Anspruch auf Versetzung an einen anderen Arbeitsort - LAG Mainz 5 Sa 378/14
Der Arbeitgeber ist aufgrund seiner Pflicht zur Rücksichtnahme gehalten, bei der Entscheidung über eine Versetzung auf Wunsch des Arbeitnehmers seinen Antrag auf Änderung der vertraglichen Beziehungen zu prüfen und darüber nach Treu und Glauben zu befinden. Im einschlägigen Fall kam das LAG Mainz zur Entscheidung, dass der Arbeitgeber seiner Rücksichtnahmepflicht nachgekommen ist.
Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Mainz vom 18.12.2014 - 5 Sa 378/14:
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 12. März 2014, Az. 10 Ca 1851/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin vorübergehend auf einem Teilzeitarbeitsplatz am Standort Saarbrücken, hilfsweise auf einem Heimarbeitsplatz, zu beschäftigen.
Die Beklagte gehört zu einem Versicherungskonzern. Die 1971 geborene Klägerin ist seit Dezember 1996 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Sachbearbeiterin zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt € 3.706,- mit 38 Wochenstunden in Vollzeit angestellt. Sie wurde zunächst am Standort Saarbrücken eingesetzt. Aufgrund einer unternehmensweiten Umstrukturierung wurde sie mit ihrem Einverständnis ab 01.10.2007 am Standort Mainz als Sachbearbeiterin beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 07.09.2007 vereinbarten die Parteien den Dienstort Mainz. Die Klägerin behielt jedoch ihren Wohnsitz in der Nähe von Saarbrücken bei und pendelte nach Mainz.
Nach der Geburt ihres Sohnes am 14.04.2010 nahm die Klägerin Elternzeit bis zum 13.04.2012 in Anspruch, die einvernehmlich bis zum 13.04.2013 verlängert wurde. Seit 14.04.2013 ist die Klägerin ununterbrochen arbeitsunfähig krankgeschrieben. Sie leidet an einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode, die durch den vorliegenden Arbeitsplatzkonflikt ausgelöst worden sein soll.
Die Klägerin stellte bereits in der Elternzeit einen Antrag auf Verringerung ihrer Arbeitszeit auf 20 Wochenstunden, wobei diese auf montags bis freitags von 8:30 bis 12:30 Uhr verteilt werden müsse, weil ihr Sohn an einer emotionalen Störung leide, die einen ganztägigen Kindergartenbesuch ausschließe. Darüber hinaus verlangt sie zwingend einen Arbeitsplatz am Standort Saarbrücken, hilfsweise die Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes. Die Anträge befristete sie (zuletzt) bis zum 30.09.2016. Die Beklagte, die mit einer Teilzeitbeschäftigung einverstanden ist, lehnt eine Verlagerung des Arbeitsortes ab.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 12.03.2014 (dort S. 2 bis 16) Bezug genommen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich -zuletzt- beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot auf kalendermäßig bis 30.09.2016 befristete Änderung des Arbeitsvertrags vom 07.09./13.12.2007 mit dem Inhalt, dass die Beschäftigung am Standort Saarbrücken mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden an den Tagen Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag von 08:30 bis 12:30 Uhr und anschließend mit dem Aufgabenbereich/Arbeitsort sowie mit der Arbeitszeit gemäß §§ 2, 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vom 07.09./ 13.12.2007 erfolgt, anzunehmen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot auf kalendermäßig bis 30.09.2016 befristete Änderung des Arbeitsvertrags vom 07.09./13.12.2007 mit dem Inhalt, dass die Beschäftigung in Form eines Heimarbeitsplatzes mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden an den Tagen Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag von 08:30 Uhr bis 12:30 Uhr und anschließend mit dem Aufgabenbereich/Arbeitsort sowie mit der Arbeitszeit gemäß §§ 2, 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vom 07.09./13.12.2007 erfolgt, anzunehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung - zusammen- gefasst - ausgeführt, die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung in Saarbrücken noch auf Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes. Sie könne ihr Begehren, das nicht nur auf die (vorübergehende) Verkürzung der Arbeitszeit, sondern auch auf die Zuweisung eines neuen Arbeitsortes gerichtet sei, nicht auf § 8 TzBfG stützen. Ein Anspruch folge auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gem. §§ 611, 241 Abs. 2, 106 GewO iVm. § 315 BGB. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 16 bis 29 des erstinstanzlichen Urteils vom 12.03.2014 Bezug genommen.
