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Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung

02. Sep
2023

 

Bedarf es gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung und hat der Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beim Betriebsrat die erforderliche Zustimmung beantragt sowie bei deren ausdrücklicher oder wegen Fristablaufs zu unterstellender Verweigerung das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht eingeleitet, ist die Kündigung nicht wegen einer Überschreitung der Frist unwirksam, wenn das Zustimmungsersetzungsverfahren bei ihrem Ablauf noch nicht abgeschlossen ist.

Volltext des Urteils des Arbeitsgericht Düsseldorf vom 24.11.2022 - 12 Ca 3182/22:

Tenor

    1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
    3. Der Streitwert wird auf 12.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
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Die am 01.05.1959 geborene, schwerbehinderte Klägerin ist seit dem 28.11.1977 bei dem beklagten V. angestellt, zunächst als „(…)“, zuletzt seit dem 01.05.2004 als „(…)“ in der Leitstelle der Logistik zu einem durchschnittlichen Bruttogehalt von rund 4.000 € brutto. Die Klägerin ist einem volljährigen, schwerbehinderten Sohn gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes Anwendung.
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Die Klägerin Mitglied der Gewerkschaft W.. Sie gehört seit 1993 dem bei der Beklagten gebildeten Personalrat an und ist wegen ihrer Personalratstätigkeit freigestellt.
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Mit Schreiben vom 22.03.2019 hatte die Beklagte die Klägerin für denselben Tag wegen des Vorwurfs einer schwerwiegenden Verletzung der Dienstpflichten zu einer Anhörung eingeladen. Nach dem Anhörungsprotokoll vom gleichen Tag waren neben der Klägerin unter anderem der damalige Vorsitzende des Personalrats, die Vertreterin der Schwerbehindertenvertretung und der Leiter der Abteilung Arbeitsrecht und Grundsatzfragen sowie stellvertretender Personaldezernent R. anwesend.
25

Mit Schreiben vom 25.03.2019 hatte die Beklagte die Klägerin wegen des Verdachts einer missbräuchlichen Amtsausübung, einer schweren Störung des Betriebsfriedens, Vorteilsannahme und Bestechlichkeit angehört. Die zugrundeliegenden Vorfälle hätten sich in der Zeit von 2015 bis 2019 ereignet. Die Klägerin hätte die Gelegenheit, sich bis zum 01.04.2019 zu den Vorwürfen zu äußern.
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Mit Schreiben ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten vom 29.03.2019 hatte die Klägerin hierzu Stellung genommen.
27

Mit getrennten Schreiben jeweils vom 01.04.2019 hatte daraufhin die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung angehört und beim Personalrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 43 Abs. 2 Satz 1 LPVG NRW beantragt.
28

Der Personalrat hatte mit Schreiben vom 04.04.2019 mitgeteilt, dass er noch keine abschließende Stellungnahme zu der geplanten Maßnahme abgeben könne.
29

Mit Schreiben vom 04.04.2019 hatte sich die Schwerbehindertenvertretung dahingehend geäußert, dass die Aussagen der benannten Zeugen in Zweifel gezogen würden.
30

Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 05.04.2019 beim lnklusionsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung beantragt und mit einer Antragsschrift vom gleichen Tage ein personalvertretungsrechtliches Beschlussverfahren mit dem Begehren eingeleitet, die Zustimmung des Personalrats zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin zu ersetzen.
31

Das Inklusionsamt bestätigte der Beklagten mit Schreiben vom 24.04.2019, dass die Zustimmung zur Kündigung gem. § 174 Abs. 3 S. 2 SGB IX als erteilt gelte.
32

Mit Beschluss vom 23.11.2020 ersetzte das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Zustimmung des Personalrats zur außerordentlichen Kündigung des mit der Klägerin bestehenden Arbeitsverhältnisses.
33

Die Beschwerden des Personalrats und der Klägerin gegen den die Zustimmung ersetzenden Beschluss wies das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 24.09.2021 zurück und ließ die Rechtsbeschwerde nicht zu. Der Personalrat sei umfassend unterrichtet worden. Die Zustimmung beim Personalrat sei rechtzeitig beantragt worden. Die hierfür maßgebliche Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten worden. Es könne offenbleiben, in welchem Verhältnis die aus § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB abgeleitete (und hier eingehaltene) Zwei-Wochen-Frist zur Stellung des Antrags beim Personalrat zur Frist in § 174 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX stehe, wonach die Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen beim Inklusionsamt nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden kann und ob die Einhaltung der Frist des § 174 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX im vorliegenden Verfahren zu prüfen sei. Sie beginne nach Satz 2 dieser Vorschrift ebenso wie die Frist gemäß § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Auch diese Frist sei hier gewahrt. Die Frist für die Stellung des Antrags beim Verwaltungsgericht auf Ersetzung der Zustimmung sei eingehalten. Der Antrag, die Zustimmung des Personalrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zu ersetzen, sei begründet. Die außerordentliche Kündigung sei unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt i. S. v. § 43 Abs. 2 Satz 2 LPVG NRW.
34

