 Satz 1 BV berufen.
Der Kläger hat zuletzt - nach Anregung eines Hilfsantrags durch das Landesarbeitsgericht - beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2,76 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2011 zu zahlen;
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für den 10. März 2011 weitere 14 Minuten auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, Umkleide- und Rüstzeiten seien nicht vergütungspflichtig. Sie hat bestritten, dass der Kläger am 10. März 2011 die geschilderten Tätigkeiten verrichtet habe. Am Hauptbahnhof S stehe ihm kein Spind zur Verfügung, der Kläger müsse bereits in Dienstkleidung zur Arbeit gekommen sein.
Das Arbeitsgericht hat die Klage - unter Zulassung der Berufung - abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsurteil ist im Ergebnis richtig. Die Klage ist unbegründet. Die mit Haupt- und Hilfsantrag erhobenen Ansprüche stehen dem Kläger nicht zu.
I. Streitgegenständlich ist eine weitere Vergütung (hilfsweise Zeitgutschrift) für den 10. März 2011, die der Kläger darauf stützt, er habe an diesem Tag im Betrieb die in der Klage geschilderten Umkleide- und Rüsttätigkeiten entfaltet.
1. Ob diese zu den - bei Fehlen einer anderweitigen Vereinbarung - vergütungspflichtigen „versprochenen Diensten“ iSv. § 611 Abs. 1 BGB gehören (vgl. BAG 19. September 2012 - 5 AZR 678/11 - Rn. 28, BAGE 143, 107; 19. März 2014 - 5 AZR 954/12 - Rn. 18), tariflich aber - etwa durch die Regelung zu Beginn und Ende der Arbeitszeit in § 43 Abs. 1 Satz 1 FGr 5-TV - deren Vergütung ausgeschlossen ist, kann der Senat im vorliegenden Revisionsverfahren nicht entscheiden. Denn der Kläger ist am 10. März 2011 unstreitig nicht von seiner Regeleinsatzstelle W, sondern vom Hauptbahnhof S aus tätig geworden. Dort steht ihm aber - was in den Vorinstanzen unstreitig war - kein Spind zur Aufbewahrung von Arbeitskleidung und -mitteln zur Verfügung. Dem entsprechend hat das Landesarbeitsgericht, ohne dass der Kläger einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestands (§ 320 ZPO) gestellt oder die Revision einen entsprechenden Angriff (§ 559 Abs. 2 ZPO) erhoben hätte, festgestellt, dass der Kläger bei einem Einsatz ab S seine Dienstkleidung und die Geräte bzw. Materialen nicht an seinem Spind in W angelegt und aufgerüstet habe. Jedenfalls hat der Kläger in den Tatsacheninstanzen weder behauptet noch unter Beweis gestellt, er habe sich am 10. März 2011 zunächst zum Umkleiden von seiner Wohnung in den Bahnhof W begeben und sei erst von dort zum Arbeitsantritt nach S weitergefahren.
Soweit der Kläger auf den rechtlichen Hinweis des Senats zur mangelnden Schlüssigkeit der Klage nunmehr behaupten will, er verfüge auch am Hauptbahnhof S über einen Spind, habe sich dort am 10. März 2011 umgezogen und die dort lagernden Arbeitsmittel an sich und in Betrieb genommen, handelt es sich um neuen Sachvortrag in der Revisionsinstanz, der nach § 559 Abs. 1 ZPO nicht berücksichtigt werden kann. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der neue Sachvortrag nicht unstreitig. Die Beklagte hat ihn ausdrücklich bestritten.
2. Die erhobenen Ansprüche folgen auch nicht aus § 2 BV. Diese Bestimmung begründet keine Vergütungspflicht unabhängig davon, ob die genannten Verrichtungen tatsächlich anfallen.
II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Müller-Glöge Biebl Weber Reinders Rahmstorf