Gegen das am 20.05.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 18.06.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 20.08.2014 verlängerten Begründungsfrist mit am 20.08.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Sie macht zur Begründung der Berufung geltend, sie habe einen Rechtsanspruch auf vorübergehende Teilzeitbeschäftigung am Standort Saarbrücken, hilfsweise auf einen Heimarbeitsplatz. Anspruchsgrundlage sei die allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts überwiege ihr Interesse an einer Teilzeitbeschäftigung am Standort Saarbrücken bzw. in einem Home-Office, das Interesse der Beklagten an ihrer Beschäftigung am Standort Mainz. Die Beklagte sei bei Abwägung der wechselseitigen Belange iSd. §§ 106 GewO, 315 BGB verpflichtet, ihr vermeidbare Belastungen zu ersparen und ein Nebeneinander von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Es sei ihr wegen der Kinderbetreuungspflicht nicht möglich, eine Teilzeitbeschäftigung am Standort Mainz auszuüben. Im Hinblick auf die medizinisch notwendige Betreuung ihres Sohnes durch die Mutter, sei ihr ein hohes Interesse an einem Arbeitsplatz am Standort Saarbrücken zuzubilligen. Dies gelte insb. auch unter Berücksichtigung des in Art. 6 GG geregelten Rechts der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Demgegenüber werde das Recht der Beklagten, unternehmerische Entscheidungen zu treffen, durch die begehrte Zuweisung eines anderen Arbeitsortes nur marginal berührt. Sie könne am Standort Saarbrücken ihre bisherige Tätigkeit als Sachbearbeiterin im Bereich "Privat Schaden Haftpflicht" ausüben. Der Beklagten sei es technisch möglich und zumutbar, sie am Standort Saarbrücken an die ACD-Telefonanlage, die eingehende Schadensmeldungen und sonstige Kundenanrufe automatisch unter den Sachbearbeitern verteile ("Automatic Call Distribution") einzubinden. Die Beklagte betreibe die ACD-Telefon-anlage gemeinsam mit weiteren konzernangehörigen Gesellschaften, der sog. "Mandant" Schaden sei an drei Standorten in Mainz, Köln und Hannover angelegt worden. Die Beklagte habe keine Gründe dafür vorgebracht, weshalb die Einbindung eines weiteren Standorts, namentlich Saarbrücken , an den "Mandanten" Schaden technisch nicht möglich sei. Die Beklagte habe dem Arbeitnehmer Z., der ebenfalls im Bereich Schadensbearbeitung tätig sei, ermöglicht, am Standort Saarbrücken für den Standort Köln zu arbeiten. Zudem habe die Beklagte der Arbeitnehmerin N., die im Bereich Heilwesen tätig und dem Standort Köln zugeordnet sei, ermöglicht, ihre Tätigkeit in Saarbrücken zu verrichten. Die Beklagte habe nicht dargelegt, warum dies bei ihr nicht möglich sein soll.
Selbst wenn es technisch nicht möglich sei, sie am Standort Saarbrücken an die ACD-Telefonanlage anzuschließen, könne sie dort vertragsgemäß beschäftigt werden, weil sich der Anteil der Telefongespräche an ihren Gesamtaufgaben im Hinblick auf die beantragte Verringerung der Arbeitszeit ohnehin drastisch reduziere. Deshalb sei es der Beklagten ohne weiteres möglich und zumutbar, ihr eine Halbtagsstelle in Saarbrücken mit Arbeitsaufgaben ohne Telefontätigkeiten zuzuweisen. Dessen ungeachtet sei es der Beklagten möglich, ihr im Rahmen des Direktionsrechts Aufgaben zuzuweisen, die keine Anbindung an den "Mandanten" Schaden erforderten. Hierzu zählten Arbeitsaufgaben im Bereich des Vermittlungsmanagements, die sie auch am Standort Saarbrücken ausüben könne. Gleiches gelte für Arbeitsaufgaben, die bisher von Leiharbeitnehmern am Standort Saarbrücken verrichtet würden. Hinzu komme, dass die Beklagte nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils am Standort Saarbrücken 55 neue Mitarbeiter eingestellt habe. Von diesen Mitarbeitern setze sie 15 im Bereich der Telefonie und mind. 30 im Bereich Privat- und Firmenkunden ein.