Das Bundesverwaltungsgericht verwarf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin mit Entscheidung vom 16.06.2022.
35

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten setzte die Beklagte unverzüglich über den Zugang der Entscheidung in Kenntnis.
36

Mit Schreiben vom 01.07.2022, das der Klägerin noch an diesem Tag persönlich ausgehändigt wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.
37

Mit der am 21.07.2022 beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen Klageschrift wendet sich die Klägerin gegen die ausgesprochene Kündigung.
38

Sie bestreitet die erhobenen Vorwürfe und die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB. Ferner bestreitet sie mit Nichtwissen, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts der Beklagten bereits im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung zugegangen war, deshalb werde auch die ordnungsgemäße Zustimmung des Personalrats vor Ausspruch der Kündigung mit Nichtwissen bestritten. Sie bestreitet ferner mit Nichtwissen, dass die Beklagte die Zustimmung des Inklusionsamtes gemäß § 174 Abs. 2 SGB IX vor Ausspruch der Kündigung eingeholt habe, insbesondere, dass sie dabei die Zweiwochenfrist eingehalten habe. Vorsorglich werde auch die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 178 Abs. 2 SGB IX mit Nichtwissen bestritten. Es werde weiterhin bestritten, vorsorglich auch mit Nichtwissen, dass die Zustimmung des Personalrats im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an die Klägerin am 01.07.2022 um 14:12 Uhr bereits rechtsverbindlich und rechtskräftig ersetzt war. Hierzu reiche es nicht aus, dass die Zurückweisungsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts der Beklagten am selben Tag bereits um 11:10 Uhr zugegangen sei. Nach ihrer Auffassung müsse es auf den Zugang an alle Beteiligten der Nichtzulassungsbeschwerde ankommen. Beschwerdeführerin war – insoweit unstreitig – sie selbst. Der sie im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vertretenden K. sei der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts erst am 04.07.2022 zugegangen.
39

Die Klägerin beantragt zuletzt nach Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrages,
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 01.07.2022 nicht beendet wurde.
41

Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen.
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Entscheidungsgründe

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I.
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1.              Die ausgesprochene Kündigung ist nicht nach § 134 BGB nichtig.
48

a)              Die gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 LPVG NWR erforderliche Zustimmung des Personalrats ist gemäß § 43 Abs. 2 S. 3 LPVG NRW rechtskräftig ersetzt worden.
49

b)              Die Beklagte hat die Kündigung auch erst nach Rechtskraft der Entscheidung ausgesprochen. Soweit die Klägerin meint, die Beklagte hätte auch die Zustellung an sie – die Klägerin – abwarten müssen, so verweist die Beklagte zurecht auf den § 79 Abs. 2 LPVG NRW i.V.m. § 92a S. 2 i.V.m § 72a Abs. 5 S. 6 ArbGG. Bereits mit der Ablehnung der Zulassung der Rechtsbeschwerde wird der Beschluss rechtskräftig. Die Beklagte ist ja auch ganz im Gegenteil gehalten, unverzüglich nach Kenntnis von der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde die Kündigung auszusprechen, um die vom verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterbrochene Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu wahren.
50

2.              Für die außerordentliche Kündigung vom 01.07.2022 bestand ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB.
51

a)              Dies steht aufgrund der gem. § 322 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2, § 80 Abs. 2 ArbGG, § 79 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 LPVG NRW eingetretenen Rechtskraft der Entscheidung des Zustimmungsersetzungsverfahrens auch für das vorliegende Kündigungsschutzverfahren fest (vgl. hierzu für die Ersetzung der Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds: BAG 16.11.2017 - 2 AZR 14/17 - Rn. 41 ff. und Rn. 48; BAG 25.04.2018 – 2 AZR 401/17 –, Rn. 9; für die Kündigung eines Personalratsmitglieds: BAG 11.05.2000 – 2 AZR 276/99 –, BAGE 94, 313-325, Rn. 21).
52