Höchst vorsorglich habe sie einen Anspruch auf Beschäftigung in einem Home- Office. Die Beklagte habe der Arbeitnehmerin D.-B., die im Bereich der Schadensbearbeitung tätig sei, während der Elternzeit eine Tätigkeit im Home-Office ermöglicht. Frau D.-B. sei als Sachbearbeiterin unter Anbindung an die ACD-Telefonanlage im Home-Office tätig. Vor diesem Hintergrund sei der Einwand der Beklagten, die Anbindung an die ACD-Telefonanlage sei im Home-Office technisch nicht möglich, unzutreffend. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 20.08.2014 und vom 08.12.2014 Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich zuletzt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 12.03.2014, Az. 10 Ca 1851/13, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot auf kalendermäßig bis zum 30.09.2016 befristete Änderung des Arbeitsvertrags vom 07.09./ 13.12.2007 mit dem Inhalt, dass die Beschäftigung
am Standort Saarbrücken,
hilfsweise in Form eines Heimarbeitsplatzes,
mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden von montags bis freitags von 08:30 bis 12:30 Uhr erfolgt, anzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung bereits für unzulässig, weil weder die Berufungsschrift noch die Begründungsschrift formwirksam unterzeichnet worden seien. In der Sache verteidigt sie das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 27.10.2014 und des Schriftsatzes vom 12.12.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und inhaltlich ausreichend begründet worden.
Entgegen der Ansicht der Beklagten entsprechen sowohl die Berufungsschrift als auch die Berufungsbegründungsschrift den an bestimmende Schriftsätze zu stellenden förmlichen Anforderungen (§ 130 ZPO). Die Berufungskammer bezweifelt nicht, dass der individuelle Schriftzug des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine formgültige Unterschrift darstellt. Das handschriftliche Gebilde, mit dem Rechtsanwalt B. die Schriftsätze gezeichnet hat, steht für seinen Namen. Es ist von individuellem Gepräge und hat charakteristische Merkmale, welche die Identität dessen, von dem es stammt, ausreichend kennzeichnen. Das genügt, wenn - wie hier - die Autorenschaft gesichert ist (vgl. BAG 30.08.2000 - 5 AZB 17/00 - NZA 2000, 1248).
II.In der Sache hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass sie die Beklagte entsprechend ihren Wünschen - befristet bis zum 30.09.2016 - am Standort in Saarbrücken, hilfsweise auf einem Heimarbeitsplatz, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden (von montags bis freitags von 8:30 bis 12:30 Uhr) beschäftigt.
Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und sorgfältigen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen der Klägerin veranlasst lediglich folgende Ausführungen:
1. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann die Klägerin ihr Klagebegehren auf befristete Einrichtung eines Halbtagsarbeitsplatzes an einem anderen Arbeitsort nicht auf die Vorschriften des TzBfG (Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge) oder den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Das wird von der Berufung auch nicht in Abrede gestellt.
Aus § 8 TzBfG folgt kein Anspruch auf vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit, wie sich aus einem Vergleich mit § 9 TzBfG ergibt, der anders als bei der Elternzeit (§ 15 Abs. 5 BEEG) keinen bedingungslosen Anspruch auf Rückkehr zur Vollzeitarbeit regelt. Darüber hinaus regelt § 8 TzBfG lediglich einen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit, nicht jedoch auf Umgestaltung des Arbeitsverhältnisses nach Inhalt und Ort der Arbeitsleistung.
2. Aus der in § 241 Abs. 2 BGB normierten Rücksichtnahmepflicht erwächst auch unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie bzw. Pflege und Erziehung der Kinder (Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG) der begehrte Anspruch der Klägerin auf einen Halbtagsarbeitsplatz am Standort Saarbrücken oder in einem Home-Office ebenfalls nicht. Das Interesse der Beklagten, die Klägerin -wie vereinbart - am Standort Mainz mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit einzusetzen, überwiegt gegenüber dem Interesse der Klägerin, nicht nach Mainz pendeln zu müssen.
a) Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Ausübung des Versetzungsrechts, der letztlich in eine Versetzungspflicht vom Standort Mainz zum Standort Saarbrücken, hilfsweise in ein Home-Office, münden soll, ergibt sich nicht unmittelbar aus § 106 GewO. Nach dieser Vorschrift kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen. Aus der gewählten Formulierung „kann“ ergibt sich, dass es sich hierbei um ein Gestaltungsrecht des Arbeitgebers handelt. Wenn der Arbeitgeber sein Gestaltungsrecht ausübt, hat er bei der Ermessensentscheidung die Grundsätze der Billigkeit zu beachten. Aus § 106 GewO lässt sich unmittelbar keine Pflicht des Arbeitgebers zur Ausübung des Direktionsrechts in gewünschter Weise herleiten. Die Konkretisierung der Arbeitspflicht ist nach § 106 Satz 1 GewO Sache des Arbeitgebers.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, kann es allerdings die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht Gebrauch macht und die vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens anderweitig derart konkretisiert, dass dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung wieder möglich wird, wenn er aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr in der Lage ist, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 Satz 1 GewO näher bestimmte Leistung zu erbringen (vgl. BAG 19.05.2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 26-27 mwN, NZA 2010, 1119; MüKo BGB/Müller-Glöge 12. Aufl. BGB § 611 Rn. 988-990 mwN).
Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Im Arbeitsverhältnis können die Vertragspartner deshalb zur Verwirklichung des Leistungsinteresses zu leistungssichernden Maßnahmen verpflichtet sein. Dazu gehört auch die Pflicht, im Zusammenwirken mit dem Vertragspartner die Voraussetzungen für die Durchführung des Vertrags zu schaffen, Erfüllungshindernisse nicht entstehen zu lassen bzw. zu beseitigen und dem anderen Teil den angestrebten Leistungserfolg zukommen zu lassen. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht kann es auch geboten sein, auf den Wunsch nach Vertragsanpassung als Reaktion auf unerwartete Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse einzugehen, insb. wenn anderenfalls in Dauerschuldverhältnissen Unvermögen des Schuldners droht (vgl. BAG 13.08.2009 - 6 AZR 330/08 - Rn. 31 mwN, AP BGB § 241 Nr. 4).
c) Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte aufgrund ihrer Rücksichtnahmepflicht gehalten, den Antrag der Klägerin auf eine Änderung der vertraglichen Beziehungen zu prüfen und darüber nach Treu und Glauben zu befinden (vgl. auch BAG 16.07.1997 - 5 AZR 309/96 - NZA 1998, 104, zur Einwilligung in die vorzeitigen Beendigung eines Sonderurlaubs; BAG 19.05.2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 27-28, aaO, zur Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz; BAG 24.03.2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 26 - NZA 2011, 1084 zur Mitwirkung bei der Erlangung des Freigängerstatus).
d) Entgegen der Berufung ist die Ermessensentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Parteien haben den Dienstort der Klägerin, der aufgrund einer unternehmensweiten Umstrukturierung ab 01.10.2007 nach Mainz verlagert worden ist, arbeitsvertraglich einvernehmlich festgelegt. Das Interesse der Beklagten, die Klägerin - auch mit einer verringerten Arbeitszeit von 20 Wochenstunden, womit sie einverstanden ist - am Standort Mainz zu beschäftigen, überwiegt gegenüber dem Interesse der Klägerin, ihren Arbeitsplatz - befristet bis zum 30.09.2016 - nach Saarbrücken oder in ein Home-Office zu verlagern. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.
aa) Zwar sind die familiären und erzieherischen Belange der Klägerin, die eine durch Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützte Rechtsposition hat, beachtlich. Ihr im April 2010 geborener Sohn leidet (nach dem Inhalt des ärztlichen Attestes vom 16.12.2013) an einer emotionalen Störung mit Überängstlichkeit im Kindesalter. In diesem Rahmen zeigt sich eine ausgeprägte Trennungsangst von der Mutter bzgl. des Kindergartenbesuchs. Der Sohn besucht den Kindergarten nur vormittags. Eine längere Betreuung in der Einrichtung ist aus Sicht der Kinderärztin derzeit nicht vertretbar. Die Klägerin kann nur halbtags arbeiten, weil sie den Kindergartenbesuch des Sohnes nicht auf volle Tage ausdehnen kann. Es ist unmittelbar nachvollziehbar, dass die Klägerin bei einer Teilzeitbeschäftigung mit einer verkürzten täglichen Arbeitszeit von vier Stunden an fünf Arbeitstagen, nicht von Saarbrücken nach Mainz pendeln kann, weil sonst die medizinisch erforderliche Betreuung des Sohnes durch die Mutter nach dem Kindergartenbesuch nicht sichergestellt ist.
bb)Aber auch auf Seiten der Beklagten streiten Grundrechte. Die Gestaltung des Betriebs, die Antwort auf die Frage, ob und in welcher Weise sich der Arbeitgeber wirtschaftlich betätigen will, sind Bestandteil der durch Art. 12, Art. 14 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit. Zum wesentlichen Inhalt der freien unternehmerischen Entscheidung gehört die Gestaltungsfreiheit bezüglich der betrieblichen Organisation. Sie umfasst auch die Festlegung, an welchem Standort welche arbeitstechnischen Ziele verfolgt werden (vgl. BAG 29.03.2007 - 2 AZR 31/06 - Rn. 23 mwN, NZA 2007, 855; BAG 27.09.2001 - 2 AZR 246/00 - Rn. 20, EzA KSchG § 2 Nr. 41).
Dem widerspräche eine Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin einen Arbeitsplatz am Standort Saarbrücken oder ein Home-Office einzurichten. Die Beklagte hat ihren Betrieb - unstreitig - so umstrukturiert, dass der Bereich HUS-Schaden (Haftpflicht-, Unfall-, Sachschaden), in dem die Klägerin vor der Elternzeit beschäftigt wurde, nur noch an den Standorten Mainz, Köln und Hannover bearbeitet wird. Im Zuge dieser (interessenausgleichspflichtigen) Umstrukturierung haben sich die Parteien mit Wirkung ab 01.10.2007 vertraglich darauf geeinigt, dass die Klägerin am Standort Mainz arbeitet. Die Klägerin hat sich damals entschieden, zwar den Arbeitsort zu wechseln, jedoch ihren Wohnort in der Nähe von Saarbrücken beizubehalten. Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend herausgestellt hat, ist die von der Klägerin behauptete Unmöglichkeit, ihre Arbeitsleistung am Standort Mainz zu erbringen, auf ihre bewusste Entscheidung zurückzuführen, ihren Wohnort ab 2007 nicht nach Mainz zu verlegen. Das Vereinbarkeitsproblem zwischen Mobilität und aktiver Elternschaft wäre durch einen Umzug zu lösen, den die Klägerin kategorisch ablehnt.
cc)Die Klägerin kann von der Beklagten nicht verlangen, von ihr nicht gewollte Organisationsentscheidungen zu treffen. Die Klägerin muss akzeptieren, dass die Beklagte die unternehmerische Entscheidung getroffen hat, die Schadenssachbearbeitung, zu der eine umfangreiche Telefontätigkeit gehört, auf wenige Standorte - ua. Mainz - zu konzentrieren. Die Beklagte ist deshalb nicht verpflichtet, ihren Betrieb nach den Vorstellungen und Wünschen der Klägerin umzuorganisieren. Sie ist insb. nicht verpflichtet, ihre ACD-Telefonanlage technisch so umzurüsten, dass die Klägerin ihre geschuldete Arbeitsleistung wieder am Standort Saarbrücken oder in einem Home-Office verrichten kann.
Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, die Arbeitsaufgaben so umzuorganisieren, dass die Klägerin nicht mehr an die ACD-Telefonanlage am Standort Mainz angeschlossen werden muss. Sie hat vielmehr ein berechtigtes Interesse daran, die Klägerin mit den vertraglich vereinbarten Aufgaben zu beschäftigen, die zu einem erheblichen Teil aus einer Tätigkeit an der ACD-Telefonanlage besteht. Der Zuschnitt der Arbeitsplätze ist Sache des Arbeitgebers.
Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer Z. am Standort Saarbrücken für den Standort Köln tätig war, vermag sie daraus keinen Rechtsanspruch herzuleiten, ihr einen Arbeitsplatz am Standort Saarbrücken oder einen Heimarbeitsplatz zu schaffen. Die Beklagte hat mehrfach vorgetragen, dass es am Standort Saarbrücken keinen Arbeitsplatz in der Schadenssachbearbeitung mehr gebe und Herr Z. das Unternehmen bereits im März 2013 verlassen habe. Einen freien Arbeitsplatz in der Schadenssachbearbeitung am Standort Saarbrücken hat die Klägerin nicht aufgezeigt.
Soweit die Klägerin auf die Arbeitnehmerinnen N. und D.-B. hinweist, ist sie mit diesen Mitarbeiterinnen aufgrund ihrer Qualifikation und der ausgeübten Tätigkeit nicht vergleichbar. Beide Arbeitnehmerinnen sind nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten Volljuristinnen, die sich im Bereich Heilwesen ua. mit Arzthaftungsrecht befassen. Frau N. ist ab 01.01.2010 aufgrund einer Standortverlagerung nach Köln gewechselt. Frau D.-B. befand sich bis 15.12.2014 in Elternzeit und hat alternierend am Standort Köln und im Home-Office in Teilzeit gearbeitet. Aus dem Umstand, dass Frau D.-B. von der Beklagten eine Tätigkeit im Home-Office ermöglicht worden ist, kann die Klägerin keinen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung herleiten, weil der Tätigkeitsbereich nicht ansatzweise vergleichbar ist.