b)              Soweit die Klägerin Bedenken an der Bindungswirkung des rechtskräftig vor den Verwaltungsgerichten abgeschlossenen Zustimmungsersetzungsverfahrens erhebt, weil es sich um einen anderen Rechtsweg handelt, überzeugt dies die Kammer nicht.
53

aa)              Infolge der spezifischen Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung im Zustimmungsersetzungsverfahren kann sich der im Beschlussverfahren beteiligte Arbeitnehmer im späteren, die außerordentliche Kündigung betreffenden Kündigungsschutzverfahren bezüglich des Vorliegens eines wichtigen Grundes iSv. § 626 BGB nur auf solche Tatsachen berufen, die er im Zustimmungsersetzungsverfahren nicht geltend gemacht hat und auch nicht hätte geltend machen können (BAG 15.08.2002 - 2 AZR 214/01 - zu II 1 a der Gründe, BAGE 102, 190). Dies folgt zwar nicht allein aus der Rechtskraftwirkung des Beschlusses gem. § 322 Abs. 1 ZPO. Der Umstand, dass ein wichtiger Grund für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung besteht, nimmt als bloßes Begründungselement für den Entscheidungsausspruch, die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen, nicht an der materiellen Rechtskraft teil. Die Bindungswirkung ist vielmehr eine notwendige Folge des von § 103 Abs. 2 BetrVG vorgegebenen engen Zusammenhangs zwischen dem Zustimmungsersetzungsverfahren und dem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess. Bezogen auf dieselben Kündigungsgründe ist letzterer nur eine inhaltliche Fortsetzung des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses (BAG 15.08.2002 - 2 AZR 214/01 - zu II 1 b aa der Gründe, aaO). Es widerspräche dem Sinn und Zweck des Zustimmungsersetzungsverfahrens, eine vorgezogene Prüfung durchzuführen, ob die vom Arbeitgeber angeführten Gründe eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen (vgl. BT-Drs. 6/1786 S. 53), wenn das Gericht in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess hinsichtlich derselben Gründe zu einem anderen Ergebnis kommen könnte. Das Verfahren soll Klarheit über die Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung gegenüber dem Amtsträger schaffen (vgl. BAG 18.09.1997 - 2 ABR 15/97 - zu C II 1 der Gründe, BAGE 86, 298). Dies gebietet eine - beschränkt auf die im Beschlussverfahren Beteiligten und die dort vorgebrachten Gründe sowie berücksichtigungsfähigen Tatsachen - ausnahmsweise interprozessuale Bindungswirkung der die Zustimmungsersetzung im Beschlussverfahren tragenden Würdigung, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben ist (BAG 16.11.2017 – 2 AZR 14/17 –, BAGE 161, 69-80, Rn. 42).
54

bb)              Diese tragenden Erwägungen greifen auch ein, wenn es um das vor den Verwaltungsgerichten geführte Zustimmungsersetzungsverfahren geht. Nach den §§ 43 Abs. 2 S. 2 i.V.m. 79 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 LPVG NRW sind bei einem Personalratsmitglied die Verwaltungsgerichte berufen, über die Ersetzung der Zustimmung des Personalrates zu entscheiden. Das dortige Verfahren soll Klarheit über die Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung gegenüber dem Amtsträger schaffen. Die interprozessuale Bindungswirkung im Hinblick auf das hiesige arbeitsgerichtliche Verfahren ist daher gleichermaßen wie bei der Kündigung eines Betriebsratsmitglieds geboten.
55

3.              Die Beklagte bei der Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalte. Auch dies steht aufgrund der Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung fest.
56

4.              Die Beklagte hat auch mit dem Ausspruch der Kündigung am 01.07.2022 die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten.
57