Überdies macht die Beklagte zutreffend darauf aufmerksam, dass es den Arbeitsablauf in der Schadensabwicklung erschweren würden, wenn die Klägerin am Standort Saarbrücken oder in einem Home-Office vollkommen isoliert, ohne fachliche und disziplinarische Aufsicht und Anleitung im Tagesgeschäft tätig wäre.
dd)Die Klägerin hat auch zweitinstanzlich am Standort Saarbrücken keine freien Arbeitsplätze aufgezeigt, die ihr die Beklagte ohne Organisationsänderung zuweisen könnte. Die allgemein gehaltenen Ausführungen der Klägerin dazu, wie sie sich ihren Einsatz in Saarbrücken vorstellen könnte, sind unbehelflich. Die Beklagte muss keinen anderen Arbeitnehmer entlassen oder an einen anderen Standort versetzen, um der Klägerin einen Arbeitsplatz zu schaffen, der ihren Wünschen entspricht.
Die Beklagte hat mehrfach vorgetragen, es gebe in Saarbrücken keinen freien Arbeitsplatz, auf dem die Klägerin mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten eingesetzt werden könne. Dem ist die Klägerin auch zweitinstanzlich nur unzureichend entgegengetreten. Soweit sie erneut auf Arbeitsplätze im Bereich des Vermittlungsmanagements hinweist, hat die Beklagte - unwidersprochen - vorgetragen, dass diese Arbeitsplätze bereits nach Köln verlagert worden seien. Das Arbeitsgericht hat das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausführlich gewürdigt. Hierauf geht die Berufung nicht ansatzweise ein.
Soweit die Klägerin zweitinstanzlich erneut behauptet, dass am Standort Saarbrücken Stellen von Leiharbeitnehmern besetzt seien, hat sie wiederum jeglichen Vortrag dazu missen lassen, welche Arbeitsplätze frei und wie sie beschaffen sind. Den Vortrag der Beklagten, dass diese zeitlich befristeten Stellen nur für einfache Hilfstätigkeiten (Bearbeitung des Herbststurmgeschäfts) ausgeschrieben und geringer vergütet worden seien, hat sie pauschal bestritten. Ein einfaches Bestreiten unter Benennung des Betriebsratsvorsitzenden als Zeugen genügt nicht. Wenn die Klägerin schon über Informationen durch den Betriebsrat verfügt, hätte sie im Einzelnen darlegen können und müssen, um welche freien Stellen es sich konkret handelt. Die Vernehmung des Betriebsratsvorsitzenden liefe auf einen reinen Ausforschungsbeweis hinaus. Es bedarf deshalb keines Eingehens auf die Frage, ob es an einem „freien“ Arbeitsplatz fehlt, wenn die Beklagte Leiharbeitnehmer zum Ausgleich von vorübergehendem Personalmehrbedarf beschäftigt (vgl. hierzu BAG 18.10.2012 - 6 AZR 289/11 - Rn. 28, DB 2013, 180).
Schließlich verhilft auch der zweitinstanzlich neue Vortrag der Klägerin, es gebe in Saarbrücken 55 neue Arbeitsplätze, der Berufung nicht zum Erfolg. Aus dem Vortrag ergibt sich nicht einmal, dass es sich um Stellen bei der Beklagten oder anderen Konzerngesellschaften handelt. Zudem trägt die Klägerin nicht ansatzweise vor, welche Inhalte die Stellen der neu eingestellten Mitarbeiter haben. Die Beklagte hat hierauf erwidert, dass sie - wie jeden Herbst - Aushilfen befristet oder auf Leiharbeitsbasis eingestellt habe, um das in diesem Zeitraum anfallende Mehrgeschäft bewältigen zu können. Die Aushilfen verrichteten einfache Tätigkeiten und würden auf Stundenbasis bezahlt. Soweit die Klägerin weitere Ausführungen der Beklagten vermisst und den Betriebsratsvorsitzenden als Zeugen dafür benennt, dass am Standort Saarbrücken schon immer ganzjährig bis zu 45 Personen zur Arbeitsleistung überlassen worden seien, hat sie auch damit nicht substantiiert dargelegt, dass am Standort Saarbrücken freie Arbeitsplätze vorhanden sind.
III.Die Kosten der erfolglos gebliebenen Berufung fallen der Klägerin nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen
Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen
könnte, besteht nicht.