a)              Bedarf es gem. § 103 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung und hat der Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beim Betriebsrat die erforderliche Zustimmung beantragt sowie bei deren ausdrücklicher oder wegen Fristablaufs zu unterstellender Verweigerung das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht eingeleitet, ist die Kündigung nicht wegen einer Überschreitung der Frist unwirksam, wenn das Zustimmungsersetzungsverfahren bei ihrem Ablauf noch nicht abgeschlossen ist (BAG 25.04.2018 - 2 AZR 401/17 - Rn. 17; vgl. auch BAG 24.10.1996 - 2 AZR 3/96 - zu II 1 der Gründe). Die Kündigung kann vielmehr auch noch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Ersetzung der Zustimmung erklärt wird (BAG 25.04.2018 - 2 AZR 401/17 - aaO; 16.11.2017 - 2 AZR 14/17 - Rn. 46, BAGE 161, 69). Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 174 Abs. 5 SGB IX. Die Interessenlage ist mit dem Fall des Erfordernisses einer Zustimmung des Integrationsamts gem. § 174 Abs. 1 iVm. § 168 SGB IX vor einer außerordentlichen Kündigung vergleichbar, da auch die gerichtliche Ersetzung einer vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zu erlangen ist. Mangels einer § 174 Abs. 5 SGB IX entsprechenden Regelung besteht eine Regelungslücke, die durch die analoge Anwendung von § 174 Abs. 5 SGB IX zu schließen ist (zur analogen Anwendung von § 91 Abs. 5 SGB IX aF: BAG 25.04.2018 - 2 AZR 401/17 - aaO; vgl. auch BAG 26.09.2013 - 2 AZR 843/12 - Rn. 42; BAG 01.10.2020 – 2 AZR 238/20 – Rn. 14). Dieselben Grundsätze müssen auch für die zu ersetzende Zustimmung zur Kündigung eines Personalratsmitglieds gelten.
58

b)              Schneller als noch am 01.07.2022 konnte die Beklagte die außerordentliche Kündigung aber kaum aussprechen, nachdem ihr Prozessbevollmächtigter das Prüfprotokoll und das Empfangsbekenntnis über den Erhalt des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes am 01.07.2022 vorgelegt hat. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 28.10.2022 auch nur noch mit Rechtswissen bestritten, dass die Zustimmung des Personalrats bei Zugang der Kündigung bereits rechtsverbindlich und rechtskräftig ersetzt war. Dies war aber wie bereits ausgeführt der Fall.
59

4.              Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung i.S.v. § 178 Abs. 2 S. 1 erster Halbsatz SGB IX ist erfolgt. Die Beklagte hat im hiesigen Verfahren (nochmals) die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vom 01.04.2019 vorgelegt sowie deren Stellungnahme vom 04.04.2019. Einwände sind danach von Seiten der Klägerin nicht mehr erhoben worden.
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5.              Die Zustimmung des Inklusionsamtes ist von der Beklagten rechtzeitig i.S.v. § 174 Abs. 2 S. 1 erster Halbsatz SGB IX beantragt worden.
61

a)              Die Kammer ist hier der Auffassung, dass die Einhaltung der Frist für die Beantragung der Zustimmung des Inklusionsamtes der Bindungswirkung des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichtes unterfällt, weil in dem dortigen Beschluss (positive) Feststellungen dazu getroffen worden sind. Die Zulässigkeit der Kündigung der Klägerin als Amtsträgerin ist damit vom Oberverwaltungsgericht auch unter diesem Gesichtspunkt geprüft worden ebenso wie die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei Beantragung der Zustimmung zur Kündigung beim Personalrat.
62

b)              Jedenfalls macht sich die Kammer aber die insoweit völlig zutreffenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichtes zu Eigen:
63

„2. Der Antragsteller hat die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung rechtzeitig beim Beteiligten zu 1. beantragt.
64

a) Die für die Stellung eines solchen Antrags maßgebliche Zwei-Wochen-Frist ergibt sich aus § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB. Diese Frist bezieht sich in Fällen, in denen der Arbeitgeber für die Kündigung auf eine vorher einzuholende Zustimmung angewiesen ist, auch auf die Maßnahmen, die der Arbeitgeber ergreifen muss, um die erforderliche Zustimmung zu erhalten. Dies betrifft unter anderem den Antrag auf Zustimmung beim Personalrat.
65

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. September 1997 - 1 A 1027/97.PVL juris, Rn. 4, zur Kündigung eines Vertrauensmannes der Schwerbehinderten; Cecior/Vallendar/Lechtermann/Klein, a. a. 0., § 43 Rn. 68f.
66

Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt.
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Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der Beweismittel verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden. Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Unbeachtlich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren.
68

Vgl. BAG, Urteil vom 11. Juni 2020 - 2 AZR 442/19-, juris, Rn. 36, 40; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 1998 -6 P 2.97 -, juris, Rn. 29.
69

Bei einer verhaltensbedingten Kündigung löst jede weitere Pflichtwidrigkeit einen neuen Fristbeginn aus.
70

Vgl. Gieseler, in: Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, 7. Aufl. 2021, § 626 BGB Rn. 122; zum Fristbeginn bei einem Gesamtverhalten mit mehreren Pflichtverletzungen siehe BAG, Urteil vom 1. Juni 2017 - 6 AZR 720/15 -, juris, Rn. 64.
71

Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter.
72

Vgl. BAG, Urteil vom 1. Juni 2017 -6 AZR 720/15-, juris, Rn. 61.
73

b) Ausgehend davon begann die Frist am 1. April 2019, nachdem der Antragsteller an diesem Tag die Stellungnahme der Beteiligten zu 2. vom 29. März 2019 erhalten hatte. In diesem Zeitpunkt waren die erforderlichen Ermittlungen in ausreichendem Maße abgeschlossen und die Beteiligte zu 2. angehört, so dass der Antragsteller durch seinen Kaufmännischen Direktor, der nach § 13 Abs. 1 der Rechtsverordnung für die D. U. vom 20. Dezember 2007 (GV. NRW. S. 744), geändert durch Verordnung vom 22. Mai 2013 (GV. NRW. S. 278), - im Folgenden: RVO D. - die arbeitsrechtlichen Entscheidungen für die Beschäftigten des D. trifft, über eine Kündigung entscheiden konnte. Die Zwei-Wochen-Frist aus § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB hat der Antragsteller gewahrt, da er mit Schreiben vom gleichen Tag den Beteiligten zu 1. um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gebeten hat.
74

In der Zeit vor dem 1. April 2019 hatte der Antragsteller mit der gebotenen Eile ermittelt, um sich umfassend und zuverlässig über den Kündigungssachverhalt und die Beweismittel zu informieren. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Fachsenats aus dem Vorbringen des Antragstellers und der erstinstanzlichen Beweisaufnahme. Am 12. März 2019 erhielt der Antragsteller dadurch einen konkreten Hinweis auf ein mögliches Fehlverhalten der Beteiligten zu 2., dass der Zeuge L. im Beisein des Zeugen Z. (einem beim Antragsteller tätigen betrieblichen „(…)“) dem Zeugen R. (stellvertretender „(…)“ beim Antragsteller) und Herrn A. („(…)“ beim Antragsteller) von seinem Gespräch mit der Beteiligten zu 2. berichtete, in dem diese ihm erklärt habe, er müsse Mitglied bei W. werden, wenn er sich erfolgreich auf eine Stelle beim Antragsteller bewerben wolle. Der Zeuge Z. hatte von vergleichbaren Fällen bei anderen Beschäftigten gehört, wollte aber deren Namen nicht ohne Rücksprache mit diesen nennen. In Absprache mit dem Zeugen R. klärte er zunächst ab, welche Beschäftigten aussagebereit waren. Am 18. März 2019 berichtete die Zeugin B. dem Zeugen R. im Beisein des Zeugen Z. ihre Erlebnisse mit der Beteiligten zu 2. im Zusammenhang mit ihrer Bewerbung im Jahre 2015. Außerdem schilderte der Zeuge S. nach den Angaben des Zeugen R. diesem sein Gespräch mit der Beteiligten zu 2. anlässlich seiner Bewerbungen. Daraufhin sichtete der Zeuge R. die damaligen Einstellungsvorgänge, ließ sich von der Zeugin B. Unterlagen zu deren Gewerkschaftszugehörigkeit geben und sprach mit der Zeugin M.. Die Zeugin I. war damals erkrankt und für den Zeugen R. nicht erreichbar. Am 22. März 2019 bat der Zeuge R. die Beteiligte zu 2. zu einer Anhörung, die am gleichen Tag erfolgte. Ausweislich des Anhörungsprotokolls wurde die Anhörung nach etwa zehn Minuten abgebrochen und forderte der Vorsitzende des Beteiligten zu 1. den Zeugen R. auf, der Beteiligten zu 2. alle Vorwürfe schriftlich zukommen zu lassen. Dies erfolgte durch Schreiben vom 25. März 2019, zu dem die Beteiligte zu 2. mit Schreiben vom 29. März 2019, eingegangen beim Antragsteller am 1. April 2019, Stellung nahm.
75

Der Vorwurf des Beteiligten zu 1., der Antragsteller habe die Ermittlungen nicht mit der gebotenen Eile durchgeführt, greift nicht durch. Der Beteiligte zu 1. trägt dazu vor, das Vorbringen des Antragstellers, wonach er am 12. März 2019 von den Zeugen Z. und L. den Hinweis auf das Fehlverhalten der Beteiligten zu 2. erhalten habe, widerspreche den Aussagen dieser Zeugen; der Zeuge Z. habe Herrn A. bereits eher - ohne den Zeugen L. - informiert und der Zeuge L. habe von keinem Gespräch mit Herrn A. berichtet. Dies steht der Annahme, der Antragsteller habe am 12. März 2019 von den Vorwürfen erfahren, nicht entgegen. Der Zeuge Z. hat ausgesagt, er habe Herrn A. Ende Februar oder Anfang März 2019 über die Vorwürfe gegenüber der Beteiligten zu 2. informiert und der Zeuge L. sei bei diesem ersten Gespräch nicht dabei gewesen. Bei diesem ersten Gespräch hat der Zeuge Z. nach seinen Angaben aber noch keine Namen von Beschäftigten genannt, weil er zuerst mit diesen habe sprechen wollen. Der Zeuge L. hat zwar nicht von einem Gespräch mit Herrn A. berichtet, wohl aber, dass er später (nach dem Unterschreiben seiner schriftlichen Stellungnahme) vom Zeugen R. zu seinem Gespräch mit der Beteiligten zu 2. befragt worden sei.
76

Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nicht deswegen versäumt worden, weil Herr A., der seit Anfang Juli 2017 (auch) stellvertretender „(…)“ beim Antragsteller
77

- vgl. E01; abgerufen am 24. September 2021 –
78

und als solcher nach § 13 Abs. 1 RVO D. (stellvertretend) für arbeitsrechtliche Entscheidungen für die Beschäftigten des T. zuständig ist, vom Zeugen S. im Sommer 2017 von dessen Gespräch mit der Beteiligten zu 2. erfahren hat, das der Zeuge geführt hatte, nachdem der Beteiligte zu 1. in seiner Sitzung vom 20. Juli 2017 die Zustimmung zur Einstellung des Zeugen verweigert hatte. Denn die Gespräche der Beteiligten zu 2. mit unterschiedlichen Personen in den Jahren 2017 und 2019 stellen eigene Sachverhalte dar. Die Pflichtwidrigkeit im Gespräch zwischen der Beteiligten zu 2. und dem Zeugen L., von der der Antragsteller erst im Jahre 2019 erfuhr, löste jedenfalls einen neuen Fristbeginn aus. Von der Frage des Fristbeginns zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit der Vorfall im Jahre 2017 noch zur Rechtfertigung der beabsichtigten Kündigung herangezogen werden darf (siehe dazu unten unter II. 2.).
79

c) Es kann offen bleiben, in welchem Verhältnis die aus § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB abgeleitete (und hier eingehaltene) Zwei-Wochen-Frist zur Stellung des Antrags beim Personalrat zur Frist in § 174 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX steht, wonach die Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen beim Integrationsamt nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden kann,
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vgl. dazu BAG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 -, juris, Rn. 14 f., zu der § 174 SGB IX entsprechenden Vorschrift des § 91 SGB IX a. F.: "Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verdrängt die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. (...) Die Fristen des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestehen somit selbständig nebeneinander und verdrängen einander nicht gegenseitig."; siehe auch BAG, Urteil vom 27. Februar 2020 - 2 AZR 390/19 -, juris, Rn. 15 ff.,
81

und ob die Einhaltung der Frist des § 174 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX im vorliegenden Verfahren zu prüfen ist. Sie beginnt nach Satz 2 dieser Vorschrift ebenso wie die Frist gemäß § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Da der Antragsteller die Zustimmung beim Integrationsamt nach Aktenlage am 5. April 2019 beantragt hat, ist auch diese Frist hier gewahrt.“
82

Dem hat die hiesige Kammer nichts hinzuzufügen. Und auch die Klägerin hat hierzu im arbeitsgerichtlichen Verfahren soweit ersichtlich nur ihr Vorbringen aus dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren wiederholt.
83

6.              Letztlich hat die Beklagte auch in Ansehung der fingierten Zustimmung des Inklusionsamtes die Frist zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung i.S.v. § 174 Abs. 5 SBG IX in einer analogen Anwendung der Vorschrift gewahrt. Die Beklagte musste hier die Zustimmungsersetzung durch die Verwaltungsgerichte abwarten.
84

II.
85

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. Danach trägt die Klägerin als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits.
86

Der Streitwert nach den §§ 3 ff. ZPO ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Die Kammer ist hier von drei Gehältern für den Kündigungsschutzantrag ausgegangen. Der festgesetzt Wert entspricht auch dem Streitwert nach § 63 Abs. 2 GKG.